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Phagen sollen gegen multiresistente Keime kämpfen

Bakteriophagen sind auf bestimmte Bakterien spezialisierte Viren. Visualisierung: Dall-E

Bakteriophagen sind auf bestimmte Bakterien spezialisierte Viren. Visualisierung: Dall-E

Immunologen in Breslau wollen Bakterien-Fresser als Antibiotika-Alternative etablieren

Breslau/Leipzig, 30. Mai 2023. Weil immer mehr Keime gegen herkömmliche Antibiotika immun werden und jedes Jahr über eine halbe Million Menschen in Europa an multiresistenten Keimen erkranken, treiben polnische Akademiker ihre Forschungen an alternativen Ansätzen voran. Sie haben dafür eine der weltweit größten Sammlungen von Bateriophagen angelegt – eine Art Viren ohne eigenen Stoffwechsel, die Bakterien gewissermaßen „krank“ machen und zerstören. Die Wissenschaftler an der polnischen Akademie der Wissenschaften sind auch durchaus optimistisch, so für viele Infektionen und Krankheiten, bei denen Antibiotika wegen zunehmender Resistenzen versagen, andere Heilmittel zu finden. Das hat Prof. Andrzej Gorski vom Breslauer Hirszfeld-Institut für Immunologie an der Akademie eingeschätzt.

Phagen-Mischungen bisher nicht stabil genug

Allerdings bleibe es weiter eine Herausforderung, stabile und zielgenaue Phagen-Mischungen zu finden, betonte der Leiter der Phagentherapie-Abteilung. Ein Problem dabei ist, dass die Bakterienfresser selbst recht rasch zum Ziel von körpereigenen Fresszellen werden. Auch müsse dieser therapeutische Ansatz zunächst mehr an Akzeptanz unter Medizinern gewinnen, betont Prof. Gorski. Bisher haben sich Phagen vor allem in der Gentechnologie gewisse Anwendungsfelder erschlossen, noch nicht aber in der Humanmedizin.

Dr. Beata Weber-Dąbrowska zeigt Proben aus einer der weltweit größten Phagen-Sammlungen am Hirszfeld-Institut für Immunologie Breslau. Foto: Heiko Weckbrodt

Dr. Beata Weber-Dąbrowska zeigt Proben aus einer der weltweit größten Phagen-Sammlungen am Hirszfeld-Institut für Immunologie Breslau. Foto: Heiko Weckbrodt

Studie zur Phagentherapie gegen Rhinosinusitis startet 2024

Um die Möglichkeiten und Grenzen solcher Behandlungen am konkreten Fall einer Nasennebenhöhlen- und Schleimhaut-Entzündung (Rhinosinusitis) systematisch auszuloten, starten die Breslauer Akademiker ab 2024 eine vierjährige europäische Studie. Im Zuge dieser mit 3,5 Millionen Euro dotierten Untersuchung wollen sie ermitteln, wie gut sogenannte Rhinophagen gegen die Entzündungs-Erreger helfen können.

Forschung an Phagentherapie seit über 100 Jahren

Die Phagen-Forschung selbst reicht schon über 100 Jahre zurück: Die ersten Hinweise auf eine Art „Anti-Bakterien“ gab es bereits Ende der 19. Jahrhunderts. 1915 und 1917 entdeckten der Engländer Frederick Twart und der Kanadier Felix Hubert d’Hérelle wohl unabhängig voreinander die ersten Phagen. In der Folge zeigte sich, dass es sich um Viren handelte, die sich in Wirts-Bakterien festsetzen und diese dazu bringen, das fremde Erbmaterial zu replizieren. Schon damals versprach man sich viel von solchen „Bakterienfressern“. So entstand 1923 ein Institut für Bakteriophagen im georgischen Tiblissi. Doch die in den folgenden Dekaden punktuell verkündeten Behandlungserfolge mit Phagen blieben in der internationalen Medizinergemeinde umstritten und kaum reproduzierbar. Auch in Polen wurden experimentelle Phagentherapien in den vergangenen Dekaden eingesetzt. Die damals vermeldeten Erfolgsquoten von 84 bis 97 Prozent ließen sich nach dem Mauerfall aber nicht bestätigen beziehungsweise wiederholen.

18 % Heilungsrate erreicht

Heute kommen die Immunologen am Akademie-Institut in Breslau auf Heilungsraten um die 18 Prozent. Rechnet man auch jene Patienten hinzu, bei denen sich ihr Zustand im Zuge der Phagentherapie zumindest nicht verschlechtert hat, dann reagierten immerhin 40 Prozent der Patienten „gut“ auf die Phagentherapie. Aber andersherum ausgedrückt: 60 Prozent der Patienten reagierten entweder gar nicht oder schlecht auf diese Behandlungsmethode. Dennoch: Angesichts der großen weltweiten Sorge, dass sich künftig immer mehr multiresistente Keime verbreiten könnten, gegen die kein Antibiotikum mehr anschlägt, sind selbst solche Erfolgsquoten ein hinreichendes Motiv, die Phagentherapie als alternativen Behandlungsansatz weiter zu verfolgen.

Auch Fraunhofer und Uni Leipzig forschen an Phagen gegen antibiotikaresistente Erreger

Das sehen Wissenschaftler weltweit ganz ähnlich. Insofern sind die schlesischen Immunologen nicht die einzigen, die den Phagen-Ansatz verfolgen. Im benachbarten Sachsen beispielsweise arbeitet die Uni Leipzig an Phagen-Therapien gegen multiresistente Salmonellen in Pferden, die unbehandelt auf den Menschen überspringen können.

Und am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) in Leipzig beschäftigt sich die Arbeitsgruppe für „Antimikrobielle Biotechnologie“ um Dr. Belinda Loh mit dem Einsatz von Bakteriophagen „zur Eliminierung antibiotikaresistenter Erreger“ in den Human- und Tiermedizin. „Antibiotikaresistenz (AMR) ist eine weltweite Bedrohung für die Gesundheit von Mensch und Tier und stellt eine massive wirtschaftliche und soziale Belastung für die Gesellschaft dar“, betonen die Leipziger Forscher. Aufgrund der hohen Forschungskosten hätten aber viele Unternehmen ihre Entwicklungsprogramme für Antibiotika aufgegeben, so dass dringend Alternativen benötigt werden. „Bakteriophagen stellen eine wirksame Alternative zur Bekämpfung von AMR-Bakterien dar. Phagen können nicht nur zur Behandlung, sondern auch zur Vorbeugung von Infektionen eingesetzt werden“, umreißt das Fraunhofer-Team das Potenzial für die eigentlich altbekannten Bakterien-Fresser.

Phagen-Sammlung am Hirszfeld-Institut für Immunologie Breslau. Das Institut gehört zur polnischen Akademie der Wissenschaften. Foto: Heiko Weckbrodt

Phagen-Sammlung am Hirszfeld-Institut für Immunologie Breslau. Das Institut gehört zur polnischen Akademie der Wissenschaften. Foto: Heiko Weckbrodt

Akademie forscht auch an Phagen-Einsatz gegen Faulbrut

Derweil untersuchen die polnischen Forscher nun in ihren aktuellen Studien beispielsweise Phagen-Therapien gegen Darmbakterien beim Menschen, aber auch den Einsatz in der Tiermedizin, zum Beispiel gegen die Bienen-Faulbrut. Parallel dazu bauen sie ihre Sammlung aus, die derzeit 872 Phagen enthält und damit – nach einer Kollektion in Kanada – die laut Akademie-Forscherin Dr. Beata Weber-Dąbrowska zweitgrößte Phagen-Sammlung weltweit ist.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Besuch Hirszfeld-Institut, Auskünfte Gorski und Weber-Dąbrowska, Instituts-Präsentationen, Wikipedia, Deutsches Zentrum für Infektionsforschung, RKI, Uni Leipzig, Fraunhofer IZI Leipzig, Unispital Zürich

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt