4 Millionen Euro teure Anbau neben Naturkosmetik-Fabrik geplant
Radeberg, 30. August 2024. Der anhaltende Trend zu Naturkosmetik und Nachhaltigkeit verleiht dem sächsischen Traditionsunternehmen „Charlotte Meentzen“ Rückenwind: Der Kundenkreis wächst, die Umsätze auch. Und weil nachhaltige und regionale Zulieferketten, wie sie die Kosmetik-Manufaktur in Radeberg praktiziert, mehr Lagerplatz als in „Lean Production“-Unternehmen brauchen, ist eine Erweiterung in den kommenden Jahren geplant. „Wir platzen aus allen Nähten“, sagt Geschäftsführer Robert Gey. Daher erwägt „Charlotte Meentzen“, die Logistikhalle mit all den Zutaten und fertigen Kosmetika zu „spiegeln“, anders ausgedrückt: Für vier bis fünf Millionen Euro könnte in den nächsten Jahren ein nahezu identischer Lagerkomplex gleich neben dem alten entstehen.
Innovationen und höhere Recycling-Quoten auf der Agenda
Entstehen sollen dabei auch neue Sozialräume für eine Belegschaft, die derzeit 65 Beschäftigte inklusive zweier Lehrlinge umfasst und angesichts der Nachfrageschübe weiter wachsen wird. Auch nehmen Forschung und Entwicklung mehr Raum ein: „Wir möchten unsere Recycling-Quoten erhöhen, wollen mehr Verpackungen zum Nachfüllen anbieten, neue Rezepturen entwickeln und arbeiten an Innovationen, über die wir im Moment noch nicht zu viel verraten wollen“, skizziert der Chef einige der Aufgaben, die die hauseigene Entwicklungsabteilung gemeinsam mit Forschungspartnern der TU Dresden und anderer Unis in naher Zukunft lösen will.
1930 im Herzen von Dresden als „Institut für natürliche Kosmetik“ gegründet
Diese Verbindung aus naturnahen Lösungen, Nachhaltigkeit und Innovationsgeist hat das Unternehmen bereits seit der Gründung vor 94 Jahren stets begleitet, oder, wie es Gey in einer gern verwendeten Manager-Metapher formuliert: „Das ist Teil unserer DNA.“ Denn schon Gründerin Charlotte Meentzen (1904-1940) wuchs mit Kräuterkunde, Naturheilkunde, dem „Zurück zur Natur“-Gedanken und anderen Trendthemen der Kaiserzeit und Weimarer Republik auf. In Österreich lernte sie Kosmetik und war vom Ideal beseelt, Schönheit durch die Kraft der Natur zu unterstützen. 1930 eröffnete sie im Herzen von Dresden, an der Prager Straße, ein „Institut für natürliche Kosmetik“ und führte ihren eigenen Namen dafür als Marke ein. Gemeinsam mit ihrer Schwester Gertrud Seltmann-Meentzen gründete sie kurz darauf mit dem „Laboratorium für Natürliche Kosmetik“ ein paar Meter weiter eine eigene Produktionsstätte. 1931 folgte eine „Schule für natürliche Kosmetik“.
Der schon in der Firmierung erkennbare Anspruch, wissenschaftlich fundierte Beratung, Schönheit und Naturnähe zu verknüpfen, kam bei der Kundschaft gut an. Charlotte Meentzen erarbeitete sich rasch einen guten Ruf als deutsche Pionierin der Hautpflege mit pflanzlichen Wirkstoffen. Sie hielt Vorträge in Sanatorien und Kurbädern, entwickelte ein eigenes System für Gesichtspflege und -massagen. Das Unternehmen wuchs, lockte mit seinen Schulungsangeboten Kosmetikerinnen aus dem ganzen Reich an.
Nach dem frühen Tod von Charlotte Meentzen übernahm ihre Schwester die Firma komplett und führte sie zu weiteren Erfolgen. Beim Bombenangriff 1945 wurde das Meentzen-Institut zwar zerstört, aber nach dem Krieg durch Gertrud Seltmann-Meentzen wieder aufgebaut. Die private Unternehmerin löckte lange wider den Stachel: Während SED-Chef Walter Ulbricht predigte, „Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit“, setzte die Meentzen-Familie weiter auf Schönheit ohne Chemie. Doch dann kam es Schlag auf Schlag: 1964 schlossen die DDR-Oberen erst alle Privatschulen, was auch die Dresdner Kosmetikschule traf. Dann enteignen die sozialistischen Wirtschaftslenker 1972 auch die Fertigungsstätte der Familie. Sie verstaatlichen die Meentzen-Manufaktur als „VEB Kräutervital-Kosmetik Dresden“.
Systempflege mit Medak-Professor Kleine-Natrop entwickelt
Fachkundige Unterstützung bekam der Kosmetikbetrieb indes auch in dieser Zeit, unter anderem von dem ehemaligen Dermatologen Prof. Heinz-Egon Kleine-Natrop und Hautklinik-Gründer an der Medizinischen Akademie (Medak) Dresden. Der entwickelte für die „Kräutervital-Kosmetik“ eine wissenschaftlich fundierte „Systempflege“, die ein umfangreiches Portefeuille von Wirkstoffen für zahlreiche Hautbilder und Pflegephasen umfasste. Dieses später weltweit adaptierte Pflegesystem sicherte dem Dresdner VEB auch in sozialistischen Zeiten einen Vorsprung.
Neustart nach der Wende
Nach der Wende erhielten die Familien Meentzen und Seltmann ihr Kosmetikunternehmen vom Staat zurück und investierten in einen Neuanfang. Die „Charlotte Meentzen Kräutervital Kosmetik GmbH“ baut in den Folgejahren ihr Sortiment an Hautcremes, Reinigungs-Gelen, Gesichtswässern, Masken, Ölen und Parfümen systematisch aus – inzwischen umfasst es über 160 Artikel. Der damalige Stammsitz an der Wiener Straße in Dresden erwies sich angesichts des Nachwende-Wachstums allerdings immer mehr als Hemmnis. „Der Altbau war zu klein geworden und genügte nicht mehr den neuen Anforderungen an eine Naturkosmetik-Produktion“, erklärt Robert Gey. Beispiele: Solche Kosmetika werden heute im Reinraum produziert, die Hygiene-Standards dabei sind hoch. Es bedarf eigener mikrobiologischer Labore und anderer Analyse-Technik. Daher baute „Charlotte Meentzen“ einen neuen Stammsitz in Radeberg. Den bezog das Team im Jahr 2002 – „noch kurz vor der Elbeflut, die dann die ganze Wiener Straße unter Wasser setzte“, erzählt der heutige Geschäftsführer.
Seit der Wende und besonders nach dem Umzug hat das Unternehmen seine starke Marktposition in Ostdeutschland weiter gefestigt und peu à peu Kosmetikinstitute im großen Rest der Republik von den Produkten aus Sachsen überzeugt. „Das war gerade kurz nach der Wende nicht gerade leicht“, betont Robert Gey. „Das hat niemand auf Naturkosmetik aus dem Osten gewartet.“ Auch heute sei der Wettbewerbsdruck hoch: Auf den kosmetischen Zug sind ganz viele Unternehmen aufgesprungen, bis hin zu den großen Drogerieketten mit ihren Eigenmarken. „Inzwischen gibt es rund 400 Kosmetikmarken in Deutschland.“
Die Frage ist, wie sich ein zwar traditionsreiches, aber doch eher kleines Unternehmen aus Sachsen sich inmitten dieses Wettbewerbs hat behaupten können. Darauf gibt es nicht die eine Antwort, sondern viele: Beispielsweise verbrieft die Manufaktur nicht nur die Verträglichkeit, sondern auch die Wirksamkeit ihrer Hautpflege durch klinische Studien gemeinsam mit der ehemaligen Medak, dem heutigen Universitätsklinikum. Auch verstehen es die Zeloten von Charlotte Meentzen, den Dreiklang aus Naturnähe, Schönheit und Noblesse, den die Gründerin schon zelebrierte, beizubehalten: Was das Unternehmen verkauft und druckt, sieht immer irgendwie chic aus, verströmt geschickt die Anmutung geerdeter Werthaltigkeit. Außerdem sind Produkt und Beratung bei den Meentzen-Kosmetika über fast alle Vertriebskanäle gekoppelt: Über die Hälfte aller Umsätze macht das Unternehmen über deutsche und internationale Kosmetik-Institute. Die beraten die Kundinnen und Kunden und machen gleich noch „Mund-zu-Mund-Propaganda“ für die natürlichen Pflegeprodukte aus Sachsen.
Heilkreide von Rügen und Verpackungshilfe aus Kleinwachau
Vor allem aber pocht das Meentzen-Kollektiv darauf, einmal gegebene Versprechen von Naturnähe und Nachhaltigkeit zu leben und einzuhalten. So hat sich das Unternehmen beispielsweise an der Ökoprofit-Initiative beteiligt. Des Weiteren setzen die Radeberger pflanzliche Wirkstoffe, Zutaten und wiederverwendbare Verpackungen ein, die der Betrieb – soweit möglich – in der Region oder zumindest im nahen europäischen Umfeld ordert. Dazu gehören etwa Heilkreide von Rügen, Pflanzenöle aus Frankreich, aber auch Verpackungsleistungen aus Kleinwachau oder Zulieferungen vom lokalen Imker. „Dass wir uns damit weitgehend von Lieferanten aus Asien abgekoppelt haben, hat uns bei den jüngsten Lieferketten-Krisen sehr geholfen“, meint Robert Gey. „Die Vorprodukte mögen dann etwas teurer sein als die aus China, dafür waren sie für uns durchweg verfügbar.“ Auch generiert der Betrieb einen Teil seines elektrischen Energiebedarfs selbst durch Solaranlagen auf dem Dach, den Rest durch zugekauften Ökostrom.
Durch nahe Lieferketten haben die Radeberger zudem mehr Spielräume für ihre Nachhaltigkeits-Ziele. Laut eigenem Bekunden bündeln sie beispielsweise Lieferungen per Lkw so, dass weniger Fahrten, dafür aber mit wirklich vollen Lastern möglich sind, um die Umwelt zu schonen. Freilich verursacht auch dies zusätzliche Kosten und mehr Lagerbedarf – was wiederum die anfangs erwähnten Investitionspläne ein Stück weit erklärt.
Kurzüberblick
- Unternehmen: Charlotte Meentzen Kräutervital Kosmetik GmbH
- Geschäftsfelder: Produktion und Vertrieb von Naturkosmetik
- Gründung: 1930 in Dresden
- Belegschaft: 65 Beschäftigte, inkl. zwei Lehrlinge
- Soziales Engagement: u.a. für Behindertenwerkstätten in Sachsen und für das Deutsche Hygienemuseum in Dresden
- Mehr Infos im Netz: meentzen.de
Autor: Heiko Weckbrodt
Quelle: Vor-Ort-Besuch, Meentzen, Oiger-Archiv
Hinweis: Dieser Beitrag ist urprünglich für die Dresdner Neuesten Nachrichten entstanden und dort zuerst veröffentlicht worden.
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