Geschichte

Im Bauch des nuklearen Leviathan

Keine falsche Bescheidenheit: "Le Redoutable" (Der Gewaltige) haben die Franzosen ihr Atom-U-Boot genannt. Heutzutage kann es in Cherbourg von innen wie von außen besichtigt werden. Foto: Heiko Weckbrodt

Keine falsche Bescheidenheit: „Le Redoutable“ (Der Gewaltige) haben die Franzosen ihr Atom-U-Boot genannt. Heutzutage kann es in Cherbourg von innen wie von außen besichtigt werden. Foto: Heiko Weckbrodt

Einst top secret, heute steampunkiger Besuchermagnet: In Cherbourg kann jedermann das nukleare U-Boot „Le Redoutable“ besichtigen

Cherbourg, 24. Juni 2015. Nukleare U-Boote gehören normalerweise zu den bestgehütesten Geheimnissen der Atommächte. Die ersten Exemplare dieser Schiffsklasse gelten inzwischen jedoch als so veraltet, dass die Franzosen eine dieser tauchenden Weltuntergangsmaschinen in der Normandie an Land gezerrt und für Besichtigungen freigegeben haben: „Le Redoutable“ („Der Gewaltige“) ist seit dem Jahr 2000 im Museum „La Cité de la Mer“ in Cherbourg ausgestellt und gegen einen Obolus zugänglich. Den Reaktor und die Nuklearraketen haben die Franzmänner vorher freilich ausgebaut – obwohl die „Force de frappe“, die französische Atomstreitmacht, eigentlich heute eher Probleme hat, noch zerstörungswürdige Feinde zu finden.

„Der Gewaltige“ liegt abgerüstet auf dem Trockenen

Fast 100 Meter lang ist der stählerne Wurm und wirkt von allen Seiten so, wie es der Name „Le Redoutable“ verspricht: einfach gewaltig. Die Marine hat extra ein schönes großes Loch ins Heck hineingeschnitten, damit sich Oma und Opa nicht wie einst die Seewölfe durch den engen Turmschacht hineinzwängen müssen. Und drinnen fühlt man sich gleich wie am Filmset von Wolfgang Petersens Weltkriegs-Drama „Das Boot“: Genauso schön steampunkig, nur wirkt hier alles etwas geräumiger und bequemer als auf einem deutschen VII-er U-Boot – wie eben die Franzosen mal bauen, wenn sie in die Untersee stechen. Jeder Schritt auf den Gitterrosten hallt metallisch, wir finden uns umzingelt von hübsch analogen Barometern, Thermometern, Voltmetern und was für Messgeräte sich die Franz-Ingenieure der 1960er noch so in jedem Winkel zu drapieren wussten.

Video: Tour durchs Atom-U-Boot "Le Redoutable" (hw):
 

Lautsprecher spielen Geräuschkulisse des Bordalltags ein

Sind da gerade Wartungsmechaniker in der Bilge am Werke? Das Stimmengewirr konzentrierter Männerstimmen mischt sich im Rumpf mit ihren hämmernden, schraubenden, klirrenden Werkzeugen, ohne dass der Besucher die Quelle so recht orten kann. Bis der Groschen oder vielmehr der Centime fällt: Mit ihrem Sinn für effektvolle museale Inszenierungen spielen die Franzosen hier aus versteckten Lautsprechern typische Bordgeräusche ein. Hier eben die Monteure der Hecksektion, in der Lebenserhaltungs-Systeme wie Frischwasser-Aufbereitung, Klimaanlagen und Bordelektrik konzentriert sind. In anderen Sektionen sind es schnarchende Seebären, das Befehlsgemurmel bei „Alarmstufe Rot“ oder das Klappern von Kantinengeschirr.

Wenn untergehen, dann mit Stil: Fette Clubsessel, Bibliothek und Espressomaschine

Wenn wir übrigens gerade dabei sind, was das Leben lebenswert macht: Kaum größer könnte der Kontrast zwischen den spartanischen Klappbrettern, die man in „Das Boot“ als Offizierskombüse eines deutschen VIIer-U-Boots vorgeführt bekam, und der Kapitänsmesse an Bord von S 611 alias „Le Redoutable“. Fette Ledersessel, Fernseher, ja sogar die Andeutung einer noblen nautischen Bibliotheksschrankwand – ja so kann man die Wochen und Monate unter See als Offizier wohl wirklich gut aushalten.

Bedrückende Enge wie auf den deutschen U-Booten des II. Weltkriegs kannte der französische Kapitän der "Le Redoutable" nicht unbedingt. Hier die Offiziersmesse. Foto: Heiko Weckbrodt

Bedrückende Enge wie auf den deutschen U-Booten des II. Weltkriegs kannte der französische Kapitän der „Le Redoutable“ nicht unbedingt. Hier die Offiziersmesse. Foto: Heiko Weckbrodt

Und sah man die Matrosen in den winzigen U-Booten der 1930er und 40er Jahre meist in ihren Kojen speisen, wo sich oft drei Mann ein Bett teilen mussten (Schlafen, Wachen, Essen), hat an Bord der „Force de frappe“ jeder Mannschaftsdienstgrad ein eigenes Bett, speist man in einer richtigen Kantine und wenn man schon untergeht, dann mit Stil: Für eine richtige Espressomaschine muss auf einem französischen U-Boot einfach Platz sein!

Warten, warten, warten

Sicher können wir davon ausgehen, dass der Dienstalltag für die französischen Matrosen ähnlich öde war wie in allen Seestreit-Marinen der Welt, in denen 99 Prozent der Zeit mit einer Tätigkeit drauf gehen: Warten. Warten, bis vielleicht doch der Befehl kommt, den eigentlich keiner hören will: Nuklearschlag!

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Mehrstufiges System gegen „unbefugten“ Nuklearschlag

Groß und breit erklärt die Stimme aus den Audioguide-Kopfhörern in der Raketensektion, wieviele Sicherheitsvorkehrungen seinerzeit getroffen worden seien, damit kein Offizier mit Boot-Koller plötzlich auf den Knopf drücken und einen Atomkrieg auslösen konnte: Dass neben Kommandant und einem weiteren Offizier der Befehl vom Präsidenten der Republik höchstselbst kommen musste. Und gleich beginnt das Kopfkino, gespeist von all den Klischees aus Film und Fernsehen, in denen sich die Franzosen gern als Meister der Unbestimmtheit präsentieren – bloß nicht festlegen! Wie der Präsident im Ernstfall murmelt „Mon Dieu, mon Dieu“, der Kapitän etwas wie „Je ne sais pas“ (Ich weiß nicht, ich weiß nicht) brabbelt und der erste Offizier zu einem „Mai…“ („Aber…“) anhebt. Ob es unter den Umständen je zu einem französischen Nuklearschlag gekommen wäre…?

„Die Bombe“ sorgte in der Grand Nation für neues Selbstbewusstsein

Aber, und das sollte man sich bei diesem Klischee-Bad im Kopfe immer vor Augen führen: Die Franzosen meinten es sehr ernst mit ihrer Politik der atomaren Abschreckung, die sich nicht allein gegen den Ostblock richtete, sondern auch den Amerikanern und anderen westlichen Verbündeten demonstrieren sollte: Seht her, wir sind wieder wer. Allzu sehr hatte das nationale Selbstbewusstsein unter der schnellen Niederlage und der Demütigung durch Hitler im II. Weltkrieg gelitten, nur mit Mühe konnten sich die Franzosen gegen Kriegsende einen Platz im Kreise der Siegermächte USA, Sowjetunion und Großbritannien sichern.

Da sorgte die eigene „Bombe“ ab 1960 für neuen Nationalstolz. General Charles de Gaulle zeigte den USA den Stinkefinger, setzte US-Truppen und NATO vor die Tür und baute ein eigenes Nuklearwaffen-Arsenal auf, zu der ab 1971 offiziell auch „Le Redoutable“ gehörte, die namensgebend für eine ganze Schiffsklasse wurde.

Heute eher Kostendebatten um die „Force de frappe“

Seit dem Mauerfall und dem Untergang der Sowjetunion hat die französische „Force de frappe“ freilich stark an politischer Bedeutung verloren. In Zeiten asymmetrischer Kriegsführung sind die eigenen nuklearen Streitkräfte in Frankreich eher zu einem Streitpunkt um die damit verbundenen Milliardenkosten geworden, als dass sie wirklich noch einen militärischen oder politischen Nutzen versprechen. Ganz trennen will sich die „Grand Nation“ zwar nicht von ihrem teuren Prestigeprojekt – hat aber inzwischen ihr atomares Waffenarsenal dem Vernehmen nach schon deutlich reduziert.

Und so fragt heutzutage die Dame am Ticketschalter in Cherbourg noch nicht einmal nach einem Personalausweis, wenn jemand das einst unter größter Geheimhaltung entwickelte Atom-U-Boot besichtigen will – anscheinend muss man noch nicht einmal aus einem NATO-Staat kommen, um in das stählerne Ungetüm eingelassen zu werden. Bonjour et au revoir, Le Redoutable! Autor: Heiko Weckbrodt

Auch die Schiffsschraube wirkt immens. Foto: Heiko Weckbrodt

Auch die Schiffsschraube wirkt immens. Foto: Heiko Weckbrodt

Zahlen & Fakten

– Name: Le Redoutable (S 611):
– gebaut ab 1964, 1967 fertiggestellt, 1971 in Dienst gestellt
– erstes einer Serie von sechs Atom-U-Booten seiner Klasse
– 128,7 Meter lang und bis zu 10,6 Meter im Durchmesser
– Besatzung: 135 Mann
– bewaffnet mit 16 nuklearen Raketen (Sprengkraft jeweils 500 Kilotonnen), vier Abschussrohre für Torpedos und Exocet-Anti-Seeziel-Raketen
– Bis zur Ausmusterung 1991 verbrachte „Le Redoutable“ 90.000 Stunden unter Wasser und legte fast 1,3 Millionen Kilometer zurück


Besucher-Infos

Das U-Boot kann als Teil der Ausstellung des Museums „La Cité de la Mer“ in 50100 Cherbourg-Octeville, Gare Maritime Transatlantique (rechts neben dem Hafen) besichtigt werden.
– Öffnungszeiten: 10 bis 18 Uhr, im Juli und August 9.30 bis 19 Uhr
– Eintritt: 18 Euro, Kinder 13 Euro (unter fünf Jahren: gratis in Begleitung Erwachsener)
– Anfahrt mit dem Auto: Von Deutschland oder von Paris aus nach Caen in der Normandie und von dort aus kommt man binnen anderthalb Stunden auf der N13 nach Cherbourg. Wer etwas mehr Zeit hat und auf der Hinfahrt Bunker des Atlantikwalls besichtigen will, dem sei unterwegs ein Abstecher nach Azeville ans Herz gelegt.


Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt