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„Meyer Burger“ will mit China-Boykott deutsche Solarindustrie reanimieren

Der sächsische Umwelt- und Energieminister Wolfram Günther (rechts) und "Meyer Burger"-Chef Gunter Erfurt zeigen im Werk Freiberg Proben der neuen, hocheffizienten Heterojunction“-Solarzellen. Foto: Heiko Weckbrodt

Der sächsische Umwelt- und Energieminister Wolfram Günther (rechts) und „Meyer Burger“-Chef Gunter Erfurt zeigen im Werk Freiberg Proben der neuen, hocheffizienten Heterojunction“-Solarzellen. Foto: Heiko Weckbrodt

7 Gigawatt + 3500 Jobs avisiert: Schweizer stoppen Anlagenexport gen Fernost und bauen eigene Solar-Gigafabriken in Freiberg und Thalheim

Freiberg, 21. April 2021. Gunter Erfurt hat einen ehrgeizigen Plan: Der Chef des Schweizer Unternehmens „Meyer Burger“ möchte die mitteldeutsche Solar-Industrie wiederbeleben, das Unternehmen vom Fabrikausrüster zum Photovoltaik-Komplettanbieter umwandeln und die Dominanz chinesischer Hersteller auf den Weltmarkt brechen. Schlüsselrollen spielen in seinem Plan ein China-Boykott, hocheffiziente Energiesammler und neue Giga-Fabriken im sächsischen Freiberg und im sachsen-anhaltinischen Thalheim. „Wir werden Wertschöpfung und Arbeitsplätze nach Europa zurückholen“, gab sich der Geschäftsführer zuversichtlich.

Vor zehn Jahren hatte "Meyer Burger" diese Fabrikhalle für Solarworld ausgerüstet. Inzwischen ist Solarworld (siehe ausgebleichtes Logo links) pleite und die Schweizer wollen darin selbst Solarmodule herstellen. Foto: Heiko Weckbrodt

Vor zehn Jahren hatte „Meyer Burger“ diese Fabrikhalle für Solarworld ausgerüstet. Inzwischen ist Solarworld (siehe ausgebleichtes Logo links) pleite und die Schweizer wollen darin selbst Solarmodule herstellen. Foto: Heiko Weckbrodt

Umweltminister Günther: Das hilft bei der Energiewende und stärkt unsere Autarkie

Diese Ansage freut auch den sächsischen Umwelt- und Energieminister Wolfram Günther (Bündnisgrüne): „Wir sind den Klimazielen von Paris verpflichtet“, betonte er beim Treffen mit dem „Meyer Burger“-Chef. Wenn das Unternehmen künftig in Freiberg innovative Photovoltaik-Module fertige, dann unterstütze dies gleichermaßen die Energiewende, die deutschen Autarkie-Bemühungen und den Wirtschaftsstandort Sachsen. Seine Hoffnung: „Die Solar-Industrie kommt in großem Maßstab zurück.“

Der sächsische Umwelt- und Energieminister Wolfram Günther (links) und "Meyer Burger"-Chef Gunter Erfurt zeigen im Werk Freiberg Proben der neuen, hocheffizienten Heterojunction“-Solarzellen. Foto: Heiko Weckbrodt

Der sächsische Umwelt- und Energieminister Wolfram Günther (links) und „Meyer Burger“-Chef Gunter Erfurt zeigen im Werk Freiberg Proben der neuen, hocheffizienten Heterojunction“-Solarzellen. Foto: Heiko Weckbrodt

Ingenieure treiben Energieausbeute auf 24 Prozent hoch

Um diese Vision zu ermöglichen, haben „Meyer Burger“-Ingenieure aus der Schweiz und aus dem sächsischen Hohenstein-Ernstthal in Kooperation mit Fraunhofer in den vergangenen zwölf Jahren eine neue Generation von Anlagen konstruiert, mit denen sich weit effizientere Sonnenenergiesammler herstellen lassen als bisher. Die neuen Module kommen laut Erfurt auf einem Wirkungsgrad von 24 Prozent, wandeln also ein knappes Viertel der einfallenden Lichtenergie und elektrische Energie um. Damit liefern sie etwa ein Fünftel mehr Strom pro Quadratmeter als die Serien-Module aus dem Reich der Mitte. „Damit sind wir dem Markt etwa drei Jahre voraus“, schätzte der Geschäftsführer bei einem Besuch in Freiberg ein.

Meyer Burger steigt in eigene Zell- und Modulproduktion ein – zu Lasten Chinas

Und das ist elementar für ein weiteres Kapitel in Erfurts Plan: Anders als früher will er diese innovativen Anlagen nämlich nicht mehr an die Chinesen verkaufen. Das läuft de facto auf ein Boykott und eine Kampfansage des größten europäischen Solarfabrik-Ausrüsters gen Peking hinaus. Statt dessen will der Konzernchef mit diesen neuen Anlagen nur noch eigene Fabriken ausrüsten. Dafür verzichtet er zwar auf viel Umsatz in Asien, hofft aber auf umso mehr Zukunftspotenzial und Wertschöpfung in Europa, wenn sich „Meyer Burger“ tiefgreifend transformiert: Statt „nur“ Anlagen für Solarfabriken zu entwickeln und herzustellen, wird der Konzern nun auch eigene Solarzellen und -module fertigen.

Ende Mai 2021 will "Meyer Burger" die ehemalige Solarwold-Fab als eigenes Modulwerk wiedereröffnen. Die Schweizer haben einen Teil der Maschinen vom Insolvenzverwalter übernommen, andere werden derzeit neu eingerichtet. Foto: Heiko Weckbrodt

Ende Mai 2021 will „Meyer Burger“ die ehemalige Solarwold-Fab als eigenes Modulwerk wiedereröffnen. Die Schweizer haben einen Teil der Maschinen vom Insolvenzverwalter übernommen, andere werden derzeit neu eingerichtet. Foto: Heiko Weckbrodt

Hallen von pleite gegangenen Solarfirmen gesichert

Dafür hat sich „Meyer Burger“ ein paar Hallen der pleite gegangenen „Solarworld“ sowie einer Q-Cells-Tochter gesichert. Diese Fabriken rüsten die Schweizer derzeit für 145 Millionen Euro so um, so dass sie zunächst Zellen und Module für insgesamt etwa 400 Megawatt Leistung pro Jahr produzieren können.

1600 Bewerber auf 350 Stellen

In Sachsen und im Raum Bitterfeld-Wolfen gebe es einfach die richtigen Infrastrukturen, die Erfahrungen und das Fachkräfte-Potenzial für solch eine Unternehmung, erklärte Erfurt die Standortwahl. Zumindest der Ansturm auf die ausgeschriebenen Jobs gibt ihm schon mal recht: Auf 350 Stellen – etwa 50:50 verteilt an beiden Standorten – bekam sein Team rund 1600 Bewerbungen. Offizieller Start für die zwei Fabriken soll in der zweiten Mai-Hälfte sein.

Thalheim stellt Zellen her, Freiberg montiert sie

Vorgesehen ist folgende Arbeitsteilung: Die Zell-Fabrik in Thalheim – das ist ein Ortsteil von Bitterfeld-Wolfen und nennt sich selbst gern „Solar Valley“ – stellt die sogenannten „Heterojunction“-Solarzellen her und liefert sie dann nach Freiberg. Die Sachsen montieren daraus dann mit dem neuen Smartwire-Verfahren besonders effiziente Solarmodule, die Licht von oben und unten auffangen und in Strom umwandeln können. Hohenstein-Ernstthal konzentriert sich auf die Entwicklung und den Bau neuer Maschinen sowie die Zell-Forschung. Außerdem hat „Meyer Burger“ einen Teil seiner zentralen Konzernabteilungen aus der Schweiz nach Hohenstein-Ernstthal verlagert. Dort werden – nachdem allerdings zuvor 30 Leute gehen mussten – nun etwa 400 Beschäftigte tätig sein. Die Standorte in der Schweiz fokussieren sich unter anderem auf die Entwicklung besserere Module. Insofern bekommt der gesamte Schweizer Konzern durch die Weichenstellungen der jüngeren Vergangenheit ein viel stärkeren deutschen Schwerpunkt.

Zellfabrik für 7 Gigawatt geplant

Und dies ist nur der Anfang, wenn es nach dem „Meyer Burger“-Chef geht: Abhängig von der Marktlage will er die Zellproduktion in Thalheim bis zum Jahr 2027 auf sieben Gigawatt hochfahren. Das entspricht etwa der Leistung von etwa fünf Atomkraftwerken. Damit würde „Meyer Burger“ dann in einer Liga mit den chinesischen Giga-Fabs agieren. Die Modul-Produktion in Freiberg will das Unternehmen parallel dazu auf etwa ein Gigawatt hochfahren. Der Zellstandort Thalheim wird dann also nicht mehr nur ausschließlich die Schwester-Fab in Sachsen, sondern auch andere Modulfabriken versorgen.

Über 10.000 direkte und indirekte Jobs avisiert

Die Arbeitsmarkt-Effekte in Mitteldeutschland wären – wenn all diese Blütenträume auch reifen – nicht zu unterschätzen: Die Fabriken Thalheim und Freiberg würden dann zusammen rund 3500 Menschen direkt beschäftigen. Zwei- bis dreimal so viele neue Jobs seien als indirekte Folge im Umfeld dieser Werke zu erwarten, schätzt Erfurt. Sprich: In Summe würde die neue, alte Wertschöpfungskette weit über 10.000 Menschen Lohn und Brot sichern.

Glas aus Cottbus, Automaten aus Limbach-Oberfrohna

Die Ausstrahlkraft dürfte weit über Freiberg und Bitterfeld-Wolfen hinausreichen: Die Qualitätsgläser beispielsweise, mit denen „Meyer Burger“ seine neuen Module in Freiberg verkapselt, stammen aus einer Fabrik bei Cottbus. Das Silizium für die Zellen soll aus einer – allerdings ungenannten – europäischen Quelle stammen. Die Automatisierungstechnik bezieht das Unternehmen von Aumann (ehemals USK) in Limbach-Oberfrohna

Subventionen avisiert

Die sächsische Landesregierung setzt auf all diese neu wachsenden Wertschöpfungsketten und Pläne der Schweizer großen Hoffnungen und will sie auch finanziell durch Beihilfen unterstützen. Zudem hat Erfurt auch in Aussicht gestellt, womöglich auch in der Lausitz zu investieren, um dort den Kohleausstieg zu erleichtern. Die genauen Subventionen aus Sachsen sind aber noch nicht ausverhandelt.

China zogen zackig riesige Solarfabriken hoch – und stießen deutsche Modulhersteller vom Sonnenthron

Bei diesem ehrgeizigen Neuanlauf für die mitteldeutsche Solarindustrie wollen die Beteiligten allerdings die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. „Etwa im Zeitraum zwischen 2000 und 2012 war Deutschland schon mal Weltmarktführer in der Photovoltaik“, erinnerte Staatssekretär Gerd Lippold von sächsischen Energieministerium. Ein Großteil dieser Solarindustrie hatte sich damals in Sachsen und Sachsen-Anhalt konzentriert. „In China hat man dann aber mit viel mehr Kapitaleinsatz und Entschlossenheit mit importierten deutschen Maschinen eine eigene Photovoltaik-Industrie aus dem Boden gestampft.“ Und die warf die – damals stark indirekt subventionierte – deutsche Solarindustrie dann gnadenlos vom Sonnenthron. Damals hätten deutsche Unternehmen wie Solarworld zwar qualitativ hochwertige Module hergestellt, konnten sich in puncto Leistung aber von den billigeren chinesischen Produkten nicht absetzen. Der Grund liege auf der Hand, so Erfurt: „Solarworld wie die Chinesen haben die Maschinen vom gleichen Ausrüster verwendet: von uns.“

„Meyer Burger“-Chef: Diesmal läuft das anders

Insofern werde diesmal alles ganz anders laufen, versprach der Konzernchef: Weil er den Chinesen seine neuesten Anlagen nicht mehr verkauft, müssen die nun erst mal den technologischen Vorsprung der europäischen Ausrüster aufholen.

Von wegen Billiglohnland: Ingenieurgehälter in China auf Schweizer Niveau gestiegen

Hinzu kommt: Seit der deutschen Solarkrise sind die Löhne für Akademiker im Reich der Mitte stark gestiegen. „In China bekommen bekommen viele Ingenieure und Techniker ähnlich viel Geld wie ihre Schweizer Kollegen“, berichtet Erfurt. „Dagegen ist Deutschland inzwischen ein Billiglohnland.“ Zudem funktioniert die Produktion von Solarzellen und -modulen inzwischen längst hochautomatisiert, daher fallen Lohnkostenvorteile ohnehin kaum ins Gewicht: „Etwa 80 Prozent der Herstellungskosten sind Materialkosten. Rund zehn Prozent sind Personalkosten und zehn bis 15 Prozent sind Transportkosten, wenn die Module aus China kommen.“ Und eben diese Transportkosten und -zeiten wollen die Schweizer mit ihrer Entscheidung für eine eigene Zell- und Modulproduktion in Mitteldeutschland, im Herzen Europas, sparen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Meyer Burger, Smekul, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt