Kunst & Kultur

Gorbitz entleert, Mensch als Punkt-Ereignis

Die Videoinstallation "Der Hang" von Daniela Risch stellt das Dresdner Plattenbauviertel Gorbitz in den Fokus. Repro: Risch

Die Videoinstallation „Der Hang“ von Daniela Risch stellt das Dresdner Plattenbauviertel Gorbitz in den Fokus. Repro: Risch

Neue Sonderschau „Chapters“ zeigt Dresden-Fotos einer Ostberlinerin

Dresden, 2. September 2015. Gorbitz. Eine verwaiste Kieselbeton-Treppe, gelegt in einem inzwischen untergegangenen Staat. Wildwucherndes Grün umgarnt das Geländer. Wäre da nicht das Gezwitscher der Vögel und das sanfte Wippen der Blätter, könnte man die metergroße Projektion in der ehemaligen Kamerafabrik für ein starres Doppelfoto halten. Doch da: Eine alte Dame besteigt beherzt den Treppenhügel, verschwindet in der Bildecke rechts oben.

Die Videoprojektion „Der Hang“ steht archetypisch für die Fotos und Filme, die Daniela Rausch ab heute Abend in den „Technischen Sammlungen Dresden“ (TSD) ausstellt: Unter dem Titel „Chapters“ hat sie Bilder ausgewählt, die während eines dreimonatigen Aufenthalts im Frühjahr 2014 in Dresden entstanden sind. Und da taucht immer wieder der entleerte Stadtraum auf, den Menschen nur gelegentlich punktuieren.

Porträtfotos ohne den Porträtierten

„Die Stadt ist mein Thema“, sagt die 46-jährige Fotografin, die am liebsten mit ihrer Mamiya-Kamera arbeitet, mit der sie im Nu auf Impulse auf ihren Streifzügen durch den urbanen Raum reagieren kann. „Wenn ich da erst anfange, ein Stativ aufzubauen, geht der Moment kaputt“, meint sie. Der Moment ist für sie aber eben nicht die rasche Bewegung, wie sie menschentypisch ist, sondern die spontane Impression der Stadt. Dabei stehen nicht wirklich Stein und Beton im Mittelpunkt, sondern die Menschen, die sich dahinter verbergen: Die diese oft so weiten, verwaisten Plätze und kahlen Häuser gebaut haben, in ihnen wohnen, sie benutzen – oder eben nicht. „Das ist wie ein Porträtfoto, auf dem der Porträtierte gar nicht zu sehen ist“, sinniert sie laut.

Chapters Foto: Daniela Risch

Foto: Daniela Risch

Vom Umgang mit sozialistischen Palästen

Und eben wegen der starken Wechselwirkung zwischen Stadt und Stadtbewohnern hatte sie sich die gebürtige Ostberlinerin auch um das „Dresdner Stipendium für Fotografie“ von TSD und Ostsächsischer Sparkasse beworben, dass ihr die dreimonatige Foto- und Filmtour durch die sächsische Hauptstadt ermöglichte. Dresden habe sie nur noch flüchtig von Schulausflügen in Erinnerung gehabt, wusste aber, dass sich die Dresdner mit ihrer Stadt ganz besonders verflochten fühlen.

Daniela Rausch im Gespräch mit Ausstellungs-Besuchern. Foto: Marco Wende

Daniela Risch im Gespräch mit Ausstellungs-Besuchern. Foto: Marco Wende

Warten auf den Menschen

Gestürzt hat sie sich mit ihrer Kamera dann aber hier nicht auf das übliche Barock-Szenario, sondern vor allem auf die vom Dresden-Besucher meist ignorierten Stadträume mit ihrem ganz besonderem Charme – wie eben Gorbitz, oder die Brachflächen nahe der Nossener Brücke. Einsam wirken sie, wie darauf wartend, wach zu werden, Passanten sehen wir nur selten. Die Idee dahinter erkennt man besonders gut auf der erwähnten Videoprojektion „Der Hang“: Auch hier zunächst ein eher abweisender Plattenbau neben der Straßenbahntrasse und es passiert – rein gar nichts. Oder doch? Wer genauer hinschaut, erahnt zum Beispiel einen Mann, der auf der Anhängergabel eines verschlossenen Imbisswagens hockt, sich vielleicht eine Zigarette dreht. Und plötzlich – wusch – rast ein Mädchen in orangen Strümpfen auf einem Skateboard durchs Bild, um gleich wieder zu verschwinden. Diese kleinen Momente sind es, die uns daran erinnern: Die Stadt steht nicht zum Spaß da, hier leben Menschen, die sie prägen und von ihr geprägt werden. Autor: Heiko Weckbrodt

„Chapters“, Dresden-Fotos und -Videos von Daniela Risch, Vernissage heute Abend, 19 Uhr, in den Technischen Sammlungen Dresden, Junghansstraße 1, danach bis 25. Oktober 2015 jeweils dienstags bis freitags von 9 bis 17 Uhr sowie samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, mehr Infos im Netz: tsd.de

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt