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Deutscher Anlauf für private Raumfahrt begann drei Jahrzehnte vor SpaceX

Olaf Przybilski mit der Spitze eine Otrag-Rakete. Foto: Heiko Weckbrodt

Olaf Przybilski mit der Spitze eine Otrag-Rakete. Foto: Heiko Weckbrodt

Als Vorgeschmack auf das Raketenmuseum Dresden zeigt Ingenieur Olaf Przybilski im Flughafen eine „Otrag“-Sonderschau

Dresden, 14. Oktober 2024: Brennkammern, orbitale Aschenbecher, kongolesische Schutzschilde und Dutzende andere kosmisch-irdische Exponate zeigt Raketeningenieur Olaf Przybilski ab heute in der Sonderausstellung „Otrag“ im Dresdner Flughafen als Vorgeschmack auf sein geplantes Museum für Raketen- und Raumfahrttechnik. Anhand von originalen Bauteilen, stählernen Modellen, zeitgenössischen Zeitungsartikeln, Fotos und Video zeichnet der Forscher auf der Abflug-Ebene des Airports beispielhaft die Geschichte der „Orbital Transport- und Raketen- Aktiengesellschaft“ (Otrag) nach. Die nämlich hatte in den 1970er und 1980er Jahren eben das versucht, was drei Dekaden später US-Milliardär Elon Musk dann tatsächlich mit seiner Firma SpaceX schaffte: private Raumfahrt, die sich mit den teuren staatlichen Programmen messen kann – nur eben in diesem Fall mit deutscher Raketentechnik.

Eine "Falcon 9" soll das Privatraumschiff "Dragon" in den Orbit bringen. Abb.: NASA

Eine „Falcon 9“ von SpaceX brachte ab 2012 die ersten Privatraumschiffe in den Orbit. Bereits 2008 hatte die erste SpaceX-Rakete erfolgreich eine Erdumlaufbahn erreicht – reichlich 30 Jahre nach der Gründung der deutschen „Otrag“, die damals ganz Ähnliches vorhatte. Abb.: NASA

Deutsche bauten ihre Raketen nach Lowtech-Konzept in Afrika – dann ging ihnen das Geld aus

Letztlich scheiterte die Otrag zwar an Geldmangel, politischen Widerständen und anderen Faktoren. Dennoch eigne sich gerade dieses abgeschlossene Kapitel deutscher Raumfahrt-Geschichte besonders dafür um zu zeigen, was mit Forscher- und Unternehmergeist, mit Innovationsfreude und dem visionären Griff nach den Sternen möglich sei, ist der frühere TU-Raketenwissenschaftler Przybilski überzeugt: „Das Unternehmen hat damals eine sehr leichte, fast schon primitiv simple und sehr robuste Raketenkonstruktion entwickelt, die sich mit einfachen Mitteln in Afrika produzieren ließ“, meint er. „Man hätte sich gewünscht, dass die Otrag den richtigen Schwung bekommen hätte.“ Mit Blick auf die „New Space“-Welle aus privater Raumfahrt, die vor allem durch SpaceX und Elon Musk angestoßen wurde und seit 2008 nach und nach den Erdorbit erobert, könnte man sagen: Die Otrag war über drei Jahrzehnte zu früh dran und hätte inmitten des heutigen „New Space“-Hypes vielleicht sogar genügend Investoren gefunden.

Verteiler-Ringe und Ventilsystem von Otrag-Raketen. Foto: Heiko Weckbrodt

Verteiler-Ringe und Ventilsystem von Otrag-Raketen. Foto: Heiko Weckbrodt

Als private und preiswerte Alternative zur Europa-Rakete gedacht

Hintergrund: Die „Orbital Transport- und Raketen- Aktiengesellschaft“ entstand 1974 in Hessen als Zusammenschluss mehrerer Unternehmen und Ingenieure um den Gründer Lutz Kayser. Anfänglich auch staatlich gefördert, wollte das Konsortium eine preiswerte Alternative zu den teuren Weltraum-Raketen der Amerikaner und Europäer entwickeln. Als sich die Regierungen in Bonn und Paris zunehmend auf die Europarakete beziehungsweise die Ariane fixierten, verlagerte die private Otrag ihre Aktivitäten nach Zaire und später nach Libyen. Dort kam es zu mehreren praktischen Tests. Eine Nutzlast vermochten die mit Kerosin und Salpetersäure betankten Bündelraketen der Otrag jedoch niemals ins All zu bringen: Dem Unternehmen ging vorher das Geld aus, um noch bestehende technische Schwächen der Raketen auszubügeln und die Konstruktionen weiterzuentwickeln. Dazu kam wohl auch der politische Druck der Westeuropäer, die private Konkurrenz zum Ariane-Programm endlich zu beerdigen. Nicht zuletzt geriet die Firma in den Verdacht, zu eng mit Gaddafis Rüstungsprogrammen verbandelt zu sein. Auch wuchsen die Zweifel an der praktischen Leistungsfähigkeit der Otrag-Technologie. 1986 wurde die Gesellschaft letztlich aufgelöst.

Frank Wukasch war der letzte Otrag-Chef. Foto: Olaf Przybilski

Frank Wukasch war der letzte Otrag-Chef. Foto: Olaf Przybilski

Brennkammern und Raketenspitzen nebst Raketen-Aschenbecher und anderen Kuriosa aus Zaire

Die nun eröffnete Sonderschau des „Sächsischen Vereins für historisches Fluggerät“ erzählt diesen Stück Technologie-Geschichte nun nach. Zu sehen sind beispielsweise Modelle der Otrag-Raketen, Original-Brennkammern, Planeten-Getriebe, Ventilsysteme und Treibstofftanks. Zu sehen sind aber auch Kuriosa wie eben der in Zaire gefertigte Raketen-Aschenbecher oder eine Meldung aus dem „Neuen Deutschland“ von 1977, in der das SED-Parteiorgan damals aus den Otrag-Orbitalraketen kurzerhand „Cruise Missiles“ für westliche Aufrüstungsprogramme machte.

Druckmesser in der Otrag-Ausstellung. Foto: Heiko Weckbrodt

Druckmesser in der Otrag-Ausstellung. Foto: Heiko Weckbrodt

Neues Museum in Dresden soll deutsche Raketen-Geschichte(n) zeigen

Die Exposition bereitet ein noch ambitionierteres Projekt vor: In spätestens vier Jahren will Olaf Przybilski ein neues Museum zur Raketen- und Raumfahrttechnik in Dresden eröffnen und dafür auch eine Trägerstiftung einrichten. Für diese Vision sammelt der Ingenieur bereits seit vielen Jahren Schaustücke und Informationen über Raketenträume und -projekte „made in Germany“. Manche Stücke und Infos bekommt er über die Netzwerke, die der Verein weltweit geknüpft hat, andere über seine ehemaligen Studenten, die er einst an der TU Dresden unterrichtet hatte und die inzwischen teils in internationalen Technologie-Unternehmen tätig sind. Zudem bringt Przybilski einschlägige eigene Erfahrungen mit, die er in Dresden während seiner Raketen-Entwicklungsarbeit am „Smart Rockets“-Programm akkumulierte. Heute ist der 64-Jährige ehrenamtlich als Vorsitzender des „Sächsischen Vereins für historisches Fluggerät“ tätig. Mittlerweile umfasst seine Kollektion mehrere Tausend Exponate: vom kleinen Kupferventil einer deutschen A2 aus dem Jahr 1934 bis hin zu einem 600 Kilo schweren und 3,50 Meter hohem „Viking“-Triebwerk für die „Ariane 4“.

Olaf Przybilski zeigt ein stählernes 1:20-Modell einer Otrag-Rakete. Foto: Heiko Weckbrodt

Olaf Przybilski zeigt ein stählernes 1:20-Modell einer Otrag-Rakete. Foto: Heiko Weckbrodt

„Manche sammeln Schmetterlinge, ich sammle Raketen“

„Ich sehe die Ausstellung im Flughafen als Testballon für das künftige Museum“, sagt er. Dabei wolle er auch ausloten, wie sehr sich junge Menschen noch heute für Raumfahrt und die dahinter steckenden Hightech begeistern. „Manche sammeln Schmetterlinge, ich sammle Raketen“, sagt er über seine eigene Faszination für diese Technologien. „Ich wollte einfach immer wissen, wie so etwas funktioniert.“

Kurzinfos zur Ausstellung:

  • Thema: Orbital Transport- und Raketen- Aktiengesellschaft – Otrag
  • Ort: Flughafen Dresden, 1. Obergeschoss (Abflug-Ebene) hinten rechts
  • Dauer: 14. bis 22. Oktober 2024
  • Öffnungszeiten: 15., 16. sowie 18.-20.10. jeweils 9 bis 12 Uhr und 14 bis 18 Uhr
  • Schülertage: 21. und 22. Oktober (speziell für Schulklassen, Anmeldung über info@raketenspezialisten.de
  • Begleitprogramm: täglich 18 Uhr hält Olaf Przybilski einen Vortrag über die Otrag-Geschichte
  • Veranstalter: Sächsischer Verein für historisches Fluggerät
  • Eintritt: Erwachsene 5 Euro, Jugendliche 3 Euro, Extra-Gebühr für Vorträge: 2 Euro
  • Mehr Infos im Netz: raketenspezialisten.de

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Besuch, Auskünfte Olaf Przybilski, Oiger-Archiv, Wikipedia, raketenspezialisten.de

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