Michael G. Fritz hat in Dresden-Prohlis seinen Überwachungs-Roman „Ein bisschen wie Gott“ vorgestellt
Dresden, 24. Februar 2016. Johanna sieht alles: die kleinen und großen Fehltritte der Menschen, wenn sie sich unbeobachtet glauben, ihr Bangen, ihr Warten, ihr Eilen. Denn sie hat Dutzende, ja Hunderte Augen: All die Kameras, die auf einem großen Berliner Bahnhof installiert sind, senden ihre Aufnahmen auf die Bildschirme in einer Zentrale. Und dort sitzt Johanna und ist „Ein bisschen wie Gott“.
Kleiner Schritt von der sehenden zur strafenden Gottheit
Seinen gleichnamigen Roman hat der in Berlin und Dresden lebende Autor Michael G. Fritz heute Abend in der Bibliothek Dresden-Prohlis in einer Lesung vorgestellt. Und darin reflektiert er belletristisch das Ausmaß, die Sinnfälligkeit und die Ambivalenz omnipräsenter Überwachung im öffentlichen und im privaten Raum. Denn in ihrem Job als Überwacherin sieht Johanna per Kamera eben auch, wie sich ihr Mann mit einer anderen Frau herumtreibt. Ihre alte Furcht, verrückt zu sein, befällt sie mit neuer Wucht. Und so beschließt sie, nicht nur sehende Gottheit, sondern auch Nemesis zu sein, die strafende Gerechtigkeit: Bei einem Ballonausflug über Dresden will Johanna dem Schicksal nachhelfen und ihrem untreuen Gemahl einen kleinen Stups geben…
„Privatsphäre ist ein Recht, auf das wir pochen müssen“
Auf das Überwachungssujet für seinen Roman sei er gekommen, nachdem er sich eines Abends mit Bundesgrenzschützern auf einem Bahnhof unterhalten habe, erinnert sich der Autor: Die Uniformierten hatten ihm damals frei heraus erzählten, wieviele Kameras jeden Schritt der Reisenden verfolgen. Und in London gebe es kaum noch einen öffentlichen Platz, der nicht kameraüberwacht sei. Und, ergänzend zu Fritz, mag man unwillkürlich hier auch an die massive Kameraüberwachung im Grenz-S-Bahnhof Berlin-Friedrichstraße durch die Stasi denken, deren voller Umfang erst nach der Wende bekannt wurde. Fritz hält mit seiner Überzeugung in dieser Frage auch nicht hinterm Berg: „Privatsphäre ist ein Recht, auf das wir pochen müssen“, plädierte er nach der Lesung. hw
Michael G. Fritz: „Ein bisschen wie Gott“, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2015, ca. 17 Euro, ISBN 978-3-95462-520-8, eine Leseprobe gibt es hier
Werbung:
Ihre Unterstützung für Oiger.de!
Ohne hinreichende Finanzierung ist unabhängiger Journalismus nach professionellen Maßstäben nicht dauerhaft möglich. Bitte unterstützen Sie daher unsere Arbeit! Wenn Sie helfen wollen, Oiger.de aufrecht zu erhalten, senden Sie Ihren Beitrag mit dem Betreff „freiwilliges Honorar“ via Paypal an:
Vielen Dank!