Über Dekaden hat sich die Polstermöbel-Fabrik Oelsa mit innovativen Funktionsmöbeln immer wieder um Berge und Täler navigiert
Rabenau, 9. September 2024. Auf ihren Stühlen wurde einst der Strauß-Kredit eingefädelt, empfing SED-Chef Erich Honecker als Zeichen gegen den Kalten Krieg den bundesdeutschen Kanzler Helmut Schmidt. Heute sind ihre komfortablen Antworten auf den demografischen Wandel im gesamten deutschsprachigen Raum gefragt. Die Rede ist nicht etwa von einer geheimen Denkfabrik, sondern… vom erzgebirgischen Traditionsunternehmen „Polstermöbel Oelsa“: Mit Geschick, Ausdauer und vor allem handwerklicher Qualität hat sich der über 150 Jahre Betrieb durch Kaiserzeit, Kriege, Verstaatlichung, Wende und andere wechselvolle Zeiten hindurch immer wieder aufgerappelt.
Sessel bringt Oma per Knopfdruck wieder in die Senkrechte
Berühmt sind die in der Burg Rabenau hergestellten Sessel, Sofas, Liegen und Garnituren vor allem für ihre trickreichen Extras: Der Sessel für Oma beispielsweise, der die betagte Seniorin per Knopfdruck in die Senkrechte bringt, weil sie sich sonst nur noch mit Mühe aufrichten könnte. Die Garnitur mit integrierter Infrarot-Heizung für kalte Winterabende. Die gut versteckte Einstell-Maschinerie im Fernseh-Sofa, das sich auf die optimale Lümmel-Position für den Streaming-Abend bringen lässt – Füße hoch, Rücken runter oder was auch immer.
Video (hw): Sessel mit Aufstehhilfe:
Senioren und Singles gehören zu Stammkundschaft
„Mit unseren innovativen Funktions-Polstermöbeln heben wir uns deutlich von der Konkurrenz ab“, betont Geschäftsführer Heiko Langer. Hinzu kämen die besondere Qualität, der Service und die Langlebigkeit der Möbel aus Rabenau. „Das machen uns die Fabriken in China oder Osteuropa nicht so einfach nach.“ Vor allem Singles und Senioren gehören zur Kernkundschaft des Unternehmens: Deren Zahl wächst in unserer älter werdenden Gesellschaft, sie sind für die vielen Komfort-Funktionen und Umklapp-Optionen dankbar. Und sie sind bereit, dafür einen höheren Preis zu zahlen als für die Standardware aus Fernost. Auch, weil Polstermöbel „Made in Saxony“ als besonders langlebig gelten. „Wir geben fünf Jahre Garantie“, erzählt Langer. „Das ist bei vielen ein wichtiges Argument bei der Kaufentscheidung.“
Dieser Fokus auf Güte und raffinierte Funktionen, aber auch besondere Krisenerfahrung haben in Rabenau lange Traditionen. 1869 gründete Ferdinand Reuter gemeinsam mit vier Aktionären die „Sächsische Holzindustriegesellschaft“ in der Burg Rabenau. In den Folgejahren kurbelte er die Stuhlproduktion mit den neuesten Dampfmaschinen an, heimste mit seinen Möbeln nicht nur Geld, sondern auch internationale Preise ein. Nach langem Aufschwung brach indes ein 26-wöchtiger Streik im Jahr 1911 dem Unternehmen wirtschaftlich das Genick. Die Produktion ruhte jahrelang, bis Polstermöbelfabrikant Oskar Wolf aus dem benachbarten Oelsa die Stuhlfabrik in Rabenau übernahm, sanierte und wiedereröffnete.
Staatsbetrieb exportierte 80 % seiner Polstermöbel gen Westen
Nach dem Zweiten Weltkrieg folgten die nächsten Rückschläge: erst Enteignung, dann Demontage. Als Staatsbetrieb startete das Werk auf dem Rabenauer Burgfelsen ab 1950 erneut. In den nächsten Dekaden stieg der VEB zu einem der größten Polstermöbelbetriebe der DDR auf, koordinierte zeitweise bis zu 60 Betriebsstätten mit insgesamt bis zu 1600 Beschäftigten. In dieser Zeit statteten die Rabenauer unter anderem Honeckers Jagdschloss Hubertusstock – in dem der Staatsratsvorsitzende unter anderem Strauß, Schmidt und andere hochrangige Besucher empfing – mit ihrer Garnitur „Potpourri“ aus. Einen kleinen Teil der Produktion bekam über den Einzelhandel auch Otto Normalbürger zu sehen. Doch rund 80 Prozent der Rabenauer Möbel exportierte die DDR gen Westen. Dort wurden sie dann unter Markennamen wie „Ikea“ oder „Lait“ zu Billigpreisen verkauft.
Dieses Westgeschäft stand und fiel freilich mit den niedrigen Löhnen in der DDR. Durch Wende und Währungsunion schrumpfte der einstige ostdeutsche Möbelproduktions-Riese quasi über Nacht drastisch, neue Geschäftsmodelle waren gefragt. Mit dem europaweit größten Polstermöbel-Hersteller „Himolla“ scheint zunächst ein interessierter Kaufinteressent gefunden zu sein. Die neuen Banner waren schon im Burghof gehisst. Doch dann bliesen die Bayern die avisierte Übernahme im letzten Moment ab. „Vier Wochen hat mir die Treuhand daraufhin Zeit gegeben, eine neue Lösung zu finden“, erinnert sich der damalige Betriebsdirektor Andreas Käppler. Andernfalls wollten die Herren aus Berlin die Fabrik dicht machen. Um zu retten, was zu retten war, kratzten Käppler und zwei Mitstreiter alles Geld zusammen, was sie beschaffen konnten, und kauften den Betrieb selbst.
Kauflaune der Kunden seit Corona und Krieg gedrückt
Das neue Eigentümer-Trio konzentrierte die Fertigung in Rabenau, modernisierte und erweiterte die Fabrik in den nächsten drei Dekaden. Die Belegschaft wuchs zeitweise wieder auf 250 Polsterer, Näherinnen, Gestellbauer, Mechaniker und andere Fachleute. Dann kam Corona. Die erwartete Erholung nach der Pandemie blieb aus. Statt dessen drückten Preisschocks, Ukraine-Krieg, Energiepreis-Wellen, Wohnungsbaukrise und allgemeine Verunsicherung die Kauflust der Kunden weiter in den Keller. „Holz, Schaum, Stoffe… einfach alles ist teurer geworden“, sagt Käppler. „Doch Kostensteigerungen um die 40, 50 Prozent, wie wir sie in jüngster Zeit erlebt haben, die kann ich nicht unbegrenzt an die Kunden weitergeben.“ All das kostete Umsatz – und letztlich auch Jobs auf dem Burgfelsen.
Doch mit Krisen kennen sich die Rabenauer zur Genüge aus. Sie agieren, statt nur auf bessere Zeiten zu warten. Ein neues Lichtkonzept und die Solaranlage auf dem Dach hilft, die Energiekosten wieder ein Stück weit zu drücken. Parallel dazu setzt das Kollektiv auf Innovationen und Netzwerke. So richtet das Unternehmen beispielsweise eine eigene Fachmesse in Dresden aus, hat Kooperationen mit einer Coburger Weberei geknüpft, die ganz einzigartige Stoffe liefert, die kein chinesischer Konkurrenz bieten kann. „Die Coburger weben für uns zum Beispiel einen Exklusivstoff, aus dem Sie jeden Fleck ganz leicht wieder heraus wischen können“, erzählt Betriebsleiter Marko Zilcher. „Und für Tierfreunde haben wir einen kratzfesten Stoff ins Programm genommen. Ich habe das selbst mit meiner Katze ausprobiert: Da bleiben keine Kratzspuren.“ Wohin die großen Polstermöbel-Designtrends in der aktuellen Saison gehen, verraten die Rabenauer schon mal: „Gefragt sind wieder helle Farben in Beige, Grau und Braun“, prognostiziert Heiko Langer. „Und die organischen Formen sind wieder im Kommen.“
Kurzüberblick
- Unternehmen: Polstermöbel Oelsa GmbH
- Hauptsitz: Rabenau
- Geschäftsfelder: Produktion von hochwertigen Funktions-Polstermöbeln
- Gründung: 1869 auf der Burg Rabenau
- Belegschaft: 173 Beschäftigte
- Mehr Infos im Netz: pm-oelsa.de
Autor: Heiko Weckbrodt
Quelle: Vor-Ort-Besuch, Interviews Geschäftsleitung
Hinweis: Dieser Beitrag ist ursprünglich für die Dresdner Neuesten Nachrichten entstanden.
BUs
Polstermöbel-Oelsa-Aufstehhilfe.mp4
Betriebsleiter Marko Zilcher führt einen Sessel mit automatischer Aufstehhilfe vor. Video: Heiko Weckbrodt
Polstermöbel-Oelsa-hoch.jpg (und quer):
Eigentümer Andreas Käppler (links) und Geschäftsführer Heiko Langer leiten die Geschicke von Polstermöbel Oelsa. Foto: Heiko Weckbrodt
Polstermöbel-Oelsa-Schaumabteilung.jpg
Blick in die Schaumpolsterei in der Rabenauer Fabrik von Polstermöbel Oelsa. Foto: Heiko Weckbrodt
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