Forschung

Nanotech-Experte: Dresden sollte Materialforschung ausbauen

Prof. Gianaurelio Cuniberti von der TU Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Gianaurelio Cuniberti in einem der Labore seines Nanotech-Lehrstuhls der TU Dresden, wo mit der Abscheidung einzelner Atomlagen im Vakuum experimentiert wird. Er ist überzeugt, dass Dresdens Stärken in der Materialforschung weiter ausgebaut werden sollten. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Cuniberti sieht am Standort gutes Werkstoff-Fundament, das aber international noch zu wenig wahrgenommen werde

Dresden, 2. Juni 2015. Für einen Ausbau der Materialforschung in Dresden hat sich Nanotechnologe Prof. Gianaurelio Cuniberti von der TU Dresden ausgesprochen. „Dresden ist eine Hochburg der Materialforschung und Werkstoff-Technik in Europa“, argumentierte Cuniberti. Allerdings liege der Fokus sehr auf der ingenieurtechnischen, anwendernahen Entwicklung zum Beispiel an der TU, in den Fraunhofer-Instituten und anderen außeruniversitären Einrichtungen.

Geheimhaltung bei industrienahen Projekten dämmt Publikationseifer

Das sei zwar per se nichts Schlechtes, führe aber wegen der damit verbundenen Geheimhaltungsverträge mit den Industriepartnern häufig dazu, dass die beteiligten Wissenschaftler nur wenig über ihre Arbeiten publizieren. Wenn aber zum Beispiel die „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ (DFG) über die Vergabe von Exzellenzprogrammen und anderen Fördergeldern entscheide, orientiere sie sich wesentlich daran, wieviele wissenschaftliche Publikationen ein Forschungs-Cluster hervorbringe. Das wiederum mindere die Chance für den drittmittel-unterstützten Ausbau der Materialforschung in Dresden. „Wir haben da ein Henne-Ei-Problem“, ist Cuniberti überzeugt. Er als Physiker leitet den Lehrstuhl für Materialwissenschaft und Nanotechnologie an der TU Dresden.

Eben noch Science-Fiction, vielleicht aber schon bald gängige Praxis: So wie hier der Comic-Turboforscher "Iron Man" setzen immer mehr Wissenschaftler Supercomputer und Simulationen ein, um neue erstaunliche Materialien zu entwickeln. Abb.: Paramount

Eben noch Science-Fiction, vielleicht aber schon bald gängige Praxis: So wie hier der Comic-Turboforscher „Iron Man“ setzen immer mehr Wissenschaftler Supercomputer und Simulationen ein, um neue erstaunliche Materialien zu entwickeln. Abb.: Paramount

Neue Perspektiven durch Supercomputer

Allerdings habe man in Dresden inzwischen durchaus eine kritische Masse an einschlägigen Forschungseinrichtungen und wissenschaftlichen Anlagen konzentriert, die Sachsen eine erste Geige im weltweiten Konzert der führenden Materialforschungs-Cluster sichern könnte. Durch den jüngst eingeweihten neuen Supercomputer der TU Dresden werde es beispielsweise möglich, innovative Werkstoffe durch atomare und molekulare Simulationen zu designen, die wiederum die Exportkraft der deutschen Industrie stärken könnten.

„Mit älteren Computern, wie sie noch vor fünf Jahren üblich waren, konnten wir bestenfalls das Zusammenspiel von vielleicht drei Atomen theoretisch vorab zu simulieren“, erklärte Cuniberti. „Jetzt können wir Strukturen simulieren, die Hunderte, im besten Falle sogar von Millionen Atomen enthalten.“ Damit werde es möglich, zum Beispiel die atomaren und Nano-Strukturen kompletter Transistoren (Minischalter) vorab zu simulieren, bevor die neuen Materialien im Labor erzeugt und schließlich in die Massenproduktion gehen.

OLEDs von der Druckrolle: Flexible organische Leuchtdioden (OLED) mit transparenten Elektroden. Foto: Fraunhofer-Comedd

Eine Frage der richtigen Werkstoffe: Die Materialien, mit denen die Funktionsschichten dotiert werden, sind entscheidend dafür, wie hell organischen Dioden (OLEDs) leuchten und wie effizient sie Energie in Licht verwandeln. Foto: Fraunhofer-Comedd

Innovative Werkstoffe heute schnell am Rechner designbar

„Früher war das ein klassisches Doktoranden-Projekt“, meint der Professor. „Man sagte einem jungen Forscher: Du hast drei Jahre Zeit, versuch es mal im Labor mit den und den neuen Legierungs-Varianten und dann sehen wir, was am Ende herauskommt.“ Und das war dann nur eine unter unzähligen Varianten, etwa zu besseren Dotierungsstoffen von organischen Halbleitern zu kommen. In Supercomputern könne man solche Varianten dagegen binnen weniger Monate durchsimulieren.

Fokus auf Nano-, Bio- und Elektronikmaterialien

Mögliche Schwerpunkt-Forschungsfelder, in denen Dresden bereits vorhandene Stärken in der Materialforschung mit den neuen wissenschaftlichen Methoden gut kombinieren können, sieht Cuniberti beispielsweise in neuen Nano-, Bio- und Elektronikmaterialien. Einsatzfelder seien beispielsweise schnellere und effizientere organische Schaltkreise, Leuchtdioden und Solarzellen. Im Fokus sehe er aber auch bessere Ersatzstoffe für strategisch wichtige Werkstoffe, die Deutschland bisher in Größenordnungen importieren muss – und ständig auf das Wohlwollen von Rohstoffexporteuren wie China, dass die bloß nicht den Hahn zudrehen. Dies betreffe etwa wichtige Kernmaterialien für Magneten, die wiederum essenziell für die Konstruktion von Elektromaschinen seien, oder auch für Handy-Funkmodule und Leichtbau-Materialien in der Automobilindustrie.

Mit welchen Schwerpunkten sich Sachsen und insbesondere die TU in der nächsten Verteilrunde um die Exzellenz-Fördermilliarden des Bundes bewerben wird, steht zwar noch nicht ganz fest. TU-Rektor Prof. Hans Müller-Steinhagen tendiert allerdings dazu, an der Uni die Forschungs-Schwerpunkte Software und Wasser auszubauen – die Materialforschung kam in seinen jüngsten Ankündigungen jedenfalls nicht prominent vor. Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt