Energietechnik, News, Wirtschaftspolitik, zAufi

63 Unternehmen fordern Energiewende-Schub von Sachsen

Solaranlage. Foto: Heiko Weckbrodt

Solaranlage. Foto: Heiko Weckbrodt

Industrievertreter appellieren an künftige Koalition, mehr für den Ausbau von Wind- und Solarparks sowie Energienetzen zu tun

Dresden, 17. September 2024. 63 Stahlwerke, Chemiebetriebe, Kunststoffverarbeiter und andere Unternehmen aus Sachsen mit insgesamt über 13.000 Beschäftigten haben an die nächste Staatsregierung in Dresden appelliert, den Ausbau erneuerbarer Energiequellen im Freistaat stärker als bisher zu unterstützen. Wichtig sei es vor allem, die Genehmigungsverfahren für den Bau von Wind- und Solarparks zu vereinfachen und zu beschleunigen. Zudem müsse Sachsen den Ausbau der Energienetze vorantreiben und dafür sorgen, dass gleichzeitig die Energiepreise sinken. „Wir brauchen in Sachsen mehr grüne Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen“, fordert René Spandler, Stahlwerkleiter von „Ervin“ in Glaubitz.

Christian Heedt von Siltronic Freiberg. Foto: Siltronic via Unternehmen für Sachsens Zukunft

Christian Heedt von Siltronic Freiberg. Foto: Siltronic via Unternehmen für Sachsens Zukunft

Solar-Bauer in der Bürokratiemühle

„Für unsere Produktion kaufen wir bereits Grünstrom* zu“, skizziert der Freiberger Siltronic-Werkleiter Christian Heedt, in dessen Fabrik Siliziumscheiben für die Chip- und Solarindustrie hergestellt werden, ein Beispiel. „Wir hätten diese Energie auch gerne regional zugekauft.“ Ausreichende Mengen davon seien aber nicht verfügbar gewesen. Dabei habe es im Umland durchaus Interessenten gegeben. „Ein Landwirt in der Gegend hier hat 30 Hektar Land brach liegen und wollte dort gerne einen Solarpark bauen“, erzählt Christian Heedt. Mit seinem Plan sei der Bauer aber in einer wahren Bürokratie-Mühle stecken geblieben, weil es allzu viele Vorschriften und Genehmigungsverfahren von Stadt, Land und Netzbetreiber zu durchlaufen galt. „Es kann doch nicht sein, dass ein Landwirt erst Energiewirtschaft studieren muss, bevor er eine Solaranlage bauen darf“, meint der Siltronic-Werkleiter. „Das wäre eine konkrete Aufgabe für die Staatsregierung, solchen Menschen den Weg etwas zu ebnen.“

Jutta_Matreux von Wacker Chemie in Nünchritz. Foto: Wacker via Unternehmen für Sachsens Zukunft

Jutta_Matreux von Wacker Chemie in Nünchritz. Foto: Wacker via Unternehmen für Sachsens Zukunft

Werkleiter überzeugt: Langfristig lässt Ökostrom die Preise purzeln

Auch für Werkleitern Jutta Matreux von „Wacker Chemie“ in Nünchritz ist ein massiver Ausbau von erneuerbaren Energiequellen in Sachsen ein Königsweg hin zu einer billigen, umweltfreundlichen und wettbewerbsfähigen Energieversorgung der sächsischen Industrie: Zwar verursache der Auf- und Ausbau von Windrädern, Solaranlagen, Netzen und Speichern erst mal erhebliche Kosten. „Das wird sicher ein Jahrhundertprojekt, zumindest ein Projekt für Dekaden“- räumt Matreux. Gerade beim Aufbau geeigneter Infrastrukturen könne aber der Freistaat ganz konkret helfen. Und: „Langfristig wird grüner Strom für sinkende Preise sorgen“, pflichtet auch Bergi-Plast“-Werkleiter Ronald Bernstein aus Bad Gottleuba-Berggießhübel bei.

Hier werden bereis die Unterschiede zur CDU-geführten Regierung in Sachsen deutlich: Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte erst kürzlich noch einmal einen „Neustart“ der verkorksten Energiewende in Deutschland gefordert. Zudem will er zwar auch die „Erneuerbaren“ unterstützen, plädiert aber dafür, erst dann ganz umzuschwenken setzen, wenn Sonne, Wind & Co. genug, stabil und preiswert liefern.

Ronald Bernstein von Bergi-Plast. Foto: Bergi-Plast via Unternehmen für Sachsens Zukunft

Ronald Bernstein von Bergi-Plast. Foto: Bergi-Plast via Unternehmen für Sachsens Zukunft

CO2-Zölle der EU dürften für mehr Ökostrom-Nachfrage sorgen – gerade auch in der Stahlindustrie

Auf ein weiteres Argument für eine sächsische Wende hin zu erneuerbaren Energiequellen verweist Stahlwerk-Chef René Spandler: Durch die CO2-Zölle aus Brüssel und weitere internationale Vorgaben wird es künftig schwerer, klassische Stähle in Europa zu verkaufen, privilegiert wird dann „Grüner Stahl“. „Wenn ich mir die Transformation in China und den USA anschauen, werden beide Länder in Zukunft problemlos genügend grünen Stahl in Europa anbieten können.“ Insofern werden die EU-Abwehrzölle womöglich keine internationalen Wettbewerber an Stahlexporten gen Europa abhalten, sondern womöglich einheimische Stahlkocher, die nicht genug Grünstrom* bekommen, ins Abseits manövrieren.

Rene Spandler vom Ervin-Stahlwerk Glaubitz. Foto: Ervin via Unternehmen für Sachsens Zukunft

Rene Spandler vom Ervin-Stahlwerk Glaubitz. Foto: Ervin via Unternehmen für Sachsens Zukunft

Regierung soll für einfache und rasche Genehmigungsverfahren sorgen

Bisher tue Sachsen jedenfalls nicht genug, um den Bedarf an grünem** und billigem Strom zu decken, meinen die Appellanten, die sich unter der Devise „Unternehmen für Sachsens Zukunft – Der Freistaat braucht die Energiewende” zusammengeschlossen haben. Sie fordern nun von der sich wohl bald formierenden neuen Koalition in Dresden „den öffentlichen politischen Rückhalt für die Energiewende, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und den Netzausbau voranzutreiben.“ Zudem müsse die Regierung für „eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für erneuerbare Energien“ sorgen, „um die Klimaziele zu erreichen und die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Sachsen langfristig zu sichern“.

Wacker Nünchritz ist ein wichtiger Zulieferer für die Chipindustrie in und außerhalb von Sachsen. Chemiebetriebe wie Wacker stehen durch die hohen deutschen Energiepreise allerdings besonders unter Druck. Foto: Heiko Weckbrodt

Wacker Nünchritz ist ein wichtiger Zulieferer für die Chipindustrie in und außerhalb von Sachsen. Chemiebetriebe wie Wacker stehen durch die hohen deutschen Energiepreise allerdings besonders unter Druck. Foto: Heiko Weckbrodt

Sachsen deckte 2021 nur 9 % seines Gesamt-Energiebedarfs aus Wind, Sonne & Co.

Rechnet man Strom- und Wärmebedarf, Spritverbrauch im Verkehr und sonstige Energieverbräuche zusammen, kam Sachsen im zuletzt vollständig ausgewerteten Jahr 2021 auf einen Primärenergieverbrauch von 652,5 Petajoule. Davon stammten laut dem Statistischen Landesamt in Kamenz 39,5 Prozent aus Braunkohle-Kraftwerken, 22,8 Prozent aus Erdgas und 14.6 Prozent aus Rohbenzin. Windräder, Solaranlagen, Geothermie-Bohrlöcher und andere erneuerbare Energiequellen (EE) steuerten nur neun Prozent bei – und hier ist die Verbrennung von Altholz und anderer Biomasse sogar noch eingerechnet. Seither dürfte der EE-Anteil zwar deutlich zu Lasten von Erdgas und Braunkohle gestiegen sein. Aber eine neuere Gesamtabrechnung für den Primärenergieverbrauch in Sachsen haben die Landesstatistiker noch nicht vorgelegt.

"Repowering": Techniker rüsten eine Windkraftanlage mit stärkeren Generatoren auf. Dies ist ein weltweiter Trend in der Branche, in Sachsen kommt er laut BWE-Angaben aber erst langsam voran. Foto: REpower Systems AG, BWE

„Repowering“: Techniker rüsten eine Windkraftanlage mit stärkeren Generatoren auf. Foto: REpower Systems AG, BWE

Bei Ökostrom-Erzeugung landet Freistatt auf hinteren Plätzen

Gemessen an der Bruttostromerzeugung in Deutschland lag Sachsen im Jahr 2023 mit einem EE-Anteil von 17,9 Prozent ziemlich weit unten im Bundesländervergleich – nur Berlin und das Saarland kommen auf noch niedrigere Werte.

* „Grünstrom“ ist nicht wirklich grün. Die Farbe soll kennzeichnen, dass der Strom umweltfreundlich erzeugt wurde.

** Auch dieser Stahl ist nicht grün, sondern soll ohne Kohlendioxid-Ausstoß gewonnen werden – zum Beispiel elektrisch im Lichtbogen-Ofen aus Schrott oder mit Wasserstoff statt Koks reduziert aus Roheisen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Appell „Unternehmen für Sachsens Zukunft“, Auskünfte Ervin Germany, Silitronic, Bergi-Plast, Wacker Nünchritz, Stat. Landesamt Kamenz, Handelsblatt, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt