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„Die gehen einfach nach Hause“

Findet das vom Uniklinik eingerichtete Personal-Gesundheitszentrum gut und motivierend: Martin Appelt. Foto: Heiko Weckbrodt

Findet das vom Uniklinik eingerichtete Personal-Gesundheitszentrum gut und motivierend: Martin Appelt. Foto: Heiko Weckbrodt

Wachsendes Hedonisten-Problem in der Arbeitswelt: Sächsische Arbeitgeber versuchen nun, sich mit der „Generation Y“ zu arrangieren

Dresden, 19. März 2015: Sächsische Arbeitgeber haben ein wachsendes Problem mit der ostdeutschen „Generation Y“: Junge, oft hochqualifizierte und gutbezahlte Mitarbeiter, die keine Lust auf Leistungsorientierung und Überstunden haben, die lieber mehr Freizeit als mehr Gehalt haben wollen. „Die interessieren sich nicht für Geld, Karriere und Autos“, schätzt beispielsweise Prof. Michael Albrecht, der Medizinische Vorstand des Uniklinikums Dresden, ein.

Prof. Michael Albrecht. Foto: hw

Prof. Michael Albrecht. Foto: hw

„So wie es in unserer Generation oder selbst noch vor zehn, 15 Jahren usus war, dass man so lange gearbeitet hat, bis alle Aufgaben erledigt waren und vielleicht danach noch geforscht hat, das ist nicht mehr: Die jüngeren Mitarbeiter heute gehen einfach nach Hause, wenn die Arbeitszeit vorüber ist. Das ist ein Gesinnungswandel, den man als Arbeitgeber nicht mehr ignorieren kann.“ Sich darüber aufzuregen und zu schmollen, bringe aber überhaupt nichts, meint Prof. Albrecht. „Da muss man vielmehr überlegen: Was kann man anders machen, wie kann man die Leute doch motivieren?“

Uniklinikum setzt auf Motivationspakete und Personal-Gesundheitszentrum

Das Uniklinikum ist jedenfalls nicht untätig geblieben und hat gegengesteuert: Personalabteilung und Chefetage entwickelten Motivationsprogramme und neue Arbeitszeitmodelle, sorgten für „Rückkehrer-Optionen“ für jene Ärzte und Schwestern, die die Elternzeit genutzt haben, führten regelmäßige Karriereplanungs-Gespräche mit den Mitarbeitern ein, richteten zudem ein „Gesundheitszentrum Carus Vital“ auf dem Klinik-Campus ein, in dem Ärzte, Pfleger, Schwestern und andere Mitarbeiter beispielsweise vor oder nach der Arbeit Sport treiben, Ernährungs- und Anti-Mobbing-Kurse belegen oder Seminare besuchen können, in denen sie Tipps bekommen, wie man mit dem oft hohen Druck im medizinischen Arbeitsalltag fertig wird.

Josephine Rothmann. Foto: Heiko Weckbrodt

Rund 1500 der ca. 6000 Uniklinik-Mitarbeiter nutzen inzwischen das hauseigene Gesundheitszentrum – unter ihnen auch Josephine Rothmann. Foto: Heiko Weckbrodt

„Da geht man gleich ganz motiviert auf Arbeit“

„Ich finde das gut“, meint Martin Appelt, der jetzt regelmäßig im Mitarbeiter-Fitnesszentrum trainiert. „Die Öffnungszeiten sind super, da kann man auch mal früh vor der Arbeit oder abends noch ein paar Übungen machen. Da geht man gleich ganz motiviert auf Arbeit – und das meine ich nicht ironisch“, betont der 34-jährige technische Mitarbeiter. Insgesamt nutzen inzwischen rund 1500 der etwa 6000 Uniklinik-Beschäftigten die Angebote dieses Personalzentrums.

IMA-Chef: Wenn jeder nur auf die Uhr schaut, hat das Unternehmen ein ernstes Problem

IMA-Chef Thomas Reppe, Foto: hw

IMA-Chef Thomas Reppe, Foto: hw

Freilich hat nicht jeder Mittelständler die Ressourcen wie das Uniklinikum, das immerhin zu den größten Arbeitgebern in Dresden gehört. „Auch wir haben solche Probleme mit der sogenannten Generation Y – und bisher noch keine endgültigen Lösungen“, räumt etwa Thomas Reppe ein, der Chef der Materialforschungs-Gesellschaft IMA in Dresden-Klotzsche. Das ehemalige DDR-Institut ist unter anderem auf Materialermüdungs-Prüfungen für Flugzeug-, Kraftwerks- und andere Komponenten komplexer Systeme spezialisiert. In dem 200-köpfigen Unternehmen ist Termindruck an der Tagesordnung. „Wenn Sie keine stabilen Teams mehr zusammenbekommen, weil jeder auf die Uhr schaut oder sich immer wieder jemand in die Elternzeit verabschiedet, haben Sie einfach ein Problem“, sagt Thomas Reppe.

„Die wollen keine Autos – die wollen Freizeit“

Derzeit verhandele die IMA zum Beispiel mit einem wichtigen Kunden, der dringende Ermüdungstest für ein Flugzeugteil bis zum Jahresende wünsche. „Bei der Besprechung vorhin hat sich schnell abgezeichnet, dass dieser Termin nur zu halten sein wird, wenn wir 24 Stunden am Tag durchtesten und auch an den Wochenenden an dem Projekt arbeiten“, berichtet Reppe. Man habe richtig gesehen, wie dem zuständigen Ingenieur das Gesicht bei diesen Worten eingeschlafen sei. „Wir haben in unserer Belegschaft schlichtweg immer mehr junge Ingenieure, die kann man mit den klassischen Motivationsinstrumenten wie Status, Dienstwagen, großes Büro und Gehalt nicht mehr motivieren. Das wollen die nicht – die wollen Freizeit.“ Das Ende vom Lied werde wohl sein, dass man einen zweiten Ingenieur an das Projekt setzen und teure Automatisierungstechnik beschaffen müsse, um den Kunden zufrieden zu stellen.

Punkt 16 Uhr fällt der Stift – ohne Rücksicht auf Fristen

Ähnliches berichtet Knut Michel, Chef der Dresdner Wirtschaftsprüfer-Agentur „Schneider + Partner“: „Noch vor zehn Jahren waren alle im Team bereit, notfalls bis 10 Uhr abends durchzuarbeiten, wenn das nötig war, um eine wichtige Frist zu halten“, sagt er. „Inzwischen sehen wir bei mehr und mehr Mitarbeitern, dass die Punkt 16 Uhr den Bleistift aus der Hand fallen lassen ohne Rücksicht auf Verluste.“ Und dies betreffe keineswegs nur Kollegen mit Familie, bei denen man solche Prioritäten ja noch verstehen könne. „Das sind oft auch Alleinstehende, hedonistische Persönlichkeiten, für die Freizeit wichtiger als die Firma ist.“

Ministerin Köpping: Ständiger Druck ist in Betrieben von der Ausnahme zur Regel geworden

Petra Köpping. Foto: hw

Petra Köpping. Foto: hw

Sachsens Gleichstellungs-Ministerin Petra Köpping (SPD) warnte die Unternehmer freilich davor, das Problem nur aus ihrer Arbeitgeberperspektive zu betrachten: „Dass den Leuten ständig irgendwelche Fristen im Nacken sitzen, ist von der Ausnahme zur Regel geworden“, betonte sie. Da müsse man sich nicht wundern, wenn die Mitarbeiter die Reißleine ziehen und zum Beispiel für eine berufstätige Mutter der Arztbesuch des Kindes wichtiger sei als „die Firma“. „Bringen Sie ihren Mitarbeitern lieber mehr Vertrauen entgegen und bieten sie flexible Arbeitszeiten an“, rät die Ministerin den Unternehmern. „Auf diesen Kulturwandel müssen sich die Arbeitgeber nun mal einstellen.“

Uniklinik-Vorstand warnt vor Eskalation

Auch Uniklinik-Vorstand Michael Albrecht warnte vor einem Konfrontationskurs zwischen Arbeitgebern und der „Generation X“: „Emotionsgeladen und voller Ärger solche Probleme anzugehen, bringt überhaupt nichts“, ist der überzeugt. „Lässt man das eskalieren, sind Mitarbeiter wie auch die Patienten ständig unzufrieden und damit ist keinem geholfen.“

Tiefer Mentalitätswandel: Verlustangst der Nachwendezeit ist der Generation Y fremd

Das Problem dahinter ist offensichtlich ein Mentalitätswandel: Wer heute nach dm Studium oder nach der Facharbeiter-Ausbildung ins Berufsleben kommt, kennt die Arbeitslosigkeits-Ängste der Nachwende-Zeit kaum noch, ist im Bewusstsein eines Fachkräfte-Mangels in der Wirtschaft aufgewachsen und in vielen Fällen auch mit Casting-Shows im Fernsehen, in deren Weltbild der Gedanke, dass Geld hart verdient werden muss, weitgehend fremd ist. Andererseits hat diese von amerikanischen Soziologen „Generation Y“ genannte Generation auch nur zu gut gesehen, wie ständige Rationalisierungen und Arbeitsplatzabbau in vielen Unternehmen die Belastungen für einzelne Arbeitnehmer immer höher schrauben – und wie dies bei ihren Müttern und Väter dazu geführt hat, dass diese am Ende psychisch und physisch völlig ausgebrannt waren („Burn-Out-Syndrom“). Die Folge: Viele junge Hochqualifizierte wollen sich heute auf diesen Kreislauf gar nicht erst einlassen und stellen deshalb Privatleben und Selbstverwirklichung in den Mittelpunkt ihrer Lebensplanung und nicht, ein „guter Arbeitnehmer“ zu sein. Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt