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Leichte Sprache ist gefragt

Lena Schulz betreut in den Städtischen Bibliotheken Dresden die Buch-Angebote in "Leichter Sprache" und "Einfacher Sprache". In der Hauptbibliothek ist diese neue Buchecke extra gekennzeichnet. Foto: Heiko Weckbrodt

Lena Schulz betreut in den Städtischen Bibliotheken Dresden die Buch-Angebote in „Leichter Sprache“ und „Einfacher Sprache“. In der Hauptbibliothek ist diese neue Buchecke extra gekennzeichnet. Foto: Heiko Weckbrodt

Für Millionen Deutsche sind Arbeitsverträge und Bücher unverständlich / Regelwerk für leichte Sprache könnte auch bei Integration von Flüchtlingen helfen

Dresden/Münster, 30. März 2016. Bücher und andere Angebote in „leichter Sprache“ gewinnen an Bedeutung, schätzt Gisela Holtz vom Verein „Netzwerk Leichte Sprache“ in Münster ein. Dies liegt einerseits daran, dass deutsche Kommunen inzwischen mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention ihre Bürokratensprache nach und nach in einfach verständliche Sätze zu übersetzen versuchen. Andererseits könnten Texte in „leichter“ und „einfacher“ Sprache, deren Regelwerk das Münsteraner Netzwerk seit 2006 herausgibt, auch bei der Integration von Flüchtlingen helfen.

Auszug aus einer Adaption von Shakespeares "Romeo und Julia" in Einfacher Sprache. Repro: Heiko Weckbrodt

Auszug aus einer Adaption von Shakespeares „Romeo und Julia“ in Einfacher Sprache. Repro: Heiko Weckbrodt

„Romeo und Julia“ in einfacher Sprache

„Romeo geht in der Stadt spazieren…. Er schlendert über den Markt. In Verona ist immer etwas los.“ Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, nur irgendwie verändert, liegen Sie nicht falsch: Das Buch, das wir eben aus einem neuen Regal der Hauptbibliothek Dresden gezogen haben, ist Shakespeares Drama „Romeo und Julia“ – nur eben übersetzt in leichte Sprache. Das heißt: Die Sätze sind kurz. Sie verwenden nur einfache Worte. Jeder Satz hat nur eine Aussage. Die Sätze sind nach dem Muster Subjekt-Prädikat-Objekt aufgebaut. Sie kennen nur das Aktiv, kein Passiv. Eine Unterart sind Texte in „einfacher“ statt „leichter“ Sprache. Diese Texte verwenden zwar ebenfalls einfache Sätze und Wörter. Sie sind aber schon etwas anspruchsvoller und näher am Standard-Deutsch.

Auszug aus einer Adaption von Shakespeares "Romeo und Julia" in Einfacher Sprache. Ein Stichwortverzeichnis erklärt schwierige Wörter. Repro: Heiko Weckbrodt

Auszug aus einer Adaption von Shakespeares „Romeo und Julia“ in Einfacher Sprache. Ein Stichwortverzeichnis erklärt schwierige Wörter. Repro: Heiko Weckbrodt

Dresdner Bibliotheken haben 50 Titel in einfacher und leichter Sprache angeschafft

„Bücher in leichter Sprache sind für Menschen gedacht, die ernste Probleme haben, ,normale’ Texte zu lesen und zu verstehen“, erklärt Koordinatorin Lena Schulz von den Städtischen Bibliotheken Dresden. „Wir haben für sie jetzt 50 Titel in einfacher und in leichter Sprache angeschafft, darunter Romane, Sachbücher und Zeitschriften – so ziemlich alles, was derzeit auf dem Buchmarkt zu haben ist.“ Das Angebot ist noch jung. Seit dem Dezember 2015 steht das extra gekennzeichnete Regal mit den leichten und einfachen Büchern neben den Computerarbeitsplätzen in der Hauptbibliothek.

Andrang hält sich in Grenzen

So richtig herumgesprochen hat sich diese Offerte womöglich noch nicht. Der Andrang hält sich an diesem Wochentag in Grenzen. Zwei Frauen blättern durch die Romane – dort wo auch „Romeo und Julia“ in leichter Sprache auf Leser warten. „Ich find es gut, dass es so was hier gibt“, meint Nadine Begu, während sie durch die Bücher stöbert. „Wir suchen hier was für unsere Tochter. Sie ist 13 Jahre alt und will etwas leicht verständliches, das aber auch interessant für Jugendliche sein soll.“

Gefragt ist vor allem Unterhaltung

Die Dresdner Bibliotheks-Beauftragte Lena Schulz kennt diesen Spagat gut: Manchen ihrer Klienten, besonders denen in den Heimen, sind selbst Bücher in leichter Sprache noch zu schwierig, „da greifen dann doch viele lieber zum Bilderbuch“. Andere wiederum empfinden die „leichte“ Sprache als lächerlich oder die Buchangebote als zu langweilig. Und Sachbücher in leichter Sprache gehen ganz schlecht. „Gefragt ist vor allem leichte Unterhaltung in leichter Sprache“, sagt Lena Schulz.

Auch Volkshochschule und Hygienemuseum setzen auf leichte Sprache

Auch andere Einrichtungen in Dresden verwenden – wenn auch bisher eher punktuell – leichte Sprache, um die UN-Behindertenrechtskonvention zu erfüllen. So hat zum Beispiel hat das Jugendamt einige Merkblätter in „leichte Sprache“ übersetzt. Das Deutsche Hygienemuseum bietet seit 2009 einen leicht verständlichen Audioguide für die Dauerausstellung an. Und die Volkshochschule Dresden hat im vergangenen Semester 16 Kurse in leichter Sprache ausgeschrieben. Sie wurden vor allem von Menschen mit Lernschwierigkeiten besucht, wie die Stadtverwaltung Dresden auf Anfrage mitteilte.

Schätzung: 14 % der Berufstätigen sind de facto Analphabeten

Diese Angebote richten sich an vor allem an funktionale Analphabeten und Menschen mit Lese-Schwächen. Aber für Demenzkranke und Menschen mit geistiger Behinderung gehören zur Zielgruppe. Obgleich keine präzisen Erhebungen darüber vorliegen: Schätzungen zufolge gehören Millionen Deutsche zur potenziellen Zielgruppe einfache und leichte Sprache. Etwa 14 Prozent aller Berufstätigen in Deutschland sind de facto Analphabeten und können ihre Arbeitsverträge und schriftlichen Arbeitsanweisungen kaum verstehen, schätzt das „Netzwerk Leichte Sprache“ aus Münster, das die Regeln für „Leichte Sprache“ herausgibt. „Wieviele Menschen insgesamt auf Texte in leichter Sprache eigentlich angewiesen wären, ist aber nirgends statistisch erfasst“, sagt Netzwerk-Geschäftsführerin Gisela Holtz. „Was wir auf jeden Fall merken: Das Interesse vor allem an schönen und interessanten Büchern in leichter Sprache wächst.“

Bücher in einfacher Sprache auch für Flüchtlinge geeignet

Ein Grund dafür ist ein ganz aktueller: „Wir bekommen jetzt verstärkt Anfragen nach Texten in einfacher Sprache, die für die Arbeit mit Flüchtlingen verwendbar sind“, berichtet Gisela Holtz. In Münster gebe es bereits konkrete Beispiele, dass Texte in einfacher Sprache für den Unterricht mit Flüchtlingen genutzt werden.

Shakespeare als kulturelle Brücke

Ähnliche Hoffnungen haben auch die Bibliothekare in Dresden. Sie laden regelmäßig Asylbewerber aus den lokalen Flüchtlingsunterkünften ein. „Wir weisen in den Führungen nun auch immer auf unsere Bücher in leichter und einfacher Sprache hin“, sagt Koordinatorin Lena Schulz. Womöglich könnte diese Lektüre Flüchtlingen helfen, schneller mit einer für sie fremden Sprache zurechtzukommen. Und manche kennen „Romeo und Julia“ vielleicht noch gut aus ihrer Schulzeit in Syrien. Ihnen mag die bekannte tragische Liebesgeschichte in der „leichten“ deutschen Version insofern als kulturelle Brücke dienen.

Autor: Heiko Weckbrodt

  • Mehr Informationen über leichte Sprache und deren Regeln gibt es beim Netzwerk Leichte Sprache im Internet: leichtesprache.org

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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