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Ifo: Bundeswehr braucht 25 Milliarden Euro mehr pro Jahr

Das versprochene 100-Milliarden-Euro-Programm von Kanzler Olaf Scholz wird nicht reichen, um die selbst definierten neuen Verteidigungsziele zu erreichen, warnt das Ifo-Institut. Zudem steht die Frage, ob ein massiver Ankauf von Panzern und Jets die richtige Antwort ist. Foto: Marco Dorow für die Bundeswehr

Das versprochene 100-Milliarden-Euro-Programm von Kanzler Olaf Scholz wird nicht reichen, um die selbst definierten neuen Verteidigungsziele zu erreichen, warnt das Ifo-Institut. Zudem steht die Frage, ob ein massiver Ankauf von Panzern und Jets die richtige Antwort ist. Foto: Marco Dorow für die Bundeswehr

Andernfalls könne die Bundesrepublik ihre neu definierten Verteidigungsziele nicht erfüllen

München, 19. April 2022. Wenn Deutschland seine Verteidigungskraft stärken und die Nato-Vorgabe erfüllen will, zwei Prozent seiner Wirtschaftskraft ins Militär zu investieren, müsste die Bundeswehr dauerhaft 25 Milliarden Euro mehr pro Jahr bekommen. Das hat das Ifo-Institut in München errechnet.

Forscher: Extraprogramm über 100 Milliarden kann alte Lücken schließen, reicht aber nicht

Die 100 Milliarden schuldenfinanzierten Extra-Euros, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als Antwort auf den russischen Einmarsch in die Ukraine den deutschen Streitkräften versprochen hat, werden demnach nicht genug. Die temporären Zusatzgelder seien „zwar gut und richtig, reichen aber angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine und der Zeitenwende im Sicherheitsverständnis in Europa dauerhaft nicht aus“, betonte Ifo-Forscher Florian Dorn.

„Zeiten der Friedensdividende sind vorbei“

Die 100 Milliarden sollen vor allem längst überfällige Ausrüstungslücken der Bundeswehr schließen. Im regulären Haushalt sind für die Verteidigung etwa 50,3 Milliarden Euro beziehungsweise 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung eingeplant. Die nominelle Steigerung des Wehretats um 7,2 Prozent im Jahre 2022 werde fast vollständig von der zu erwartenden Inflation aufgezehrt, warnte Dorn. „Die Zeiten der Friedensdividende, in der Einsparungen bei der Verteidigung finanzielle Spielräume für andere politischen Projekte ermöglichten, sind vorbei“, schätzte der Ifo-Forscher ein. „Das einmalige Sondervermögen wird keinesfalls ausreichen, die entstandene Finanzierungslücke der vergangenen Jahre vollständig aufzufangen, alle Mängel kurzfristig zu beseitigen und die Bundeswehr nachhaltig neu aufzustellen.“

Seit Ende des Ostblocks hat Deutschland Geld vom Militär in andere Projekte umverteilt

Insbesondere nach dem Ende des Kalten Krieges zwischen Ost und West hatten viele westliche Länder ihre Militärausgaben gekürzt und das Geld in andere Vorhaben gesteckt. So hatte beispielsweise Deutschland zwischen 1992 und 2022 die Zahl seiner Kampfpanzer um 88 Prozent und jene der Kampfflugzeuge und -hubschrauber um 78 Prozent reduziert. Diese Umverteilung hatte einerseits viele Sozialprogramme ermöglicht, anderseits auch das Wirtschaftswachstum in Europa seit 1991 beflügelt. Angesichts der russischen Invasion in der Ukraine und der generell aggressiveren Außenpolitik, die Russland und China seit einiger Zeit verfolgen, plädieren viele Politiker in Deutschland nun für einen Kurswechsel. Mehr Geld ins Militär zu pumpen, birgt aber sozialen und ganz generell auch gesellschaftlichen Sprengstoff und wird angesichts der ohnehin schwächelnden Konjunktur die Parteien einige ihrer jeweiligen Lieblingsprojekte kosten. Zudem zeichnet sich ab, dass Deutschland und einige andere Europäer ihre militärischen Lücken auf die Schnelle wohl nur durch Einkäufe in den USA, Israel, der Türkei und anderen außereuropäischen Rüstungsindustrien schließen können.

Stärkere Kooperation der europäischen Rüstungsschmieden empfohlen

Daher plädiert das Ifo auch für eine engere und straffere Kooperation der europäischen Rüstungsproduzenten. „Die relativ niedrigen Verteidigungsausgaben und der entsprechend geringe Umfang von Rüstungsaufträgen in Europa machen eine noch stärkere Kooperation zwischen den nationalen Rüstungsindustrien erforderlich, wenn wir weder technologisch den Anschluss noch sicherheitspolitisch die Autonomie verlieren wollen“, forderte Ifo-Forscher Marcel Schlepper. Allerdings selbst wenn die europäischen Schwergewichte Deutschland, Frankreich und und Großbritannien ihre Streitkräfte bündeln würden, könne Russland immer noch fünfmal so viele Kampfpanzer aufbieten, China sogar achtmal so viele, betonen die Studienautoren. Bei den Kampfflugzeugen und -hubschraubern seien es doppelt beziehungsweise drei Mal so viele. Ihre Folgerung: „Der europäische Kontinent ist von amerikanischen Sicherheitsgarantien abhängig. Neben den Vereinigten Staaten entwickeln aber auch China und Russland komplexe technologische Innovationen wie Tarnkappenjets und Hyperschallraketen für ihre jeweils umfangreichen Streitkräfte.“

Fokus nicht auf mehr Panzer und Jets einengen

Allerdings haben gerade jüngere Kriege und Konflikte wie die in der Ukraine, in Syrien, im Kaukasus, in Libyen und in Nahost gezeigt, dass Panzer und Jets nicht mehr unbedingt über Sieg oder Niederlage entscheiden. Vielmehr rücken immer mehr das Zusammenwirken mehrerer Waffensysteme, Kampf- und Aufklärungsdrohnen, mobile Panzer- und Raketenabwehrwaffen sowie der Einsatz besonders modern ausgestatteter, aber flexibel einsetzbarer Verbände in den Vordergrund. Insofern stellt sich die Frage, ob mehr Geld für mehr Panzer und Kampfflugzeuge allein die deutsche Verteidigungskraft effizient stärken kann.

Neue Aufrüstung ist gesellschaftlich umstritten

Und nicht zuletzt haben gerade auch während der jüngsten Ostermärsche viele Teilnehmer darauf hingewiesen, dass mehr Waffen nicht unbedingt mehr Frieden schaffen. Vielmehr komme es darauf an, auch wieder zu diplomatischen Lösungen zurückzufinden – auch mit Russland. Dem stehen wiederum andere Meinungen in Politik und Bevölkerung gegenüber, die nicht zuletzt von der ukrainischen Regierung auch befeuert werden, die in der Verteidigung der Ukraine einen grundsätzlichen Abwehrkampf des Westens gegen ein immer aggressiver agierendes Russland sehen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Ifo München, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt