Dresden-Lokales

Zu Fuß von Damaskus nach Deutschland

Malek Mohammad ist aus Syrien nach Deutschland geflohen - zu Fuß, wie er selbst sagt. In Dresden will er gern sein Soziologie-Studium fortsetzen. In der "Tabakmoschee" Yenidze berichtete der 29-Jährige heute über seine ersten Schritte auf dem Weg dorthin. Foto: Heiko Weckbrodt

Malek Mohammad ist aus Syrien nach Deutschland geflohen – zu Fuß. In Dresden würde er gern sein Soziologie-Studium fortsetzen. In der „Tabakmoschee“ Yenidze berichtete der 29-Jährige heute über seine ersten Schritte auf dem wohl langen Weg zu diesem Ziel. Foto: Heiko Weckbrodt

Syrien-Flüchtling Malek Mohammad will in Dresden Soziologie studieren – jetzt darf er hier als Hilfsgärtner arbeiten und bekommt einen Aktenordner

Dresden/Damaskus, 16. September 2015. In Damaskus hat Malek Mohammad Soziologie studiert. Zwei Jahre lang. Dann machte der syrische Bürgerkrieg seinem Studium ein Ende. Bald darauf machte sich Malek auf den Weg über die „Balkanroute“. Daheim ließ er Familie und seine Verlobte zurück. Zu Fuß lief er mit einer Gruppe anderer Flüchtlinge durch die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich. Sechs Monate und rund 3500 Kilometer später war er im gelobten Land angelangt, in Deutschland, und landete schließlich in Dresden. „Ich würde hier gern an der Uni mein Studium weitermachen“, sagt er. Was er in Dresden bekam, war eine Arbeitsgelegenheit als Hilfsgärtner auf dem Matthäusfriedhof und dazu einen stabilen deutschen Aktenordner in die Hand gedrückt: Damit er im deutschen Bürokratie-Dschungel und Sozialsystem nicht den Überblick verliert, hat man ihm gesagt.

Ohne Papierkram wenig Chancen im Ämter-Dschungel

Trotzdem lächelt der 29-jährige Syrer und freut sich pflichtbewusst. Denn mit Ordner und Hilfsgärtner-Job geht es ihm besser als den meisten Asylbewerbern in Dresden und ganz Deutschland: Er hat Arbeit und dank des in Dresden erdachten Asyl-Ordners wissen die Sachbearbeiter im Sozialamt und in der Arbeitsvermittlung etwas mit ihm anzufangen.

Soll Asylbewerbern mit Arbeitserlaubnis den Weg durch den deutschen Ämterdschungel erleichtern: In einer Startauflage von 1000 Stück verteilen das IQ-Netzwerk, die Stadt, die Arbeitsagentur und das Hartz-Jobcenter in Dresden nun solche Willkommens-Aktenordner an Flüchtlinge. Foto: hw

Soll Asylbewerbern mit Arbeitserlaubnis den Weg durch den deutschen Ämterdschungel erleichtern: In einer Startauflage von 1000 Stück verteilen das IQ-Netzwerk, die Stadt, die Arbeitsagentur und das Hartz-Jobcenter in Dresden nun solche Willkommens-Aktenordner an Flüchtlinge. Foto: hw

Naja, es sei schon etwas „typisch deutsch“, den Flüchtlingen erst mal einen stabilen germanischen Aktenordner in die Hand zu drücken, räumt auch Kay Tröger vom „IQ-Netzwerk Sachsen“ ein, der sich das Konzept gemeinsam mit Stadtverwaltung, Arbeitsagentur und Hartz-Jobcenter ausgedacht hat.

OB Hilbert will Dresden zur Modellstadt für Integration von Flüchtlingen machen

Aber in der Praxis habe es sicher immer wieder als Problem erwiesen, dass selbst die Asylbewerber, die eine Arbeitserlaubnis in Deutschland haben und motiviert zur Job-Vermittlung gehen, meist ohne den Papierkram anrücken, den deutsche Behörden so lieben: Den amtlichen Nachweis, dass man überhaupt existiert, Qualifikationsbescheinigungen, Nachweise bereits erledigter Behördengänge et cetera. Außerdem ist „Mein Ordner“ ein Baustein für das schon im Wahlkampf formulierte Ziel des neuen Oberbürgermeisters Dirk Hilbert (FDP), Dresden zur Vorzeigestadt für die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu machen – wenn sich die Stadt schon an anderen Stellen in letzter Zeit nicht mit Ruhm bekleckert hat.

Dresdner Unternehmen finanzieren Deutsch-Kurse für Asylbewerber

Flüchtlingen Jobs zu besorgen, ist aber leichter gesagt als getan. Beim Klinkenputzen in großen Unternehmen der Stadt hat Hilbert erst mal nur ein, zwei Dutzend Zusagen aus der Privatwirtschaft einsammeln können, Deutsch-Kurse für Asylbewerber zu organisieren und zu finanzieren – was aber schon eine große Hilfe sei, wie der Dresdner Arbeitsagentur-Direktor Thomas Wünsche betont: „Ohne professionell vermittelte Deutsch-Kenntnisse scheitern alle Vermittlungsbemühungen“, sagte er. Denn selbst wenn die Asylbewerber auf ihrer Flucht daran gedacht haben, Berufs- und Qualifikations-Nachweise mitzunehmen, ist bei allem guten Willen kein Arbeitgeber bereit, selbst Facharbeiter oder Akademiker anzustellen, die ihn nicht verstehen und die er nicht versteht, hat die bisherige Vermittlungspraxis gezeigt.

Jobcenter-Chef Jan Pratzka, Kay Tröger vom IQ-Netzwerk, Oberbürgermeister Dirk Hilbert und Arbeitsagentur-Direktor Thomas Wünsche (von links nach rechts) wollen enger zusammenarbeiten, um Deutschkurse und Jobs für Asylbewerber mit Arbeitserlaubnis zu besorgen. Foto: Heiko Weckbrodt

Jobcenter-Chef Jan Pratzka, Kay Tröger vom IQ-Netzwerk, Oberbürgermeister Dirk Hilbert und Arbeitsagentur-Direktor Thomas Wünsche (von links nach rechts) wollen enger zusammenarbeiten, um Deutschkurse und Jobs für Asylbewerber mit Arbeitserlaubnis zu besorgen. Foto: Heiko Weckbrodt

Arbeitsagentur-Chef: 10 bis 15 % sind problemlos in Jobs vermittelbar

Einen richtig soliden Überblick darüber, wie viele der in Dresden eingetroffenen Flüchtlinge überhaupt einen in Deutschland anerkannten Schul- und Berufsabschluss haben, hat bisher keiner in der Stadt. Wünsche schätzt allerdings, dass etwa zehn bis 15 Prozent der Asylbewerber „ohne Probleme“ in Jobs vermittelbar sind, wenn sie erst mal Deutsch gelernt haben. Zugleich warnte der Agentur-Direktor aber vor Pauschalurteilen: „Auch bei deutschen Arbeitslosen sind die Quoten ganz ähnlich“, sagte er. Viele Asylbewerber seien „hochmotiviert“, sich eine Arbeit zu besorgen, was man nicht von allen einheimischen Arbeitslosen sagen könne.

Schere zwischen Hoch- und Niedrigqualifizierten öffnet sich immer weiter

Allerdings bestätigte Wünsche auch für die in Dresden eingetroffenen Flüchtlinge eine Beobachtung, die das Bundesamt für Migration deutschlandweit gemacht hat: Qualifikations-Schwere unter ihnen geht weit auseinander: Auf der einen Seite ist gegenüber Flüchtlingsströmen, wie sie noch vor zwei, drei Jahren zu sehen waren, der Anteil der Facharbeiter und Hochqualifizierten unter den Asylbewerbern gestiegen. Das liegt vor allem daran, dass jetzt viele Menschen in Deutschland Schutz suchen, die aus Ländern mit einst gut funktionierenden Bildungssystem wie Syrien kommen – wie eben Malek Mohammad. Auf der anderen Seite steigt aber eben auch der Anteil der Asylbewerber, die noch nicht einmal einen Schulabschluss haben, das betrifft zum Beispiel viele Flüchtlinge aus Eritrea oder anderen afrikanischen Ländern.

„Lerne jetzt zwei Tage die Woche Deutsch“

Von daher ist auch Maleks Wunsch, in Dresden sein Studium abzuschließen und sich neue Perspektiven zu erarbeiten, gar nicht so aussichtslos. Seit sechs Monaten ist er nun in Deutschland und er hat schon gecheckt, worauf es jetzt vor allem erst mal ankommt: „Ich lerne jetzt zwei Tage pro Woche Deutsch“, sagt er – und die fremde Sprache geht ihm schon recht flüssig von der Zunge. Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt