Weihnachtsausstellung „Bewegte Ruhe“ im Stadtmuseum Pirna zeigt Volkskunst als Spiegel ihrer Zeit
Pirna, 1. Dezember 2022. „In der Ruhe liegt die Kraft“ lautet ein altes Sprichwort. Das Oxymoron „Bewegte Ruhe“ wählte nun das Stadtmuseum in Pirna als Titel der neuen Weihnachtsausstellung. Denn in der Schau, in der die Städtischen Sammlungen Sebnitz dieses Jahr als Ausrichter mit im Boot sitzen, geht es um Pyramiden sowie die weit weniger verbreiteten Schattenspiele, bei denen der Gegensatz zwischen Ruhe und Bewegung aufgehoben wird.
Flügelrad drinnen oder draußen?
Es gibt Ähnlichkeiten zwischen Pyramide und Schattenspiel, die beide durch Wärme und Flügelrad angetrieben werden (wobei das Flügelrad beim Schattenspiel sich im Inneren eines mit transparenten bunten Papieren und geschnittenen Mustern beklebten Holzgestells befindet und insofern nicht zu sehen ist) und Beispiele faszinierender Volkskunst sind, die Ursprünge sind aber verschieden – Erzgebirge hier, Sebnitzer Raum da.
Schattenspiele blieben zu fragil für den ganz großen Markterfolgt
Die Sebnitzer Schattenspiele haben ihren Ursprung in aufwendig gestalteten „Lichterhäusern“, die als „Hirtenhäuser“ bezeichnet werden. Das sind Häuser oder Türmchen zum Stellen oder Aufhängen, wobei auf ein festes Gestell farbige, lichtdurchlässige Papiere geklebt wurden, die, mit dem Rüböl-Lampen oder Kerzen hinterleuchtet, einen feinen Glanz in die Stuben während der Adventszeit brachten. Hirtenhäuser wie auch Schattenspiele sind unglaublich fragil, das Papier geht leider schnell kaputt, mit ein Grund, weshalb Schattenspiele im Gegensatz zu den robusteren Pyramiden nicht so weite Verbreitung fanden, wie Andrea Bigge, die Leiterin des Kunstblumen- und Heimatmuseums Sebnitz, mitteilte.
Lithograph Tannert sprach „Mundart mit Schere“
Rund 30 Schattenspiele und Hirtenhäuser gehören zum Sebnitzer Bestand, von einigen trennte man sich für die Dauer der Ausstellung. So etwa von einem Hirtenhaus, das der Sebnitzer Webermeister Mitzscherlich um 1860 fertigte und dabei auch erzgebirgische Holzfiguren verwendete. Eine Vitrine ist Adolf Tannert gewidmet, apostrophiert als „einer, der Mundart mit der Schere sprach“. Tannert wurde 1839 in Sebnitz geboren, in einer Druckerei vor Ort absolvierte er eine Lehre zum Schriftsetzer und Lithographen. In seiner Freizeit widmete er sich dem Scherenschnitt. Im damaligen „Neuen Grenzorgan“ inserierte er und bot seine Schattenspielfiguren an. Die blieben allerdings finanziell ein kleines Zusatzbrot. Denn bis zu seinem Tod 1913 nach einer Operation in Dresden arbeitete er in der Sebnitzer Lokalzeitung. Zudem fertigte Tannert der Mode der Zeit entsprechend auch großformatige Transparentbilder an. Das waren Hohlschnitte, die durchscheinenden Stellen hinterklebte man mit hellem, farbigen Papier. Bei entsprechender Beleuchtung stellte sich die erwünschte zauberhafte Wirkung ein.
Tannert fertigte seine Scherenschnitte „mit großer Präzision“ und er fertigte nicht nur Weihnachtliches, sondern setzte hauptsächlich auf Alltagsszenen, wobei er den Alltag „mit Humor und Charme aufs Korn nahm“, wie Bigge beteuerte. Tannert, der eigentlich immer eine Schere dabei hatte, ging für seine Naturstudien auch gern durch Wälder – in einer Ecke der Schau in Pirna sind einige dieser Naturstudien zu sehen, wobei er auch mit dem Messer nacharbeitete und Schnitte auch schon mal zu Collagen zusammenstellte. Tannert selbst baute zwar keine Schattenspiele, lieferte jedoch die bekanntesten und eindrucksvollsten Szenen für die Schattenspiele.
Tannerts Nachlass wird von Städtischen Sammlungen Sebnitz bewahrt, die für die Schau in Pirna Beispiele seines Schaffens zur Verfügung stellen. Aus Privatbesitz kommt ein Hirtenhaus, das um 1860 vom Sebnitzer Webermeister Carl Gotthelf Katzschner geschaffen wurde und seitdem von Hausbesitzer zu Hausbesitzer weitergegeben wird, nun aber erstmals außer Haus nach Pirna gegeben wurde. Sämtliche Exponate sind unglaublich schöne Gebilde, machen mag beim Betrachten der geflügelte Satz „Wo Licht ist, ist auch Schatten“ in den Sinn kommen, der auf Goethe zurückgeht, denn der lässt seinen seinen Götz von Berlichingen sagen lässt: „Wo viel Licht ist, ist starker Schatten.“
„Pyramide“ erstmals 1716 als Weihnachtsschmuck erwähnt
Der zweite Schwerpunkt der Schau sind die Weihnachtspyramiden,: mit zahlreichen Details geschmückte und zum Sinnbild der Weihnachtszeit gewordene Drechselarbeiten respektive Kunstwerke aus über 100 Jahren. Die Bezeichnung „Pyramide“ für weihnachtlichen Schmuck in einer Kirche im Erzgebirge verwendete übrigens erstmals 1716 ein Schneeberger Pfarrer. Allerdings verstand man im Erzgebirge unter einer Pyramide noch etwas anderes als jenes altägyptische und immer wieder mal nachgebaute Konstrukt, das im „Damen Conversations Lexikon“ von 1834 dahingehend definiert wird, dass es „aus verschiedenen Material erbaut, viereckig und meist inwendig hohl“ sei.
Pyramiden wurden erst mit billigen Kerzen zum Erfolgsmodell
Der früheste Nachweise für definitiv keine Grabkammern aufweisende, dafür aber durch warme Luft angetriebene Pyramiden „made in Erzgebirge“ stammen laut Texttafel aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In Zeitungsannoncen dieser Zeit finden sich bereits dafür Inserate. Allerdings fehlen sie noch in den Musterbüchern der Verleger aus dem Erzgebirge. Es handelte sich anfangs eben noch um Einzelanfertigungen, die Bastler für ihre eigene Weihnachtsstube fertigen und darüber hinaus in kleiner Stückzahl auf Bestellung herstellten. Das mit den Pyramiden wurde letztlich auch erst eine Erfolgsgeschichte, als Kerzen aus Stearin und Paraffin auch für breitere Bevölkerungskreise und nicht nur für Besserverdiener erschwinglich geworden wären. Pyramiden, die mit Öllämpchen gar mit noch stärker riechenden und qualmenden Talglichtern betrieben werden, stellt man sich nicht so gern ins Wohnzimmer.
Serienproduktion begann erst im 20. Jahrhundert
Die serienmäßige Produktion von Pyramiden setzte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein, berichtet Gerburg Sturm von der Museumspädagogik des Pirnaer Stadtmuseums. Man erinnert an alte Firmen, gibt aber bewusst auch jenen Firmen eine Plattform, die noch heute traditionell produzieren. „Deren Pyramiden sind arbeitsintensiv und damit teuer, aber eben auch Unikate, deshalb heiß begehrt, weshalb die Wartelisten auch lang sind“, wie Sturm erklärte.
Manche Figuren entstanden aus einer Art Pappmaché
So würdigt die Ausstellung beispielsweise die Firma „Lahl“, eine Werkstatt, die sich auf die Herstellung von Massefiguren spezialisiert hat, was eine sehr aufwendige Technologie ist. Um 1900 gab es 15 Werkstätten im Erzgebirge, die Massefiguren herstellten, wobei die Masse eine Art Pappmaché ist, die an der Luft aushärtet. Die Herstellung geschnitzter oder gedrechselter Figuren war aufwendig – und teuer. Als Alternative bot sich die Massefigur an, zumal der Zeitgeschmack damals auch den größeren Detailreichtum einer Massefigur präferierte, wie Sturm mitteilte. In der Firma Lahl sind über 1000 Formen erhalten, aus denen etwa 700 Figuren hergestellt werden können. Wer jetzt stutzt, dem sei gesagt, das eine Art „Frankenstein“-Prinzip vorliegt – eine Figur kann schon mal aus mehreren Teilen zusammengesetzt sein, etwa was Arme, Beine und Kopf angeht.
Bergmänner und Jäger statt Jesus und Maria
Auf den frühen Weihnachtspyramiden ist die Weihnachtsgeschichte „zunächst mal oft gar nicht drauf“, betont Gerburg Sturm. Stattdessen holte man sich „die unmittelbare Umgebung, die Heimat, ins Haus“. Statt auf Jesus, Maria und Josef oder auch orientalische Könige setzte man lieber auf Förster, Jäger, Bergmänner und Soldaten. Auf einer Pyramide in der Schau ist Anton Günther zu erkennen, hinter ihm eine Frau, die Holz aus dem Wald holt.
Nach dem Krieg aus Blech und Kunststoffresten gebaut
Die ausgestellten Stücken können sich über alle Maßen sehen lassen. Da wären etwa eine Stufenpyramide von 1950 wie auch eine um 1935 von der Firma „Gläßer“ geschaffene Pyramide mit einer Darstellung von Christi – beide Exemplare sind Leihgaben von Claus Leichsenring aus Leukersdorf. Aus der Sammlung von Dr. Albrecht Kirsche aus Dresden stammen wiederum zwei Stufenpyramiden von 1925 und 1935. Letztere beruht auf einem Entwurf von Max Schanz (1895–1953), der als Lehrer und Direktor der Spielwarenfachschule die Spielzugproduktion im Erzgebirge maßgeblich prägte. Berührend eine Ständerpyramide, die von der Firma „Max Männicke“ in Pöhla kurz nach 1945 geschaffen wurde – und zwar aus Blech und Kunststoff-Resten, was die Not und Materialknappheit der unmittelbaren Nachkriegszeit widerspiegelt.
Kurzüberblick:
- Weihnachtsausstellung „Bewegte Ruhe“
- Öffnungszeiten: Bis 26. Februar, Di. bis So. 17 Uhr, geschlossen am 24.,25. und 31.12. sowie am 1.1. 2023
- Veranstaltung: am 28.12., 15 Uhr, spielt die Puppenspielerin „Madame Rosa“ alias Uta Davids aus Pulsnitz spielt im Kapitelsaal des Stadtmuseums das Märchen „Rumpelstilzchen“.
- Mehr Infos: www.pirna.de/stadtmuseum
Autor: Christian Ruf
Quelle: Vor-Ort-Recherche im Stadtmuseum Pirna
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