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„Halt’s Maul, dann geht’s Dir gut!“

Letztlich konnten die Kommunisten die Konsumversprechen nicht einlösen - und fielen. Hier die Aufnahme einer Kaufhalle in Dresden im Jahr 1974. ADN-ZB Häßler, Bundesarchiv - Wikipedia, CC3-Lizenz, tinyurl.com/j73l388

Letztlich konnten die Kommunisten die Konsumversprechen nicht einlösen – und fielen. Hier die Aufnahme einer Kaufhalle in Dresden im Jahr 1974. ADN-ZB Häßler, Bundesarchiv – Wikipedia, CC3-Lizenz, tinyurl.com/j73l388

Politologe: „Realsozialisten“ beherrschten Mitteleuropa auch durch Konsumverträge

Dresden, 4. Juni 2017. Die Kommunisten haben Mitteleuropa nicht nur durch ihre Geheimdienste und dank sowjetischer Panzer so lange beherrschen können. Vielmehr transformierten sie die Tschechoslowakei, die DDR, teils auch Ungarn und Polen beizeiten in Konsumgesellschaften. Diese Ansicht hat der ostdeutsche Politikwissenschaftler Dr. Dirk Dalberg in einem Vortrag „Der reale Sozialismus als Konsumgesellschaft“ im Dresdner Hannah-Arendt-Institut (HAIT) vertreten. Dabei stützt sich der 40-jährige Forscher auf zeitgenössische Gesellschaftsanalysen tschechischer und slowakischer Dissidenten wie Egon Bondy, Milan Šimečka und Miroslav Kusý.

Stillschweigende Unterwerfungsverträge

Demnach gewann diese Transformation vor allem in den realsozialistischen Staaten Mitteleuropas in den 1970er Jahren an Fahrt – in der CSSR nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 und in der DDR nach dem Wechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker 1971. Die Zeit der Reformversuche war vorbei und de facto schloss die kommunistische Herrscherkaste damals stillschweigende Unterwerfungsverträge mit der Bevölkerung ab. Flapsig zugespitzt beinhaltete dieser Vertrag die Forderung und das Versprechen: „Halt’s Maul und mache die Lüge mit, dann geht’s Dir gut!“. Etwas feinsinniger formuliert, lockten die Kommunisten mit Konsumangeboten, staatlichen Sozialleistungen und privater Redefreiheit auf der einen Seite und drohten für öffentliche Kritik und anderes „Fehlbetragen“ mit schlecht bezahlten Jobs, Bespitzelung und dergleichen Repressalien.

Kommunisten hielten Saldo aus Anpassungs-Lohn und Verweigerer-Strafe lange positiv

Dabei achtete die Nomenklatura darauf, ein fragiles Gleichgewicht zu halten: Der Saldo aus dem Lohn der Anpassung und dem Preis, den Abweichler zu zahlen hatten, wenn sie öffentlich Kritik übten, musste stets positiv bleiben. „Und es gab eine zusätzliche Motivation“, schätzt Dalberg ein: „Der Staat verlangte nur, dass man so tat, als ob man vom Sozialismus begeistert war – aber nicht, dass man davon auch wirklich überzeugt war.“

Leben in der Lüge

Diese stillschweigend akzeptierte Fiktion machte es für die meisten Beherrschten leichter, dem Vertrag „Konsum gegen Unterwerfung“ zuzustimmen und die kommunistische Herrschaft zu zementieren. Und sie führte zu einem „Leben in der Lüge“, wie es beispielsweise Vaclav Havel formulierte.

Fiktion festigte den Konsumvertrag – und unterminierte ihn

Diese Lebenslügen fraßen aber gleichzeitig am Fundament des Konsumvertrages. Denn der verbot zum Beispiel Fundamentalkritik an Schlamperei, Verschwendung und sinnlosen Entscheidungen in der ohnehin schwachen realsozialistischen Wirtschaft. Und dadurch wurde eine fortwährende „schöpferische Zerstörung“, wie sie Karl Marx wie auch Joseph Schumpeter für eine wirtschaftliche Weiterentwicklung fordernden, unmöglich gemacht – und damit auch das Konsumversprechen der kommunistischen Herrscherelite immer mehr in Frage gestellt. Indem sie unter Hand ungezügelten Konsum predigten, diesen Lohn aber immer weniger einlösen konnten, beförderten die Kommunisten mit diesem ihren eigenen Konstrukt also letztlich auch wieder ihren Untergang.

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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