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Scharf, Bio und bunt: Handwerk auf Innovationskurs

Unikate: Die Hefte dieser Messer sind aus dem Holz ausgemusterter Xylophone gemacht - erkennbar auch am Notenbuchstaben. Foto: Heiko Weckbrodt

Unikate: Die Hefte dieser Messer sind aus dem Holz ausgemusterter Xylophone gemacht – erkennbar auch am Notenbuchstaben. Foto: Heiko Weckbrodt

Wenn Haarescheiden und Brötchenbacken allein nicht mehr reichen… drei Beispiele aus Dresden

Dresden, 19. September 2019. Der digitale Wandel, veränderte Konsumentenwünsche, mehr staatliche Regulierung und neue, teils transnationale Mitspieler auf dem Markt stellen viele alteingesessene Handwerker vor existenzielle Probleme. Doch mehr und mehr Familien-Kleinbetriebe reagieren mit faszinierenden Produkten, technischen Innovationen und veränderten Geschäftsmodellen auf diesen Wandel. Und dabei agieren sie inzwischen oft sehr erfolgreich, schätzt der Dresdner Handwerkskammer-Präsident und Dachdecker Jörg Dittrich ein. „Steigende Umsätze, volle Auftragsbücher, exzellentes Geschäftsklima: Vielen Handwerksbetrieben geht es richtig gut“, meint er. „Doch dies kommt nicht von ungefähr sondern ist das Ergebnis von harter Arbeit und Innovationsfreude.“

Bäcker verkauft nicht nur Brötchen, sondern auch Freundlichkeit

Ähnlich sieht das Projektleiter Ulrich Goedecke: Er hilft im Dresdner „Kompetenzzentrum digitales Handwerk“ den Meistern und Gesellen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die Idee dahinter: Wenn die Friseuse vom Haareschneiden allein nicht mehr leben kann, muss sie ihren Salon zu einem Ort der Begegnung und der Schönheit ausbauen. Und wenn der Bäcker vor der Pleite steht, weil seine alten Stammkunden die Brötchen lieber billig im Supermarkt kaufen, sollte er sich darauf besinnen, was zählt: „Der Bäckermeister verkauft nicht nur Brötchen, sondern auch Qualität, Geschmack und Freundlichkeit“, betont Goedecke. Und So könne aus der Backstube etwas Neues werden, das auch die „Generation Instagram“ anzieht.

Projektleiter Ulrich Goedecke vom Dresdner Projekt "Geschäftsmodelle" im „Kompetenzzentrum digitales Handwerk“ . Rechts im Hintergrund: Handwerkskammer-Hauptgeschäftsführer Andreas Brzezinski. Foto: Heiko Weckbrodt

Ulrich Goedecke betreut in Dresden das Projekt „Geschäftsmodelle“ im „Kompetenzzentrum digitales Handwerk“ . Rechts im Hintergrund: Handwerkskammer-Hauptgeschäftsführer Andreas Brzezinski. Foto: Heiko Weckbrodt

Wir haben drei dieser meisterlichen Innovatoren in Dresden besucht und stellen sie hier zum Tag des Handwerks (21. September 2019) im Kurzporträt vor:

Scharfes ist wieder im Kommen: Ingo Mager schleift ein Messer solange, bis die Tomate beim bloßen Anblick zerfällt. Eine große Schleifwerkstatt hat er an der Großenhainer Straße, im Laden an der Alaunstraße in Dresden gibt er seine Kurse. Foto: Heiko Weckbrodt

Scharfes ist wieder im Kommen: Ingo Mager schleift ein Messer solange, bis die Tomate beim bloßen Anblick zerfällt. Eine große Schleifwerkstatt hat er an der Großenhainer Straße, im Laden an der Alaunstraße in Dresden gibt er seine Kurse. Foto: Heiko Weckbrodt

1. Der Schleifer: Messer-Mager macht sie alle scharf

Als Instrumentenschleifer Info Mager den Betrieb an der Alaunstraße im Jahr 1987 übernahm, lief das Geschäft, wie ein privates Geschäft zu DDR-Zeiten eben laufen konnte: „Damals haben wir medizinische Instrumente geschärft“, erzählt Messer-Mager. Drei Jahre später war davon keine Rede mehr: „Eben haben wir noch an die 1000 Skalpelle pro Woche geschliffen – und dann haben die ganzen Krankenhäuser auf Wegwerfinstrumente umgestellt.“

Messer-Unikate und Schleifkurse für die Hobbyköche

Um die drastischen Umsatzeinbrüche auszugleichen, wandte sich Mager neuen Geschäftsfeldern zu: Er begann mit dem Messerhandel, darunter erlesene Unikate mit Griffen aus Xylophon-Holz und edle Damaszener-Klingen. Er schliff nun auch für die private Nachbarschaft, gab Schleifkurse für Hobbyköche. Und erarbeitete sich solch eine Reputation, dass inzwischen Restaurants, Hotels, Druckereien, Händler und Industriebetriebe aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz ihre großen und kleinen Klingen vom Dresdner Messer-Mager schleifen lassen. Das liegt auch an seiner besonderen Expertise. „Ich kann sogar Keramikmesser wieder schärfen“, sagt Mager. „Der Aufwand ist allerdings eigentlich unvernünftig hoch“ – denn dafür braucht er Diamantschleifen.

Männer gehen Kochen wie ein Heimwerker-Projekt an

Auch bei den Endkunden traf er den Nerv der Zeit: „Meine Schleifkurse sind bis zum Jahresende ausgebucht“, erzählt er. „Da haben mir sicher die vielen Kochsendungen im Fernsehen geholfen. Dadurch kochen jetzt auch viele Männer – und die geben Geld für vernünftiges Werkzeug aus.“ Aber auch Frauen finden sich in seinen Kursen und geben teils viel Geld für scharfe Messer aus, betont der Schleifer. Eines hält Ingo Mager jedenfalls für sicher: „Wenn ich mich nur auf den Messerhandel verlassen hätte, wie viele Kollegen nach der Wende, gäbe es uns heute nicht mehr.“

Konditormeister Martin Heller garniert Erdbeer-Torteletten in der Huchenglocke Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Konditormeister Martin Heller garniert Erdbeer-Torteletten in der Kuchenglocke Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

2. Der Konditor und die Kuchenglocke

Vor vier Jahren übernahmen die Hellers das Eckhaus neben der Luther-Kirche in der Neustadt: „Das Wasser stand im Keller, jeder Gastronomiebetrieb war verboten – da war viel zu tun“, erinnern sich BWLerin Caroline und Konditormeister Martin Heller. Binnen eines Dreivierteljahres möbelte das Paar das Gebäude auf – und machte einen florierenden Laden daraus: In der „Kuchenglocke“ sieht man das klassische Neustadt-Publikum vom babytragenden Papa bis zu Veganerin ebenso wie das ältere japanische Ehepaar oder die Touristen aus Bayern. „Die Touristen wollen meist Eierschecke probieren, wenn sie nach ihrer Tour von Pfunds Molkerei zum Kunsthof schließlich bei uns landen“, erzählt Caroline Heller.

Heller senior kreierte laktosefreies Eis und vegetarische Küchlein

Doch mit Eierschecke und Brötchen allein lässt sich heute kein Blumentopf mehr gewinnen – das hat schon Martin Vater Thomas im Backhauptquartier der Familie in Leubnitz-Neuostra erkannt: Er kreierte Biokuchen, laktosefreies Eis und vegane Leckereien, die dem Geschmack der jüngeren Generationen entgegenkamen. Mittlerweile sind diese Spezialitäten so beliebt, dass der Senior 85 Prozent seines Umsatzes damit macht, seine Bio-Kuchen und Hafer-Eiscremes an andere Bäcker, Cafés und Restaurants weit über Dresden hinaus zu liefern.

Konditoren brauchen heutzutage auch Herzhaftes im Angebot, ist Meister Martin Heller von der Kuchenglocke Dresden überzeugt. Foto: Heiko Weckbrodt

Konditoren brauchen heutzutage auch Herzhaftes im Angebot, ist Meister Martin Heller von der Kuchenglocke Dresden überzeugt. Foto: Heiko Weckbrodt

Fruchtig statt süß: Konditor-Handwerk modern interpretiert

Sohn und Schwiegertochter haben diesen Diversifizierungskurs fortgesetzt und die „Kuchenglocke“ zu einem trendigen Neustadttreff gemacht. „Wir kreieren zum Beispiel lieber Törtchen statt Torten, bieten Herzhaftes und Frühstück für die Gästeunterkünfte im Viertel an, haben ein breites Bio-Sortiment und machen Konditorei in einem modernen Sinne: weniger süß, dafür fruchtiger“, erzählt Martin Heller. „Das entspricht eher dem Zeitgeist.“

Kinderzimmer und Still-Refugium

Damit auch Eltern gerne und lange in der „Kuchenglocke“ bleiben, haben die Hellers ein Kinderzimmer, Wickel- und Stillraum eingerichtet. Zum Zeitgeist gehören aber auch ein modernes Kassensystems mit Smartphones und Apps, Stellplätze für Kinderwagen und Rad-Anhänger und dergleichen Details. „Die Kuchenglocke ist ein schönes Beispiel, wie sich ein ganz klassisches Handwerk durch moderne Konzepte weiterentwickelt“, lobt Handwerkskammer-Hauptgeschäftsführer Andreas Brzezinski die Hellers.

Frisör-Azubine Elsa Schinner wäscht Haare in der Villa Baumgarten. Foto: Heiko Weckbrodt

Frisör-Azubine Elsa Schinner wäscht Haare in der Villa Baumgarten. Foto: Heiko Weckbrodt

3. Die Friseuse und die Paradiesvögel

Heute verdient die „Villa Baumgarten“ am Dresdner Albertplatz wieder ihren Namen: Die repräsentative Villa fällt sofort ins Auge. Drinnen ist sie in einem schicken marokkanischen Stil eingerichtet und fraglos ein Kleinod. Das war indes ganz anders, als Friseurmeisterin Juliane Sach 2011 davor stand: „Die Villa war eine Ruine“, erinnert sie sich. Und doch war sie wie elektrisiert von dem Gebäude – und wollte daraus unbedingt „einen Begegnungsort für mein Kiez machen.“ Und Sach stemmte diese Mammutaufgabe tatsächlich: 2012 öffnete sie dort ihren Salon, der aber eben deutlich mehr ist als „nur“ ein Ort zum Haareschnippeln.

Friseurmeisterin Juliane Sach setzt auf  ein breites Geschäftsmodell rund um das Thema "Schönheit" in ihrer "Villa Baumgarten." Dadurch kann sie zum Beispiel ihren At´zubis auch etwas mehr zahlen als sonst in der Branche üblich. Foto: Heiko Weckbrodt

Friseurmeisterin Juliane Sach setzt auf ein breites Geschäftsmodell rund um das Thema „Schönheit“ in ihrer „Villa Baumgarten.“ Dadurch kann sie zum Beispiel ihren At´zubis auch etwas mehr zahlen als sonst in der Branche üblich. Foto: Heiko Weckbrodt

Gemälde, Burleque-Tanz und Kosmetika

Zu ihrem Frisörsalon 2.0 gehören beispielsweise Hand- und Fußpflege, Schminkkurse, eine Weiterbildungsakademie. Und sie sucht sich immer wieder Partner, mit denen sie etwas Besonderes bieten kann. Sie richtet Kunstausstellungen aus, verkauft Weine befreundeter Winzerinnen und vertreibt Kosmetika für das deutsch-französische Unternehmen „La Biosthetique“. Auch organisiert sie Mädelsabende mit Burlesque-Tänzerinnen und Modebrillen-Präsentationen und dergleichen mehr. „Wer hat heute schon noch Zeit, alles einzeln abzuklappern“, skizziert Sach die Idee dahinter. „Für meine Kundinnen ist es doch viel praktischer, wenn sie alles an einem Abend ausprobieren können.“

Azubi Ben Lange übt in der "Villa Baumgarten" eine Handmassage. Als Versuchsperson hat er seine Mutter Marina Lange gewonnen. Im Hintergrund guckt Ausbilderin Maria Hugl zu. Foto: Heiko Weckbrodt

Azubi Ben Lange übt in der „Villa Baumgarten“ eine Handmassage. Als Versuchsperson hat er seine Mutter Marina Lange gewonnen. Im Hintergrund guckt Ausbilderin Maria Hugl zu. Foto: Heiko Weckbrodt

Lehrlinge posten ihre Kreationen auf Instagram

Zugleich setze sie auf eine anspruchsvolle Ausbildung und zahle ein Fünftel mehr Lehrgut als andere in der Branche. Das zahle sich auch für sie aus: Ihre Azubinen und Azubis tragen schon im zweiten, dritten Lehrjahr essenziell zum Geschäftsbetrieb bei, kreieren eigene – oft auch recht bunte – Frisuren, verbreiten Bilder ihre Kollektionen per Instagram und helfen bei Modeschauen mit. „Dadurch sprechen wir auch eine jüngere Kundschaft an.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Recherche, HWK, Kompetenzzentrum digitales Handwerk

In der Färbewerkstatt kreieren die jungen Friseurinnen oft recht bunte Frisuren. Foto: Heiko Weckbrodt

In der Färbewerkstatt kreieren die jungen Friseurinnen oft recht bunte Frisuren. Foto: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt