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Das Überall-Weltwissen fordert auch den prüfenden Blick

Wenn in der jüngsten Umfrage von Bitkom und Aris die Rede davon ist, dass 63 Prozent aller Internetnutzer ihre Allgemeinbildung im Netz verbessern, ist in dieser Abfrage „Bildung“ wohl im weitestens Sinne zu verstehen: Nach ihren Quellen befragt, gaben die Wissenhungrigen zum Beispiel die Wikipedia und andere Netz-Nachschlagewerke an – deren Zuverlässigkeitsgrad durchwachsen ist.

Ubiquitäres Weltwissen für alle

Allerdings hat Dieter Kempf, der Präsident des Hightech-Branchenverbandes Bitkom (Berlin), wohl auch recht, wenn er argumentiert: „Das Internet wird zum zentralen Bildungsmedium des 21. Jahrhunderts.“ Denn einerseits nutzt jeder zweite Internetgänger das Netz auch für die berufliche Weiterbildung. Andererseits haben Wikipedia & Co. in den vergangenen Jahren deutlich an Qualität und Umfang gewonnen. Kombiniert man dies gedanklich mit der wachsenden Verbreitung von internetfähigen Computertelefonen, rückt das Ideal des „ubiquitären Weltwissens“ in greifbare Nähe.

Wikipedia-LogoDies wird umso deutlicher, wenn man 20 Jahre zurück geht, als das Netz noch in den Kinderschuhen steckte:Da war für die meisten Menschen das angehäufte Wissen der Menschheit nur in kleinen Ausschnitten praktisch verfügbar, viele Spezialinformationen nur mit unverhältnismäßigem Aufwand beschaffbar. Und in wievielen Haushalten stand damals wohl ein mehrbändiges Papierlexikon parat? Kaum in allen. Machen wir uns zudem nichts vor: Selbst wer eine Enzyklopädie hatte, machte sich trotz guter Vorsätze nicht immer die Mühe, auch wirklich nachzuschlagen und Querverweisen nachzublätten – da nehme ich mich gar nicht aus. Um wieviel leichter ist es da heute, mit wenigen Klicks auf dem iPhone oder PC die Wikipedia-Einträge zu überfliegen.

Angeblich soll mittlerweile schon ein Großteil schulischer Aufsätze und Vorträge auf der Wiki aufbauen. Als Erstorientierung ist gegen das Netzlexikon auch gar nichts einzuwenden. Aber man muss auch die Grenzen und Mängel des Wiki-Konzepts kennen, das im Grundsatz immer noch der evolutionären Idee folgt: „Das Internet ist frei, deshalb darf jeder mitschreiben – am Ende setzt sich die beste, die qualitätsvollste Information von selbst durch.“

Dieses Konzept funktioniert indes – wie die menschliche Evolution – nur auf lange Sicht. Denn je spezieller und je umstrittener ein Thema ist – seien es nun das Geschlechtsleben der Steinpilze oder das Für und Wider veganischer Ernährung -, umso größer ist das Risiko, dass eine extremistische Einzelmeinung monate- oder gar jahrelang den entsprechenden Wikipedia-Eintrag bestimmt. Und diese Gefahr besteht trotz mancher Korrektive, die Jimmy Wales und Kollegen inzwischen in die Wikipedia eingebaut haben (der Wiki-„Adel“ muss Änderungen bestätigen etc.) bis heute.

Daher gehört meiner Meinung nach mindestens ein Grundtraining in Internetrecherche in die Lehrpläne aller Schulen. Oft genug noch mangelt es nach meiner Beobachtung der heranwachsenden Generation „Wissensgesellschaft“ zum Beispiel an der Fähigkeit, die innere Plausibilität eines Interneteintrages abzuwägen, über den Tellerrand der Quelle „Internet“ hinauszuschauen. Denn so zugespitzt jenes vielzitierte Bonmot „Was nicht im Internet zu finden ist, existiert nicht“ auch wirkt – so weit  weg sind wir nicht mehr davon. Heiko Weckbrodt

Zum Weiterlesen: Wie zitiere ich richtig aus Wiki & Co.?

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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