Wirtschaft

Unternehmen mit Betriebsrat sind 40 % produktiver

Unternehmen mit Betriebsrat sind produktiver, heißt es in einer IWH-Untersuchung. Montage: hw

Unternehmen mit Betriebsrat sind produktiver, heißt es in einer IWH-Untersuchung. Montage: hw

IWH-Volkswirt Müller: Effekt für Betriebe in Ost wie West zu sehen

Halle/Dresden, 28. April 2014. Unternehmen mit Betriebsrat und Tarifbindung sind im Schnitt rund 40 Prozent produktiver als andere Firmen – und zwar in Ostdeutschland gleichermaßen wie in den alten Bundesländern. Zu diesem Schluss ist Dr. Steffen Müller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in einer Studie gekommen, in der er Arbeitnehmer-Beteiligung, Produktivität und weitere Kennzahlen in ost- und westdeutschen Betrieben verglichen hatte. Dabei hatte er sich vor allem auf Angaben aus den Betriebs-Befragungen des „IAB-Betriebspanels“ gestützt.

Prof. Steffen Müller vom IWH hat Produktivität und betriebliche Mitbestimmung in Ost und West verglichen

Prof. Steffen Müller vom IWH hat Produktivität und Betriebsrats-Präsenzen in Ost und West verglichen

Nur jede dritte ostdeutsche Beschäftigte arbeitet in Unternehmen mit Betriebsrat

Zwar könne man daraus keine sichere Ursache-Folge-Kette ableiten, schränkte Müller bei der Präsentation seiner Ergebnisse im ifo-Institut in Dresden ein. Aber möglicherweise könnten diese Befunde die Produktivitätslücke zwischen Ost und West miterklären, da in den alten Bundesländern deutlich mehr Unternehmen Betriebsräte haben als in den neuen Ländern.

Im Jahr 2000 waren nur etwa 41 Prozent der ostdeutschen Arbeitnehmer in Unternehmen mit Betriebsrat beschäftigt. In Westdeutschland traf dies damals auf etwa die Hälfte der Arbeitnehmer zu. Inzwischen sind diese Anteile gesunken: in den neuen Bundesländern auf etwa 35 %, in den alten auf zirka 43 %. Berücksichtigt man nur Unternehmen mit Betriebsrat und Tarifvertrags-Bindung, liegen die Quoten nun sogar noch niedriger: bei 35 % im Westen und 25 % im Osten.

Das Diagramm zeigt den Anteil der Arbeitnehmer in Deutschland West (gestrichelte Linien oben) und Ost (mit Berlin, durchgezogene Linien), die in Unternehmen mit Betriebsrat bzw. Tarifbindung arbeiten. Abb.: IWH, repro: hw

Das Diagramm zeigt den Anteil der Arbeitnehmer in Deutschland West (gestrichelte Linien oben) und Ost (mit Berlin, durchgezogene Linien), die in Unternehmen mit Betriebsrat bzw. Tarifbindung arbeiten. Abb.: IWH, Repro: hw

Forscher: Kausaler Zusammenhang nicht sicher, aber wahrscheinlich

Allerdings lasse sich aus den Befunden keine sichere Kausalkette nach dem Muster ableiten, dass die effektiver arbeitenden Unternehmen zwingend durch die Existenz eines Betriebsrates produktiver werden, betonte Professor Müller. Denn es bestehe genauso die Möglichkeit, dass höhere Produktivität und die Existenz eines Betriebsrats auf einen ganz anderen Faktor zurückzuführen seien. Etwa auf ein agileres Management, das das Unternehmen besonders gut zu leiten verstehe und gleichzeitig für Arbeitnehmer-Beteiligung aufgeschlossener sei. Auch ist ein Zusammenhang zwischen Betriebsgröße, Produktivität und der Wahrscheinlichkeit einer Betriebsrats-Gründung naheliegend.

Ein Erklärungsmuster: Betriebsräte beugen innerer Emigration von Fachkräften vor

Er halte allerdings einen kausalen Effekt für wahrscheinlich, der sich aber nur langfristig einstelle, erklärte Prof. Müller. So sei denkbar, dass in Unternehmen mit Betriebsrat weniger Fackkräfte aus aufgestauter Unzufriedenheit lustloser arbeiten oder gar kündigen, da sie in der Arbeitnehmer-Vertretung vor Ort ein „anonymes Sprachrohr“ haben, um auf Missstände hinzuweisen, ohne sich persönlich mit dem Chef anlegen zu müssen. „Ein Betriebsrat kann auch Informations-Assymmetrien zwischen Belegschaft und Management abbauen“, sagte Müller.

Ein weiteres Erklärungsmuster: Betriebsräte neigen möglicherweise – mehr als vielleicht Gewerkschaftler – systematisch dazu, sich für einen wirtschaftlichen Erfolg „ihres“ Unternehmen im Konsens zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber stark zu machen, damit am Ende „ein größerer Kuchen verteilt werden kann“.

Angelsächsisches Konzept der deregulierten Wirtschaft unter Ökonomen weit verbreitet

Prof. Marcel Thum. Abb.: ifo

Prof. Marcel Thum. Abb.: ifo

Als „sehr spannend und innovativ“, stufte ifo-Dresden- Leiter Prof. Marcel Thum die Untersuchungen Müllers ein – bisher habe seines Wissens nach noch kein anderer Experte diese Zusammenhänge im Ost-West-Vergleich untersucht. Allerdings sei kaum anzunehmen, dass Betriebsräte allein für die niedrigere Produktivität der ostdeutschen Wirtschaft (seit Jahren stagniert je nach Bundesland um die 66 bis 74 % des Westniveaus) verantwortlich seien: „Dass ein Unternehmen heute einen Betriebsrat gründet und morgen 40 Prozent produktiver ist, das klappt so natürlich nicht“, sagte der Wirtschaftsforscher. Aber in den Köpfen vieler Ökonomen stecke immer noch die angelsächsische Vorstellung drin, dass eine möglichst unregulierte, oder gar gewerkschaftsfreie Wirtschaft am besten floriere – zumindest in Deutschland gelte das offensichtlich nicht.

Betriebsräte als Arbeitnehmer-Vertretung neben den Gewerkschaften wurden erstmals 1920 als Option im deutschen Recht formell verankert und dann in der Bundesrepublik im Betriebsverfassungsgesetz neu geregelt. Im internationalen Vergleich werden den Betriebsräten in Deutschland relativ starke Befugnisse eingeräumt, zum Beispiel Veto-Rechte gegen Entlassungen. Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt