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Volle Punktzahl für den Kopfschuss

Zielscheiben auf einem Schießplatz in Deutschland. Foto: Herlinde Koelbl

Zielscheiben auf einem Schießplatz in Deutschland. Foto: Herlinde Koelbl

Deutsches Historisches Museum Berlin zeigt Zielscheiben-Fotos aus drei Jahrzehnten von Herlinde Koelbl

Berlin, 27. Juli 2014: Alles begann mit einer durchlöcherten Büchse im Geröll. Seitdem hat die deutsche Fotografin Herlinde Koelbl Zielscheiben rund um den Erdball abgelichtet – samt den darauf schießenden Soldaten: Fast alle junge Männer, manche fast noch Kinder, die dann auf den Gefechtsfeldern und Städten von Afghanistan, im Irak oder in Bürgerkriegsländern über Leben und Tod entscheiden (müssen). Insgesamt 250 dieser Fotos, Videoinstallationen und Hörbeispiele sind bis Oktober in der Fotoausstellung „Targets“ im „Deutschen Historischen Museum“ in Berlin zu sehen.

Hauserkampf-Übungsstadt unterm Halbmond

Herlinde Koelbl. Foto: PR

Herlinde Koelbl. Foto: PR

„Zugriff“, „Fire“, „Sichern“ – die barschen Offiziers-Kommandos vermischen sich in der Videoinstallation im Obergeschoss des Zeughauses mit dem Klirren weggekehrter Patronenhülsen, mit dem Rattern der Sturmgewehre. Vier Projektionswände haben die Kuratoren hier zu einem Würfel gegenüber gestellt, auf dass auf den Zuschauer in der Mitte die Videofetzen, Töne und Bilder assoziativ einprasseln. Ein paar Schritte weiter sind Koelbls Fotografien von Häuserkampf-Übungsstädten zu sehen: Manche der eigens für das Soldatentraining errichteten Häuser sind vom Halbmond gekrönt, sollen die Straßenkämpfer in spe wohl auf die Moscheen arabischer Städte eichen. In einer französischen Kunststadt sehen wir gar deutsche Straßennamen – ob unsere Nachbarn wohl doch noch mit einem deutsch-französischen Krieg rechnen?!

Geeicht aufs Töten

Die untere Etage der Ausstellung ist dagegen den Soldaten selbst und ihren Zielscheiben gewidmet: Ganze Reihen von weißen, gelben, schwarzen und brauen Gesichtern unter Stahlhelmen schauen uns mal hart und kämpferisch, mal offen, verunsichert oder skeptisch an. Faszinierend auch die teils bizarren Zielscheiben, auf die diese Männer ballern: Viele haben humaniode Gestalt, zeigen uns: Hier wird das Töten von Menschen geübt, die volle Trefferzahl gibt es meist nur für Kopfschüsse.

Zielscheibe in Österreich. Foto: Herlinde Koelbl

Zielscheibe in Österreich. Foto: Herlinde Koelbl

Klischee-Ziele wie aus einem Hollywood-Schinken

Andere künden von makabren Humor mancher Schützen, die sich da Kühe, laszive Frauen oder Roboter als Zielscheiben gebastelt oder gemalt haben. Und oft auch werden Klischees bedient: Ausgerechnet deutsche Spezialkommandos feuern wohl besonders gern auf knallbunte Gangster-Geisel-Bilder, die einem 70er-Jahre-Hollywood-Krimi entsprungen zu sein scheinen. Tja, und die Geiseln sind meist Model-Blondinen, die Gangster an ihren geschmacklosen Krawatten, Colts (welcher deutsche Kriminelle bitte feuert mit einem Colt?) oder schlichtweg als „Neger“ zu erkennen.

Fazit:

Eine sehenswerte und nachdenklich stimmende Ausstellung, die stellenweise auch unterschwellige Xenophobie, uralte Feinbilder, Rassismus und Sexismus in mancher Truppe spiegelt. Erstaunlich, dass die Kommandeure der Fotografin da erlaubt haben zu knipsen. Autor: Heiko Weckbrodt

„Targets“, Ausstellung mit rund 250 Zielscheiben-Fotos von Herlinde Koelbl, Deutsches Historisches Museum, bis 5. Oktober täglich von 10 bis 18 Uhr, Museums-Tagesticket (für alle Ausstellungen): acht Euro, ermäßigt vier Euro

Zum Weiterlesen:

Der Alltag des Maschinenkrieges: Der I. Weltkrieg im Deutschen Hist. Museum Berlin

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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