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Bergakademie will Umweltbilanz der Glasindustrie verbessern

Eine Forscherin und ein Forscher experimentieren an einem Glasofen der Bergakademie Freiberg. Ofen in den Versuchsanlagen für Glastechnologie. Foto: D. Müller für die TU Bergakademie Freiberg

Eine Forscherin und ein Forscher experimentieren an einem Glasofen der Bergakademie Freiberg. Foto: D. Müller für die TU Bergakademie Freiberg

Uni: Neue Zuschlagsstoffe könnten 660.000 Tonnen Kohlendioxid vermeiden und Recycling-Quote erhöhen

Freiberg, 5. September 2022. Die deutsche Glasindustrie steht unter – je nach Betrachtungsweise – kurz vor dem Kollaps oder zumindest vor großem technologischen Veränderungsdruck durch stark steigende Energiepreise und schärfere Umweltauflagen. Denn typischerweise arbeiten Glaschmelzen bei hohen Temperaturen über 1500 Grad, verbrauchen viel Energie und sind bislang stark auf den zuletzt extrem verteuerten Energieträger Erdgas angewiesen. Und durch die – neben dem Hauptrohstoffen Sand und Altglas – eingesetzten Fluss- und Stabilisierungsmittel wie Soda und Kalk entsteht beim Schmelzprozess auch relativ viel Kohlendioxid. Experimente mit größeren Elektro-Glasschmelzen sind bisher größtenteils gescheitert. Aber für den zweiten Schwachpunkt, die ungünstige CO2-Bilanz durch die Zuschlagstoffe, arbeitet die Bergakademie Freiberg nun an einer Alternative.

Team will Anback-Gefahr mindern

Konkret will Dr. Khaled Al Hamdan vom Bergakademie-Institut für Glas und Glastechnologie statt kohlenstoffhaltiger Materialien wie Natriumkarbonat (Soda) und Kalziumkarbonat (Kalk), die bei starker Hitze unter anderem zu CO2 oxidieren, in den Glashütten künftig sogenannte oxydische und hydroxidische Rohstoffe einsetzen. Konkret will der Forscher beispielsweise den Einsatz von Natriumhydroxid, Kalziumhydroxid und Kalziumoxid testen. Allerdings sind vorher noch einige technologische Probleme zu lösen: „Die oxydischen und hydroxidischen Rohstoffe neigen dazu, in der sogenannten Glasschmelzwanne zu verstauben und vorher beim Lagern anzubacken“, erklärt Dr. Al Hamdan. „Das erschwert den Umgang mit der Mischung.“ Er und sein Team wollen nun untersuchen, wie sich solche unerwünschten Effekte verhindern lassen.

Glashütten können künftig womöglich auch mehr alte Glasscherben einschmelzen

Zudem hofft der Forscher, durch die neuen Zuschlagstoffe auch die Recycling-Quote in der Glasindustrie erhöhen zu können: Bisher kippen die Glashütten nur eine gewisse Menge an Altglas-Scherben in ihre Schmelzwannen, weil vor allem die feinen Scherben die Schmelze schnell schäumen lassen. „Wir vermuten, dass die kohlenstofffreien, alternativen Rohstoffe diese Tendenz zur Schaumbildung verringern und darum einen höheren Anteil an Feinscherben erlauben“, betont der Wissenschaftler.

Binnen anderthalb Jahren soll in der Bergakademie und in Partner-Glashütten erste Versuchsanlagen entstehen. Sollte das Projekt erfolgreich verlaufen, könnten mit dem neuen Ansatz rund 660.000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr in der deutschen Glasproduktion eingespart werden, schätzen die Forscher und Forscherinnen.

Experimente mit elektrisch beheizten Groß-Glaswannen erfolglos

Die deutsche Glasindustrie beschäftigt rund 54.000 Menschen in 386 Betrieben und kam 2021 auf einen Gesamtumsatz von 10,2 Milliarden Euro. Angesichts von Umweltauflagen und den Preissteigerungen beim Erdgas testet die Glasbranche schon seit einiger Zeit neue technologische Ansätze. Dabei geht es vor allem darum, die Erdgas-Abhängigkeit der Branche zu mindern und sie auf schärfere Umweltgesetze vorzubereiten. Zur Einordnung: Die deutsche Glasindustrie erzeugt jährlich rund 5,4 Millionen Tonnen CO2 (Stand 2019). Davon sind etwa drei Viertel durch den hohen Energieverbrauch bedingt und das verbleibende Viertel rohstoffbedingt.

„So ist es … technisch sehr aufwändig bis fast unmöglich, Glasschmelzwannen der Größenordnung > 200 Tagestonnen vollständig zu elektrifizieren.“

(Aus der „HyGlass“-Studie des BV Glas) 

Um eben diesen hohen energetischen Anteil der CO2-Emmissionen anzugehen, experimentiert die Branche an elektrisch oder durch Wasserstoff geheizten Glasschmelzen. Die bisherigen Resultate sind allerdings wenig erfolgreich verlaufen. „So ist es zum Beispiel technisch sehr aufwändig bis fast unmöglich, Glasschmelzwannen der Größenordnung > 200 Tagestonnen vollständig zu elektrifizieren“, heißt es dazu in einer Studie des „Bundesverbandes Glas“ und des „Gas- und Wärme-Instituts Essen“ aus den Jahren 2020/21. Elektrische Glaswannen und Homogenisierungsstufen („Feeder“) seien nur für kleine Hütten mit geringer Leistungsdichte eine Option. „Deutlich bessere Aussichten hat der Einsatz von Wasserstoff“, schreiben die Studienautoren weiter. Allerdings seien die dafür nötigen Wasserstoffmengen nicht mal annähernd in Deutschland verfügbar.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: TU Bergakademie Freiberg, Oiger-Archiv, BV Glas

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt