Leitbeschluss vor 60 Jahren – später wurde aus dem VEB Maschinelles Rechnen das „Kombinat Datenverarbeitung“
Berlin/Dresden, 3. Januar 2024. Vor 60 Jahren starteten die ostdeutschen Wirtschaftslenker in Berlin einen wichtigen Anlauf, um die weltweiten Umwälzungen hin zu elektronischen Computern und digitalen Lösungen auch in der DDR systematisch anzugehen: Zum Jahreswechsel 1963/64 beschloss der SED-geführte Ministerrat ein Bündel aus „Sofortmaßnahmen zur Entwicklung der Datenverarbeitung“. Einige davon wurden in den Folgejahren realisiert. Andere scheiterten an Ressourcenmangel, wegen des Machtwechsels von Ulbricht zu Honecker, teils aber auch in Reaktion auf neue Trends.
Beschluss war eine der Wurzeln für Kombinat Robotron Dresden
Der Beschluss zielte darauf, einerseits eine eigene Computer-Versorgung aufzubauen und langfristig zu sichern, andererseits deren Einsatz planwirtschaftlich zu organisieren. Dazu gehörte der Ausbau der – bis dahin noch stark von maschinellen und elektromechanischen Lösungen geprägten – ostdeutschen Rechentechnik-Produktion hin zu einer schlagkräftigeren und moderneren Computerindustrie in den Bezirken Dresden, Erfurt und Karl-Marx-Stadt. Dieser Aufgabenstrang mündete schließlich 1969 in der Gründung des DDR-Computerkombinates Robotron in Dresden.
Sowjetisches Konzept stand anfangs Pate
Andererseits war geplant, elektronische Datenverarbeitung viel systematischer als bisher in der sozialistischen Wirtschaft, Verwaltung und Forschung einzusetzen. „Gedankliche Grundlage war der Bericht des Kybernetikers W. W. Alexandrow über ein Rechnernetzwerk, welches die elektronische Datenverarbeitung in der Sowjetunion nutzbar machen sollte“, schätzt der Historiker Martin Schmitt ein. Die Führungsriege um SED-Chef Walter Ulbricht verband mit diesem Konzept die Hoffnung, einen erheblichen Entwicklungs- und Produktivitätssprung für die DDR zu ermöglichen. Für diese anwendungsorientierten Ziele setzen die Wirtschaftslenker wiederum auf eine Infrastruktur, deren Fundamente sie bereits vorher gelegt hatten: 1958 beschloss der Ministerrat nämlich „die Bildung von Rechenzentren des VEB Maschinelles Rechnen in der Deutschen Demokratischen Republik“. 1965 hatte dieser in Berlin angesiedelte VEB inklusive Zweigstellen bereits über 2250 Beschäftigte – verfügte aber zunächst nur über eher angegraute Rechentechnik – teils auch Röhrenrechner aus dem Westen – mit Lochkarten und mechanischen Komponenten.
Kombinat betrieb Rechenzentren in 14 Bezirkshauptstädten und in Berlin
1966 entstand daraus die „Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Maschinelles Rechnen“ mit Stammsitz in Berlin, die wiederum am 1. Januar 1980 in das „Volkseigene Kombinat Datenverarbeitung“ umgewandelt wurde. Unterstellt waren die VVB beziehungsweise später das Kombinat der „Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik“. In den Folgejahren baute und installierte dieser Betriebsverbund in den 14 Bezirks-Hauptstädten und in Berlin selbst eigene Datenverarbeitungszentren. Die Dependance in der ostdeutschen Computer- und Mikroelektronik-Hochburg Dresden befand sich beispielsweise an der Marienstraße nahe am Postplatz. In Potsdam ließen die Planer 1968 gar die Ruine der Garnisonskirche sprengen, um Platz für solch ein neues Zentrum der sozialistischen Datenverarbeitung zu schaffen.
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Als Auftrags-Datenverarbeiter für Betriebe, Behörden und Institute ohne eigene Rechentechnik konzipiert
Diese Rechenzentren agierten fortan als Dienstleister für alle jene Betriebe, „staatlichen Organe“ und Institute in den DDR-Bezirken, die keine eigenen Rechenzentren besaßen. Auf Vertragsbasis erfassten, verarbeiteten und archivierten sie beispielsweise ökonomische Kenndaten der VEBs sowie Finanzdaten über Zahlungsströme, erledigten Abrechnungen und die elektronische Lagerverwaltung für den Einzelhandel und Apotheken, optimierten Transportrouten für Holz, Erz, Stahl und andere Industriegüter.
Etwa ein Drittel der Rechenkapazitäten war in der Regel für Aufgaben im Auftrag der Zentralverwaltung für Statistik reserviert. Dazu gehörte die Erhebung und Verarbeitung von Einwohner-, Wohnraum- und Katasterdaten. Zudem bildeten die Bezirks-Rechenzentren des Kombinats auch Programmierer, Operatoren und Operatricen, Wartungstechniker und andere Fachleute für die Datenverarbeitung aus und schulten von den „Volkseigenen Betrieben“ (VEBs) entsandte Beschäftigte in der Computernutzung.
Andere Kombinats-Kollektive beschäftigten sich mit Software-Entwicklung und Vorlaufprojekten. Dies war insbesondere auch eine zentrale Aufgabe für das 1971 gegründete kombinatseigene Forschungsinstitut „VEB Leitzentrum für Anwendungsforschung“ (LfA) in Berlin. Die Ingenieure und Mathematiker dort programmierten unter anderem Software-Pakete für die staatliche Industrie und für Behörden. Dazu gehörten Tabellenkalkulationen, Datenbanken, Grafikprogramme und Datenfernübertragungs-Lösungen. Dabei handelte es teils um eigene Lösungen, teilweise aber auch um Nachentwicklungen oder adaptierte Kopien westlicher Software. Die Telefon-Auskunft der Deutschen Post der DDR ging beispielsweise auf ein Entwicklungsprojekt des LfA zurück, ebenso der ostdeutsche Einwohnerdatenspeicher (EDS).
Konzept einer einheitlichen Datenverarbeitung ging nie ganz auf
Letztlich aber blieb die ursprüngliche Idee, jegliche Datenverarbeitung für die DDR in einem Kombinat zu organisieren, ein wenig praktische Konstruktion, die nicht so funktionierte, wie es sich die SED-Funktionäre ursprünglich vorgestellt hatten. Einerseits hinkten die dezentralen Rechenzentren dem internationalen Stand hinterher: Die Zeit der klassischen „Mainframe“-Großrechner neigte sich weltweit ohnehin in den 1980ern dem Ende zu. Zudem waren die ESER-Großrechner von Robotron nach westlichen Maßstäben zu langsam, teuer und leistungsarm. Das konnten die ostdeutschen Software-Ingenieure auch durch ressourcensparende Programmiertechniken nicht vollends ausgleichen.
Zudem setzten sich auch in der DDR dezentrale Alternativen mehr und mehr durch: Viele Betriebe schusterten sich eigene Rechenkapazitäten auf PC- oder Heimcomputerbasis zusammen, manche entwickelten eigene, teils strikt proprietäre Programme, die oft kaum mit irgendeiner anderen Software kompatibel waren. Zudem kümmerte sich auch das – eigentlich auf Hardware fokussierte – Kombinat Robotron um Software-Entwicklung und Schulungen. Nicht zuletzt versuchten die Wirtschaftslenker in Berlin in den 1980ern, eine professionelle DDR-Softwareindustrie mit dezentralen Software-Agenturen und Betrieben als weitere Zusatz-Struktur aufzubauen.
Kombinatsstruktur für Datenverarbeitung funktionierte nur in Zentralverwaltungswirtschaft
Kurz: Das Kombinat Datenverarbeitung war zwar für die Zentralverwaltungswirtschaft und speziell auch die zentralen Statistiker ein besonders wichtiger Akteur. Mit seinen DV-Dienstleistungen für Wirtschaft und Wissenschaft hinkte es aber oft hinterher. Seine „Marktposition“ im Lande konnte es insofern nur durch die Besonderheiten einer Zentralverwaltungswirtschaft halten.
Einige Bezirks-Rechenzentren überlebten die Wende
Nach der politischen Wende und dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft brach dem Kombinat Datenverarbeitung binnen Monaten fast alle Kunden weg. Einen großen Teil der Bezirksrechenzentren schloss die Treuhand in rascher Folge. Andere aber wie die in Potsdam, Gera, Neubrandenburg und Magdeburg schafften den Wandel in die neue Zeit: Sie wurden entweder in Landesbetriebe umgewandelt oder wagten einen Neustart als privatwirtschaftliche Softwareschmieden.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Martin Schmitt: Die Geschichte des Potsdamer Rechenzentrums: Sozialistische Computernutzung und die Digitalisierung in Ostdeutschland, HU Berlin: „Zur Geschichte von Rechentechnik und Datenverarbeitung in der DDR“, openjur.de, Wikipedia, Heiko Weckbrodt: Die Innovationspolitik in der DDR, Olde Hansen: „Von BASIC zur IT-Crowd“ (bisher unveröffentlichtes Manuskript)
Zum Weiterlesen:
Robotron: Pioniere der Digitalisierung
Robotron Dresden entwickelt wieder Hardware
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