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Vor 20 Jahren ging Infineon an die Börse

In den Dresdner Chipfabriken von Infineon werden viele „Industrie 4.0“-Prinzipien schon heute erprobt – auch das Miteinander von Roboter und Mensch

Gemessen an Aktienkursen war der deutsche Chipkonzern lange Zeit ein Rohrkrepierer –realwirtschaftlich dagegen hat sich Infineon bestens platziert.

München/Dresden, 13. April 2020. Genau 20 Jahre nach seinen ersten Schritten auf dem Börsenparkett schickt sich der Halbleiterkonzern Infineon aus Neubiberg bei München jetzt an, in eine neue Liga aufzusteigen: Vor wenigen Tagen haben die Aufsichtsbehörden den Deutschen erlaubt, den amerikanischen Chiphersteller Cypress zu kaufen. Gelingt der Deal, wird Infineon zu einem der größten Anbieter von Automobil-Schaltkreisen weltweit – und steigt in die Liste der zehn größten Halbleiterhersteller auf.

Kurs auf Achterbahn-Fahrt

Normalerweise würden sich Kleinaktionäre wie Großanleger jetzt die Hände reiben und könnten sich über fette Kursgewinne freuen. Das Corona-Virus und die dadurch ausgelöste Schockwelle für die Weltkonjunktur haben den Infineon-Kurs jedoch auf eine Achterbahnfahrt geschickt: Die Aktie notierte vor dem Wochenende bei etwas über 14 Euro und damit sieben Prozent über dem Vortag – vorausgegangen waren aber dramatische Kursverluste während der ganzen Woche.

Tritt man jedoch ein paar Schritte zurück und vergisst für einen Moment die Spekulationen und Ängste der Börsenhaie, ergibt sich ein anderes Bild: Infineon gilt als ein Paradebeispiel dafür, dass auch europäische Unternehmen im teuren weltweiten Mikroelektronik-Wettlauf mithalten können – in einer klug gewählten Nische.

Da ist die Freude groß: 1988 drückt Carl-Zeiss-Jena-Chef Wolfgang Biermann (Mitte) Erich Honecker den Megabit-Chip in die Hand. Abb.: ZMD-Archiv

Da ist die Freude groß: 1988 drückt Carl-Zeiss-Jena-Chef Wolfgang Biermann (Mitte) Erich Honecker den Megabit-Chip in die Hand. Abb.: ZMD-Archiv

Megabit-Programme beschäftigten in den 80ern DEutschland Ost wie West

Ursprünglich allerdings wollten die Deutschen auch am ganz großen Rad drehen – in Ost wie West: In den 1980ern versuchten Siemens in der Bundesrepublik und Carl Zeiss Jena beziehungsweise das ZMD Dresden in der DDR mit jeweils massiver staatlicher Unterstützung, den damals uneinholbar erscheinenden Vorsprung der Japaner in der Mikroelektronik aufzuholen. West wie Ost legten aufwendige „Megabit“-Programme auf, die vor allem auf den Speicherchip-Markt zielten. Was daraus in der DDR wurde, ist bekannt.

Im Westen dagegen wirkte das Megabit-Programm noch lange nach. Als die Halbleitersparte von Siemens nach der Wende in Dresden ein großes Chipwerk baute, sollte das natürlich Spitzen-Speicherchips bauen. Wenig später trennte sich Siemens aber von der ganzen Sparte und gründete sie unter dem Namen „Infineon“ aus. Das neue Unternehmen ging im März 2000 an die Börse, um Kapital für eine weitere Expansion einzusammeln.

Aber auch Infineon verhob sich beinahe an dem immer kapitalintensiveren Versuch, Speicherchip-Fabriken auf dem neuesten Stand der Technik zu bauen. Ulrich Schumacher, der den ehrgeizigen Expansionskurs lange gesteuert hatte, musste 2004 gehen. Seine Nachfolger änderten den Konzernkurs. Und sie gliederten 2006 nun ebenfalls wieder die Speicherchip-Sparte unter dem Namen „Qimonda“ aus.

Mit einem Schlag war Dresden dadurch plötzlich ein wichtiger Werkstandort für zwei große Halbleiterkonzerne: Qimonda produzierte in einer hochmodernen 300-Millimeter-Wafer-Fabrik Speicherchips, während sich die zwei älteren 200-Millimeter-Fabriken nebenan unter Infineon-Regie auf Spezialchips für Autos, Industrie, Sicherheits-Anwendungen und dergleichen mehr orientierte. Doch schon drei Jahre später ging Qimonda wegen des starken internationalen Preis- und Wettbewerbsdrucks in der Speicherchip-Branche pleite, Tausende verloren auch in Dresden ihre Jobs. So bitter der Verlust von Qimonda für Sachsen und ganz Deutschland auch war, ist im Rückblick allerdings eines recht klar: Hätte Infineon die Speicherchipsparte nicht abgestoßen, hätte die das Mutterunternehmen wahrscheinlich mit ins Grab gezogen.

Bei einem Jahresumsatz von rund acht Milliarden Euro beschäftigt Infineon heute rund 41.400 Mitarbeiter weltweit. Darunter sind rund 2700 Beschäftigte in Dresden tätig. Hier unterhält das Unternehmen drei hochautomatisierte Fabrikmodule inklusive einer neuen Leistungselektronik-Fertigung und ein Entwicklungszentrum. Ein weiteres Fabrikmodul stand zuletzt zur Debatte – allerdings war das noch vor der Abschwungwelle im Zuge der Corona-Pandemie.

Aktie wurde zeitweise zum Cent-Artikel

Wie wenig Börse und Realwirtschaft oft genug miteinander zu tun haben, zeigt im Übrigen auch der Blick auf die langfristige Entwicklung der Infineon-Aktie: Kurz nach dem Börsenstart erreichte die Kurse nahe der 90 Euro. Nach einer dramatischen Talfahrt kostete die Aktie 2009 zeitweise nur noch 38 Cent. Doch nach vielen Auf- und Abfahrten steht das Unternehmen heute weit stabiler und zukunftssicherer als vor zwei Jahrzehnten da. Allerdings kommt der Infineon-Kurs schon seit Jahren nicht mehr über 26 Euro pro Aktie hinaus.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Infineon, Comdirect, boerse.de, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt