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Dresdner Forscher arbeiten an heilenden Zucker-Polymeren

Treffen in der Uniklinik Dresden: Der Internist Prof. Lorenz Hofbauer, die Chemikerin Passant Atallah und Materialwissenschaftler Prof. Carsten Werner mit dem Modell der synthetischen Polymere und Zuckermoleküle, die als bioaktives Material die Wundheilung beschleunigen sollen. Foto: Heiko Weckbrodt

Treffen in der Uniklinik Dresden: Der Internist Prof. Lorenz Hofbauer, die Chemikerin Passant Atallah und Materialwissenschaftler Prof. Carsten Werner mit dem Modell der synthetischen Polymere und Zuckermoleküle, die als bioaktives Material die Wundheilung beschleunigen sollen. Foto: Heiko Weckbrodt

Neue Biomaterialien sollen Haut und Knochen schneller gesunden lassen

Dresden, 30. Juni 2017. Mediziner und Materialwissenschaftler aus Dresden und Leipzig wollen gemeinsam dafür sorgen, dass ewig schwärende Wunden von Diabetikern und Krebspatienten doch noch heilen. Sie entwickeln derzeit neuartige Biomaterialien aus speziellen Zucker-Polymeren, die in Zukunft zu ganz verblüffenden medizinischen Fortschritten führen könnten: Knochenbrüche oder Hautwunden sollen damit bis zu doppelt so schnell verheilen wie bisher. Erste Praxisversuche mit Tiermodellen haben bereits hoffnungsvolle Ergebnisse geliefert.

Erste Experimente mit menschlichen Zellen vielversprechend

„Es ist uns beispielsweise gelungen, Knochen- und Hautwunden um 30 Prozent schneller heilen zu lassen beziehungsweise überhaupt eine dauerhafte Heilung zu erreichen“, erzählt der Knochenspezialist und Altersmediziner Prof. Lorenz Hofbauer vom Uniklinikum Dresden. Auch erste Experimente mit Wundsekreten und Zellen menschlicher Patienten seien sehr vielversprechend verlaufen.

Prof. Dr. Lorenz Hofbauer von der Medizinischen Klinik III und vom Zentrum für Gesundes Altern in der Uniklinik Dresden. Foto. Heiko Weckbrodt

Prof. Dr. Lorenz Hofbauer von der Medizinischen Klinik III und vom Zentrum für Gesundes Altern in der Uniklinik Dresden. Foto. Heiko Weckbrodt

10 Millionen Euro für Sonderforschung von der DFG

Gleichzeitig dämpfen die Forscher aber Erwartungen, dass Wunderpflaster, die Wunden im Eiltempo heilen, schon übermorgen in den Apotheken zu haben sind: Noch stecken die sächsischen Teams in der Grundlagenforschung, betont der Materialwissenschaftler Prof. Carsten Werner vom Dresdner Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF). Gerade erst habe man von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) noch einmal zehn Millionen Euro Fördergeld bewilligt bekommen, um den „Sonderforschungsbereich Transregio 67 – Funktionelle Biomaterialien zur Steuerung von Heilungsprozessen in Knochen- und Hautgewebe“ in Dresden und Leipzig in den kommenden vier Jahren zu einem erfolgreichen Abschluss bringen zu können. Der Verbund wird von dem Leipziger Hautarzt Prof. Jan Simon geleitet.

Knochen sollen im Eiltempo und auf den Punkt heilen

Schon seit über acht Jahren tüfteln die sächsischen Wissenschaftler an dem Konzept, durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Haut- und Knochenärzten, Chemikern, Physikern, Biologen und anderen Experten neue Stoffe zu synthetisieren, die die natürlichen Selbstheilungsprozesse im Körper unterstützen. Materialien also, die der Patient wie ein Pflaster auflegt und beispielsweise die üblen Schürfwunden nach einem Fahrradunfall binnen kürzester Zeit verschwinden lassen. Die die Selbstreparatur eines Knochenbruchs zu einer Sache weniger Wochen machen. Oder die die schrecklichen offenen Dauerwunden mancher Zuckerkranker endlich schließen können.

Materialwissenschaftler Prof. Carsten Werner vom Dresdner Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPFDD). Foto: Heiko Weckbrodt

Ingenieure lernen von Ärzten

Damit dies gelingt, mussten zunächst die Naturwissenschaftler und Ingenieure von Ärzten lernen, wie der menschliche Körper eigentlich Wunden heilt. Jede uns noch so überflüssig erscheinende Phase hat dabei einen eigenen Sinn: Die schmerzhafte Entzündung beispielsweise dient der Selbstreinigung der Wunde von Erregern, die höhere Durchblutung steigert das Heiltempo. Die hässlichen Narben oder überschießender Knochen hinterher sind wiederum Anzeichen dafür, dass die körpereigenen Botenstoffe das Zellwachstum nicht rechtzeitig gestoppt haben.

Was INP-Direktor Klaus Dieter Weltmann da in der Hand hält, ähnelt nicht zufällig einem Zahnarzt-Instrument: Neben Plasma-Verband und ähnlichen Erfindungen haben er und seine Kollegen auch ein Gerät entwickelt, das chronisch offene Wunden im Zahnapparat mit Plasma schließt. Den Plasma-Verband durften wir leider nicht ablichten. Foto: Heiko Weckbrodt

Was INP-Direktor Klaus Dieter Weltmann da in der Hand hält, ähnelt nicht zufällig einem Zahnarzt-Instrument: Neben Plasma-Verband und ähnlichen Erfindungen haben er und seine Kollegen auch ein Gerät entwickelt, das chronisch offene Wunden im Zahnapparat mit Plasma schließt. Den Plasma-Verband durften wir leider nicht ablichten. Foto: Heiko Weckbrodt

Greifswalder setzen auf Plasma

Diese Prozesse zu beschleunigen, auszubremsen und gezielt zu steuern, daran arbeiten weltweit zahlreiche Forscher. Ingenieure vom Greifswalder Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP) beispielsweise entwickeln derzeit einen Wundverband, der mit einem Plasmastrom die Keime in den Wunden tötet und das Wachstum gesunder Zellen anregt.

Chemikerin Passant Atallah arbeitet in Dresden am DFG-Sonderforschungsbereich Wundheilung und Knochenregeneration. Foto: Heiko Weckbrodt

Chemikerin Passant Atallah arbeitet in Dresden am DFG-Sonderforschungsbereich Wundheilung und Knochenregeneration. Foto: Heiko Weckbrodt

Hilfe aus Ägypten

Die sächsischen Forscher setzen dagegen auf eine Kombination aus speziell designten Polymeren, also sehr langen Molekülketten aus Kohlenwasserstoffen. Für einen Durchbruch hat dabei eine junge Chemikerin aus Ägypten gesorgt, die seit dreieinhalb Jahren am IPFDD forscht: Passant Atallah hat im Labor eine besondere Verbindung aus synthetischen Polymeren und Zuckermoleküle geschaffen. Durch diese speziellen Kombi-Moleküle werden nun bioaktive Materialien möglich, die sich gezielt je nach Einsatzzweck designen lassen: zähflüssig wie ein Öl, um verletzte Haut zu heilen, oder stabilisierend wie ein Silikongummi, um gebrochene Knochen zu stabilisieren und zu reparieren.

Uniklinik Dresden, DFG-Sonderforschungsbereich Wundheilung und Knochenregeneration
Hier: Modell der synthetischen Polymere und Zuckermoleküle, die als bioaktives Material die Wundheilung beschleunigen sollen. Foto: Heiko Weckbrodt

Stopp-Signal, bevor eine Narbe wuchert

Und durch elektrostatische Anziehungskräfte können sie jene „fehlprogrammierten“ Botenstoffe aus einer Wunde heraus saugen, die ansonsten für eine nie endende Entzündung sorgen. In der nächsten Phase wollen die Wissenschaftler Atallahs Moleküle auch nutzen, um Botenstoffe in die Wunde einbringen – damit die beispielsweise rechtzeitig „Stopp“ zu den neu wachsenden Zellen sagen, bevor eine unschöne Narbe oder überschüssiger Knochen wuchert.

„Da hängen immerhin rund 100 Stellen in Dresden und Leipzig dran“

„In meiner Doktorarbeit habe ich vor allem die Materialseite optimiert“, sagt Passant Atallah bescheiden über ihre Supermoleküle. Ihr Institutsleiter Prof. Carsten Werner drückt das euphorischer aus: „Eine ganz tolle Leistung, die uns alle vorangebracht hat“, sagt er. Gerade die junge Ägypterin sei ein Beispiel dafür, wie international, interdisziplinär und letztlich auch wirtschaftlich bedeutsam solch eine Sonderforschung sei, betont der Internist Prof. Lorenz Hofbauer: „Da hängen immerhin rund 100 Stellen in Dresden und Leipzig dran. Und ein Viertel der Leute sind internationale Top-Wissenschaftler“, sagt er.

Ausgründung oder Klinkenputzen bei der Gesundheits-Industrie

Letztlich sind aber für ein solch ambitioniertes Vorhaben selbst die 100 Forscher und die zehn Millionen Euro, die die DFG dem sächsischen Sonderforschungsbereich nun zum 1. Juli 2017 für eine dritte Förderperiode zugesprochen hat, gar nicht so viel. Denn alles, was mit Medizin am Menschen zu tun hat, ist besonders aufwendig und erfordert in vielen Fällen teure klinische Studien. Angedacht sei, eine Firma ausgründen, um die Forschungsergebnisse zur Praxisreife zu führen, berichten Werner und Hofbauer. Womöglich müssen die Forscher aber auch rasch bei einem großen Konzern anklopfen, der die enormen Kosten einer klinischen Studie stemmen kann. Je nachdem, wie die Suche nach potenten Partnern ausfällt, könne es bis zur Marktreife der heilenden Superpolymere für Haut und Knochen noch zwei Jahre dauern – genauso gut aber auch noch zehn Jahre. „Irgendwann ab 2020 könnte es soweit sein“, schätzt Hofbauer.

Sachsen erntet nun Früchte aus 2000er Biotech-Offensive

Zudem ernte Sachsen damit nun weitere Früchte aus der im Jahr 2000 gestarteten Biotechnologie-Offensive, betonten Werner und Hofbauer. „Wenn der Freistaat damals nicht so viel investiert hätte, würde Dresden in den Biomaterialien heute nicht auf Augenhöhe mit den führenden internationalen Standorten in der Schweiz, in den USA und in Japan agieren.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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