Mikroelektroniker und Kammern vereinbaren Fairness-Protokoll in der Staatskanzlei
Dresden, 12. August 2024. Die sächsische Staatsregierung, aber auch TSMC, Infineon, Globalfoundries, Bosch sowie andere in Dresden ansässige Halbleiter-Unternehmen sollen ihre internationale Strahlkraft nutzen, um genügend ausländische Fachkräfte anzuwerben, dass dieses Reservoir dann für die Tischlerei und die kleine Autowerkstatt genauso reicht wie für die große Chipfabrik im „Silicon Saxony“. Auch wird ein Beirat verhindern, dass das geplante „Sächsische Ausbildungszentrum Mikroelektronik“ (Sam) zu stark in den gleichen Lehrlings-Pools wie Handwerker und Mittelständler herumfischt. Die müssen zudem einen gleichberechtigten Zugang zu den Sam-Kapazitäten bekommen. Diese und weitere Ausgleichspunkte zwischen Sachsens Mikroelektronik-Riesen sowie den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) der Region haben Landespolitiker, Dresdner Chipfabrik-Manager und Vertreter aus regionalem Handwerk, Handel und Gewerbe heute in der Dresdner Staatskanzlei vereinbart.
Mehr Kooperation vereinbart
„Die Großunternehmen sind der Motor für die regionale Wirtschaft“, kommentierte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) den nun verabredeten sächsischen Weg zu mehr Fairness, Gleichbehandlung und Interessenausgleich zwischen Konzernen und kleinen Betrieben in den Fokus rückt. „Mit dem wirtschaftlichen Wachstum geht auch ein steigender Fachkräftebedarf für Unternehmen aller Branchen und Größen einher. Die Vereinbarung zwischen den Mikroelektronikunternehmen und Kammern, im Wettbewerb um Fachkräfte fair miteinander umzugehen und stärker zu kooperieren ist ein starkes Signal.“
Wirtschaftsminister: Auch kleine und mittlere Unternehmen sollen profitieren
Das sieht auch Wirtschaftsminister Martin Dulig vom Koalitionspartner SPD ganz ähnlich: „Von den Investitionen in die Werke der Mikroelektronik sollen und werden auch die ansässigen kleinen und mittleren Unternehmen profitieren“, forderte Dulig. „Eine enge und faire Kooperation zwischen den Mikroelektronikunternehmen und der regionalen Wirtschaft ist auch und gerade beim Thema Ausbildung beziehungsweise Fachkräftegewinnung wichtig und notwendig.“
Kammerpräsident: Wettbewerb um Fachkräfte verschärft sich weiter
Die Ansiedlung von TSMC, der Fabrikneubau von Infineon und weitere Großinvestitionen in die hiesige Mikroelektronik seien ein wichtiger Erfolg für Sachsen, betonte derweil Handwerkskammer-Präsident Jörg Dittrich. „Allerdings wird dies den Wettbewerb um Fachkräfte weiter verschärfen. Das Handwerk benötigt eine ebenso adäquate Personalentwicklung, um zukunftsfähig zu sein. Daher müssen Politik und Wirtschaft an einem Strang ziehen, um für ein adäquates Reservoire an Fachkräften zu sorgen.“
Hightech-Industrie braucht bis 2030 über 20.000 zusätzliche Fachkräfte
Hintergrund: Die Sorge der Handwerker und Mittelständler, dass ihnen die großen Konzerne mit ihren hohen Gehältern und attraktiven Karriere-Chancen alle Lehrlinge und Fachkräfte wegschnappen, ist zwar gefühlt schon so alt wie die Braunkohle. Doch dieser Konflikt hat durch die jüngsten Fabrikbauten von TSMC, Infineon, Jenoptik und anderen Hightech-Unternehmen neue Nahrung bekommen – zudem auch die Software-Industrie kontinuierlich wächst. „Schon heute arbeiten über 80.000 Beschäftigte in der sächsischen Mikroelektronik- und IKT-Branche*“, heißt es dazu im nun unterzeichneten gemeinsamen Positionspapier. „Es wird damit gerechnet, dass bis zum Jahr 2030 weit über 100.000 hoch qualifizierte Arbeitskräfte im Silicon Saxony beschäftigt sein werden.“ Und diese Bedarfssteigerung dürfte eher noch untertrieben sein.
Chipwerker und Handwerker von Regierung an einen Tisch gebracht
Damit Sachsens Hochtechnologie-Wirtschaft in den kommenden Jahren den Arbeitsmarkt und andere Ressourcen im Freistaat nicht restlos weg saugt, haben sich daher nun die Hauptprotagonisten dieses Konfliktes an einen Tisch gesetzt: Vermittelt durch Staatskanzlei und Wirtschaftsministerium haben sich Industrie- und Handelskammer (IHK), Handwerkskammer (HWK), Bosch, die TSMC-Tochter ESMC, Globalfoundries, Infineon und X-Fab in Dresden an einen Tisch gesetzt und sich auf acht Konsens-Punkte verständigt.
Konsenspunkte (Auswahl):
Dazu gehört unter anderem die Forderung an die großen Chipwerke, ihre Lehrling und Fachkräfte mit eigenen Ressourcen auszubilden. Die Halbleiterkonzerne sowie die Staatsregierung sollen zudem ihre internationalen Kontakte so spielen lassen, dass weit mehr Fachkräfte und Azubis aus dem Ausland nach Dresden kommen, als die Chipfabriken selbst brauchen. Die Idee dabei sei, das sächsische Arbeitskräfte-Reservoir aus weltweiten Quellen so stark aufzufüllen, dass Chipkonzerne wie auch KMU daraus schöpfen können. Das – voraussichtlich staatlich stark subventionierte – Sem wiederum soll einen Beirat bekommen, der aufpasst, dass auch der Rest der Wirtschaft noch an angehende Mechatroniker und Mikrotechnologen herankommt. IHK-Hauptgeschäftsführer Lukas Rohleder regte auf Oiger-Anfrage sogar an, das geplante Sem-Ausbildungsprofil künftig womöglich auf weitere Technologie-Berufe auszudehnen. Nicht ausdrücklich vereinbart, aber anscheinend auch angedacht ist, die jüngst von sächsischen Unis und Hochschulen in Taiwan, Vietnam und weiteren Staaten eröffneten Auslandsvertretungen auch für die Akquise von Fachkräften für Sachsens KMU zu nutzen. In die selbe Kategorie gehört der Wunsch von HWK-Präsident Jörg Dittrich, dass nicht nur Großansiedler wie TSMC oder Infineon ihre Baugenehmigungen im Eiltempo erhalten, sondern auch Zimmerer, Steinmetze, Dachdecker und andere kleinere Unternehmen von Entbürokratisierung und beschleunigten Verwaltungsakten profitieren.
Auch sollen die Chipkonzerne die regionale Industrie – soweit rechtlich zulässig – beizeiten informieren, wenn sie Leistungen ausschreiben. Zudem wollen Handwerker und andere Unternehmen jenseits der Mikroelektronik auch gern das Fab-Mobil mitnutzen, das seit einiger Zeit durch Sachsens Schulen auf der Suche nach den Chip-Lehrlingen von morgen tingelt. Außerdem soll es jährliche Gipfeltreffen von IHK, HWK und Halbleiterkonzernen geben. Moderiert durch die Staatskanzlei sollen dort Ärgernisse ausgeräumt und gemeinsame Projekte besprochen werden.
Kammern vorerst zugfrieden: Halbleiterriesen sehen ihre Verantwortung für die Region
Die Wirtschaftskammern zeigten sich nach dem heutigen Treffen fürs Erste zufrieden. „Die Mikroelektronik haben sichtbar den Wunsch und das Verständnis dafür gezeigt, dass sie eine über ihre eigenbetrieblichen Interessen hinaus eine Verantwortung dafür haben, dass die gesamte Wirtschaft und der Arbeitsmarkt in unserer Region dauerhaft funktionieren“, betonte Lukas Rohleder.
→ Weitere Details der Vereinbarung sind hier im Netz zu finden.
* ITK = Informationstechnologie und Kommunikation
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: SSK, SMWA, IHK, HWK, X-Fab, Oiger-Archiv, Wikipedia
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