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Matrix, humanoide Roboter und karosserie-freie Montage krempelt Autoproduktion um

Mit humanoiden Robotern wie dem Optimus will Tesla auch die Autoproduktion umkrempeln. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Tesla, Inc.

Mit humanoiden Robotern wie dem Optimus will Tesla auch die Autoproduktion umkrempeln. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Tesla, Inc.

ACOD-Kongress in Dresden: Fraunhofer-Forscher Bauernhansl über einen fundamentalen Wandel in den Autofabriken

Dresden, 13. September 2024. „Matrix-Produktion“, „Giga Casting“ und „Unboxed“-Bauweise: Die Automobilbranche erlebt derzeit nicht nur in puncto Antrieb, Kundenerwartungen und Software-Dominanz eine grundlegende Transformation, sondern auch bei den Fertigungsverfahren. Darauf hat Professor Thomas Bauernhansl vom „Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung“ (IPA) zum Kongress des Branchenverbandes „Automotive Cluster Ostdeutschland“ (ACOD) in Dresden hingewiesen.

Preiskampf, Fachkräftemangel und Kundenwünsche erzwingen neue Produktionssysteme

„Wir erleben den Wandel hin zu neuen Produktionssystemen“, schätzt der Forscher ein. Treiber sind dafür der wachsende Preiskampf der chinesischen Konkurrenz, die die europäischen Platzhirsche unter Druck setzt, aber auch die technologischen Innovationen von Tesla, das mit seinen Effizienzverfahren etablierte Auto-Produktionsprozesse vollkommen umkrempelt, und nicht zuletzt der Fachkräfte-Mangel. All dies führt dazu, dass die Innovatoren in der Branche nach neuen Wegen suchen, Autos billiger und schneller zu fertigen und dabei auch noch Personal einzusparen.

Tesla. Foto: Heiko Weckbrodt

Tesla. Foto: Heiko Weckbrodt

„Neuling“ Tesla macht auch in der Produktion vieles anders als die alten Platzhirsche

„Als große Trends sehen wir dabei den verstärkten Einsatz von Künstlicher Intelligenz, von humanoiden Robotern und mehr Vernetzung“, meint Prof. Bauernhansl. Wobei dies freilich „nur“ Schlüsseltechnologien sind, von denen bereits gesprochen wird, seitdem deutsche Ingenieure, Forscher und Manager das Ziel einer „Industrie 4.0“ formuliert hatten. Verschränkt dabei sind auch neue Ansätze für die Karosserie-Fertigung und Endmontage von Autos, insbesondere von Stromern.

„Giga Casting“: Immer größere Karosserie-Teile in einem Stück aus der Superpresse

Viel davon hat Elon Musk bei Tesla mit massiven Robotereinsatz – den er von den deutschen Autoherstellern adaptiert hat – sowie den Konzepten „Giga Casting“ und „Unboxed“ vorgemacht: „Giga Casting“ bedeutet, möglichst viele Karosserie-Bauteile und andere Basiskomponenten aus einem Stück mit riesigen Hochdruck-Pressen herzustellen, statt sie einzeln zu fertigen und zu verschweißen.

"Unboxed"-Erklärvideo von Tesla:

Beim „Unboxed“-Verfahren wiederum wird nach dem Baukastenprinzip das Auto wie in einer Explosionszeichnung montiert – beziehungsweise oder wie in jenen Videos, in denen der Käufer eines neuen Produkts erst mal alle Einzelteile aus dem Lieferkarton („Box“) auf einem Tisch ausbreitet, bevor er sie zusammensetzt: Während in klassischen Autofabriken in Deutschland die bereits zusammengesetzte Karosserie recht aufwendig mit Sitzen, Motor, Getriebe und anderen Komponenten bestückt wird, entfernt Tesla durch seine neue Fertigungstechnologie gewissermaßen den störenden Käfig („Box“), der bisher die Zahl der gleichzeitig an einem Auto arbeitenden Menschen und Roboter schon rein platzmäßig limitiert. Die Idee: Tesla will mit einer einfach zugänglichen Bodenplatte anfangen, sie bestücken, parallel, aber räumlich getrennt den Vorder- und Hinterwagen aus großen „Giga-Casting“-Einzelteilen zusammensetzen und letztlich all dies nur noch „zusammenschieben“. Das soll die Montagezeiten, den Personalaufwand und nicht zuletzt auch die Ergonomie und Automatisierungs-Möglichkeiten enorm verbessern.

Magisch verschlungene Wege durch die Fabrik: Die Matrix für die Losgröße 1

Eine andere altbekannte Herausforderung soll das Matrix-Verfahren endlich schaffen: Seit Jahren die Rede davon, dass hochautomatisierte und gleichzeitig hochflexible Fabriken nach „Industrie 4.0“-Prinzipien imstande sein sollen, auch Einzelanfertigungen („Losgröße 1“) noch profitabel herzustellen. Das Anwendungsbeispiel par excellence dafür ist eben die Autoindustrie: Immer mehr Kunden wollen ganz besondere, individuell zugeschnittene Autos statt Fließband-Einerlei haben. Jede dieser Extrawürste bringt aber die Abläufe und Taktzeiten in einer auf Massenproduktion geeichten Autofabrik ein klein wenig durcheinander und verursacht Zusatzkosten. Zwar erfüllt die Autoindustrie schon seit Jahrzehnten allerlei Kunden-Sonderwünsche – aber das sorgt meist für Effizienzverluste in der Produktion.

Thomas Bauernhansl. Foto: Rainer Bez für das Fraunhofer-IPA

Thomas Bauernhansl. Foto: Rainer Bez für das Fraunhofer-IPA

Die Matrix-Fabrik könne dieses Problem besser bewältigen als bisherige Kompromiss-Lösungen, meint Bauernhansl. Die Idee dabei: Mehrere Fertigungslinien mit teils verschiedenen Maschinen, Montagestationen und Robotern sind in solch einer Fab so miteinander vernetzt, dass die steuernde Künstlicher Intelligenz (KI) jedes zu bauende Auto oder andere Produkte auf ganz unterschiedliche Wege durch das Werk lotst, ohne dabei starre Taktzeiten durcheinander zu bringen. Dabei soll sich die KI vom 3D-Computermodell des gewünschten Bauteils oder Fahrzeugs ausgehen und sich „überlegen“, wie jede Einzelanfertigung am besten zu fertigen ist, welche Pfade dabei zu bevorzugen sind.

Anläufe dazu gab’s schon in den 80ern

Solche Ideen gab es bereits in den 1980er Jahren. Damals scheiterte die vollautomatische flexible Fabrik aber an übergroßer Komplexität, hohem operativen Nachsteuerbedarf und technologischen Lücken. Inzwischen sind beispielsweise autonome Bauteil-Transportroboter, leistungsstarke Rechentechnik, schnelle und auch drahtlose Datenverbindungen, Sensorik und KI in ganz anderem Maße verfügbar und ausgereifter als damals. Mehr und mehr Unternehmen exerzieren solche flexibel auf aktuelle Änderungen reagierende „intelligente“ Fabriken auch bereits vor. Ein Beispiel sind die adaptiven Wafer-Transporterbahnen bei Globalfoundries Dresden und in anderen modernen Chipfabriken. Auf ein anderes Beispiel aus dem Automobilsektor macht Thomas Bauernhansl selbst aufmerksam: Der Getriebe- und Motorhersteller „SEW Eurodrive“ etwa habe seine Fabrik in Bruchsal so hoch automatisiert und mit fahrerlosen Transportern ausgestattet, dass eine Matrix-Produktion möglich werde.

Auch für die Wafer-Transport-Eisenbahn in der Chipfabrik setzt Globalfoundries Dresden vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) ein. Foto: Heiko Weckbrodt

Wafer-Transport-Eisenbahn in der Chipfabrik von Globalfoundries Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Schreit- und Springroboter sollen Lücken hin zur Vollautomatisierung füllen

Und auch die vorerst letzte große Lücke auf dem Weg zur Vollautomatisierung versuchen Technologie-Größen weltweit bald zu schließen: Unternehmen wie Tesla, Boston Dynamics, Apptronik, Honda, Toyota und viele andere haben in den vergangenen Jahren große Fortschritte mit menschenähnlichen und auf zwei Beinen laufenden, teils auch springenden Robotern gemacht. Sie sollen künftig in der Industrie Fachkräftelücken füllen, vor allem aber Automatisierungslücken füllen, binnen Sekunden neue Arbeitsschritte lernen und neue Aufgaben erfüllen – so anpassungsfähig wie bisher nur der Mensch, aber schneller, stärker und unermüdlicher sowie „willens“, als „Springer“ jeden Befehl der Fabriksteuerungs-Systeme sofort zu erfüllen. Helfen sollen dabei eingebettete oder vernetzte „Künstliche Intelligenzen“ – daher ist gelegentlich auf vom Trend hin zum KI-Roboter die Rede.

Prof. Ulrike Thomas im Roboterkeller der TU Chemnitz mit einem Paar Beine für einen künftigen Schreitroboter. Foto: Heiko Weckbrodt

Auch Prof. Ulrike Thomas forscht in der TU Chemnitz an Schreitrobotern. Foto: Heiko Weckbrodt

Wird 2025 das Jahr der „Humanoiden“?

Ob und in welchem Maße humanoide Roboter diese hochgesteckten Erwartungen in absehbarer Zeit wirklich erfüllen können, wird die industrielle Praxis zeigen. Elon Musk will seine Optimus-Roboter dem Vernehmen nach ab 2025/26 in Serie produzieren und auch in Tesla-Fabriken einsetzen. Marktforscher wie „Horvath“ gehen ebenfalls davon aus, dass 2025 das Jahr der humanoiden Industrieroboter werden könnte. Und auch IPA-Forscher Thomas Bauernhansl sieht diese neue, alte Idee vom „irgendwie“ menschenähnlichen Roboter langsam in greifbare Nähe rücken. Allerdings: Die „Musike“ in diesem Technologiesektor spielt größtenteils außerhalb Deutschlands. Die meisten richtig großen Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die sich mit dem Thema ernsthaft beschäftigen, und umgerechnet teils über 100 Millionen Euro in die Robotik der Zukunft investiert haben, sitzen vor allem in Nordamerika und Asien.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: IPA, Vorträge ACOD-Kongress 2024, BBC, Horvath, Tesla

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt