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Wenn das Videoauge bei der Pegida-Demo mitzählt

Testdurchlauf für Balzers Zählprogramm mit einer Menschentraube auf der Straße. Abb.: Balzer

Testdurchlauf für Balzers Zählprogramm mit einer Menschentraube auf der Straße. Abb.: Balzer

Dresdner Ingenieur lässt Computerprogramm Pegidisten zählen

Dresden, 9. Juni 2015. Streitereien zwischen Demonstranten und Gegen-Demonstranten, wer denn nun mehr Menschen auf die Straße gebracht hat, sind vielerorts auf der Tagesordnung. Ähnlich auch nach Fußballspielen: War das Stadium nun überfüllt oder nicht? Ein Dresdner Programmierer hat nun eine schnelle und vor allem unaufwendige Methode entwickelt, um solche Konflikte zu schlichten.

Algorithmus erkennt und zählt Menschen in Demonstrations-Zügen

Basierend auf freier Software hat der Dresdner Ingenieur und Datenspezialist Paul Balzer in seiner Freizeit dafür einen Algorithmus geschrieben. Der wertet per Bilderkennung der Videoaufnahmen vorbeiziehender Demonstranten aus, differenziert die einzelnen Menschen aus der Masse heraus und registriert sie. Selbst stundenlange Vorbeimärsche sind damit (im Nachhinein) binnen weniger Minuten durchgezählt – bei einer Genauigkeit von plusminus zehn Prozent gegenüber manuellen Zählungen, wie Paul Balzer einschätzt. „Manuelle Zählungen sind genauer, der Algorithmus dafür aber viel schneller“, erklärte er auf Oiger-Anfrage.

Paul Balzer. Foto: Thomas Schlorke

Paul Balzer. Foto: Thomas Schlorke

Auslöser war Streit um Pegida

Der eine oder andere wird es wohl schon ahnen: Auslöser für Balzers Projekt waren die sogenannten „Spaziergänge“ der asylkritischen Pegida-Bewegung. Die konnte in Dresden zeitweise Ende 2014 und Anfang 2015 deutlich über 10.000 Mitmarschierer mobilisieren – wie viel genau, war aber immer wieder ein Streitpunkt. Insbesondere Pegida-Gegner bezweifelten die allmontäglichen Teilnehmer-Schätzungen der Polizei in wachsendem Maße.

Pegida-Demo auf der "Cockerwiese". Foto: Peter Weckbrodt

Frühere Pegida-Demo auf der „Cockerwiese“. Je dunkler der Hintergrund ist und desto mehr Demonstranten dunkle Klamotten tragen, umso schwerer hat es das Zählprogramm. Foto: Peter Weckbrodt

Daraufhin hatten Dresdner Studenten ein Team „durchgezählt“ gebildet, das in eigener Initiative die Pegida-Züge filmte und mit verschiedenen Methoden manuell durchzählte. Das allerdings dauerte jeweils zwei bis drei Stunden.

Software zählt Tausende in 2 bis 3 Minuten durch statt in Stunden

Balzers Algorithmus hingegen braucht dafür zwei bis drei Minuten, mit Video-Download et cetera vielleicht auch zehn Minuten, wie er selbst sagt. Sein Programm kam zum Beispiel nach der Pegida-Demo am 11. Mai 2015 auf 2252 Pegidisten, die Studentengruppe „Durchgezählt“ auf 2597. Eine Abweichung von 13 % in diesem Fall also, die aber angesichts der Zeitersparnis doch schon für erste Schätzungen verschmerzbar sein mag. Wobei der Programmierer selbst auch betont: „Manuelle Zählungen sind weiterhin die genauere Methode.“

Open-Source-Werkzeuge verwendet

Die Programmier-Instrumente für seinen Algorithmus hatte Balzer offenen Software-Bibliotheken entnommen, sie angepasst und den fertigen Code dann auch kostenlos und frei verfügbar („Open Source“) wieder ins Netz eingespeist. Automatische Zählungen zum Beispiel mit Videokameras an Stadion-Toren, um die Besucherzahlen von Fußallspielen zu ermitteln, hält Balzer für eine andere mögliche Anwendung seines Programms.

Ob sein Algorithmus künftig auch tatsächlich in der Praxis genutzt werde, könnten andere entscheiden, meint der 33-jährige Fahrzeugtechnik-Ingenieur, der sich derzeit auf seine Doktorarbeit an der HTW und der TU Dresden konzentriert und nebenher mit einem Ingenieurbüro „MechLab Engineering“ seine Brötchen verdient. „Den Algorithmus habe ich eher aus Interesse an der Herausforderung geschrieben“, sagt er. Da gehe es mehr um Programmierer-Lorbeeren als um eine kommerzielle Verwertung. Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt