Geschichte, zAufi

Mit Kläubefäusteln und Gezähe zum puren Zinn

Bohrarbeit am Schubort 1956. Repro: Christian Ruf

Bohrarbeit am Schubort 1956. Repro: Christian Ruf

Das Bergbaumuseum in Altenberg zeigt, wie rund um das beliebte Metall eine ganze Industrie im Erzgebirge wuchs

Inhalt

Altenberg, 21. Mai 2023. Mit den Höhlen von Moria im „Herrn der Ringe“ kann der „Neubeschert-Glück-Stollen“ in Altenberg vielleicht nicht ganz mithalten: In der Fantasiewelt von J.R.R. Tolkien prangt über dem Westtor in fëanorischen Lettern: „Ennyn Durin Aran Moria: pedo mellon a minno. Im Narvi hein echant: Celebrimboro Eregion teithant i thiw hin“, was mit „Die Tür Durins des Herrn von Moria. Sprich Freund und tritt ein. Ich, Narvi, baute sie. Celebrimbor von Hulsten schrieb diese Zeichen“ übersetzt werden kann. Am Mundloch zum unterirdischen Teil des Bergbaumuseums Altenberg hingegen steht nur schlicht in lateinischen Buchstaben „Neubeschert-Glück-Stollen“ und die Jahreszahl 1802. Dafür liegen im Erzgebirge wenigstens keine Zwergen- und Ork-Skelette herum und es lauert auch kein Balrog in den Untiefen. Was heißt: Man kann hier also gefahrlos an einer der Führungen teilnehmen.

Eingang zum Neubeschert-Glück-Stollen in Altenberg. Foto: Christian Ruf

Eingang zum Neubeschert-Glück-Stollen in Altenberg. Foto: Christian Ruf

Nichts für Frostbeulen: 8 Grad im Neubeschert-Glück-Stollen

Der proper hergerichtete Schaustollen ist 200 Meter lang und führt waagerecht in den Berg. Für die „Einfahrt“ empfiehlt sich – und das nicht für für notorische „Frostbeulen – warme Kleidung, da die Temperatur da unten 8 bis 10 Grad Celsius beträgt, egal ob nun Sommer oder Winter ist. Untertage erklärt ein Führer dann die technische Entwicklung des Erzabbaus. Hier und da sind auch Schautafeln aufgestellt. Auf einer sind vier Darstellungen abgebildet, die Ehregott Leberecht Meutzner 1840 unter dem Titel „Die Brucharbeit im Zwitterstockwerke zu Altenberg mit ihren Gefahren“ schuf. Meutzner war Reviergeschworener und ab 1833 Obersteiger und Berggerichtsschöppe. 1852 verunglückte er tödlich im Saustaller Schacht des Bergwerks „Vereinigt Feld“.

Führung im Neubeschert-Glück-Stollen in Altenberg. Foto: Christian Ruf

Führung im Neubeschert-Glück-Stollen in Altenberg. Foto: Christian Ruf

Seit 2019 Unesco-Welterbe als Teil der Montanregion Erzgebirge/ Krušnohoří“

Zweite Hauptattraktion des Bergbaumuseums Altenberg ist die original erhaltene historische Erz-Aufbereitungsanlage, in der über fast vier Jahrhunderte hinweg Zinnerz zerkleinert und gewaschen wurde. Die erste urkundliche Erwähnung geht auf das Jahr 1577 zurück, als Hieronymus Naumann die bereits bestehende Erzwäsche kaufte. So war das Gebäude in früheren Jahrhunderten auch unter dem Namen „Naumann-Mühle“ bekannt. Mit der Bildung der „Zwitterstocksgewerkschaft“ in den Jahren 1663/64 ging sie in den Besitz des neuen Grubenunternehmens über. Danach hieß sie „IV. zwitterstocksgewerkschaftliche Wäsche“ – nach der Reihenfolge der Erzwäschen im Tiefenbachtal. Diese Pochwäsche ist der letzte erhaltene Sachzeuge des früheren umfangreichen Systems von Aufbereitungsanlagen. Dieses System zog sich ursprünglich am Wasser des Tiefenbaches entlang von Altenberg bis hinunter nach Geising. Die IV. Wäsche ist aufgrund ihres Alters, ihrer Ausstattung und originalen Substanz einzigartig. In Würdigung des außerordentlichen Denkmalwertes hat die Unesco die Pochwäsche deshalb im Juli 2019 als Welterbe „Montanregion Erzgebirge/ Krušnohoří“ eingestuft.

Bergbaumuseum Altenberg. Foto: Christian Ruf

Bergbaumuseum Altenberg. Foto: Christian Ruf

Zinn-Bergbau begann im 15. Jahrhundert

Begonnen hatte der Bergbau in Altenberg in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Ausgehend von Seifenerzfunden in den Flusstälern entdeckten Bergleute vermutlich um das Jahr 1440 das Zinn im Zwitterstock und begannen es abzubauen. Aufgrund der Ergiebigkeit der Erzlagerstätte entwickelte sich der Ort rasch zur wichtigsten Bergbausiedlung im Osterzgebirge. 1451 erfolgte die Erhebung zur Bergstadt. Frühe Produktionsziffern aus den Jahren 1462/63 berichten von zirka 590 Tonnen Zinn, die binnen 85 Wochen gewonnen und verarbeitet wurden. Schon um 1480 sollen etwa 3000 Bergleute in Altenberg tätig gewesen sein.

Bergparade vor der Faktorei, 1904. Repro: Christian Ruf

Bergparade vor der Faktorei, 1904. Repro: Christian Ruf

Ganze Wertschöpfungskette vom Abbau bis zur Aufbereitung und Zinnhütte

Heute veranschaulichen historische Aufbereitungsgeräte im Untergeschoss der alten Pochwäsche den gesamten Aufbereitungsprozess für das Altenberger Erz. Die 40 Stempel des Pochwerk zerkleinerten zuerst das aus der Grube geförderte Erz zu feinem Schlamm. Anschließend konnte der wertvolle Zinnstein auf Maschinen und Apparaten unter Zugabe von Wasser ausgewaschen werden, bis ein Erzkonzentrat entstand. An den Langstoßherden mit dem funktionstüchtigen Wasserrad und den weiteren Anlagen für das Auswaschen des Erzes wird die frühere Arbeit in den Erzwäschen für Auge und Ohr erlebbar. Maschinen aus verschiedenen Epochen zeigen, wie sich die Aufbereitungstechnik über die Jahrhunderte des Altenberger Bergbaus hinweg entwickelte. Da das Zinnkonzentrat der Pochwäschen noch nicht rein genug war, musste es früher noch zur Schmelzhütte transportiert werden. Im Schmelzofen entstand schließlich das begehrte Endprodukt des Bergwerkes: reines Zinn!

Zinn war beliebt, weil es nicht schwarz wurde

Und dieses Metall war zeitweise ungemein beliebt, nicht zuletzt deshalb, weil es relativ „pflegeleicht“ war. Mit Zinnkraut konnte es bequem immer wieder auf Hochglanz gebracht werden. Es lief nicht schwarz an wie das Silber und seine Politur war unempfindlicher. „Zinnkraut“ – das war nichts anderes als der Ackerschachtelhalm, eine Pflanze, die mehr oder minder überall zu finden war.

Zinnpokal im Bergbaumuseum Altenberg. Foto: Christian Ruf

Zinnpokal im Bergbaumuseum Altenberg. Foto: Christian Ruf

Vom Salznapf bis zum Zinnpokal

Aus Zinn sind auch viele Exponate im Museum: ein Bierkrug, ein Salznäpfchen, die Zinnstempel, mit denen das Reinzinn aus der Schmelzhütte gekennzeichnet wurde. Zu sehen ist unter anderem der 1692 von Andreas Köhler geschaffene und der Knappschaft Bärenstein gewidmete Zinnpokal aus Zinn. Einen „Zwitterstockspokal“ hatte der Bergdirektor Dr. Freiherr von Aleman 1715 der Zwitterstocksgewerkschaft Altenberg gestiftet. Mit ihm verband sich ein besonderer Brauch: Zu den Gewerkenversammlungen wurde der Pokal mit Wein gefüllt. Dann tranken Männer aller Gewerke (Anteilseigner am Bergbauunternehmen) in der Runde von Sprosse zu Sprosse der im Pokal befindlichen Grubenfahrt.

Karbidlampe, Einsatzzeit um 1930. Hersteller: Friermann & Wolf, Zwickau. Foto: Christian Ruf

Karbidlampe, Einsatzzeit um 1930. Hersteller: Friermann & Wolf, Zwickau. Foto: Christian Ruf

Nicht aus Zinn gegossen und graviert, sondern 1936 vom Schnitzverein Altenberg aus Lindenholz geschnitzt und bemalt ist ein Relief mit der Darstellung zweier Altenberger Bergmänner. Es ziert das Giebeldreieck über dem Haupteingang zum Schaubergwerk „Heinrichsohle“, das von 1937 bis 1953 in Betrieb war. Restaurateure bereiteten dieses Relief in den Jahren 2004/2005 wieder auf.

Zerstörungswut im Siegesrausch

Optisch ebenfalls viel her macht die Knappschaftsfahne mit Tragegurt aus dem Jahr 1854. Die Metall- und Seidenstickerei auf Baumwolle war ein Geschenk des Grubenbetriebs „Altenberger Zwittersocsksgewerksschaft“ an die Knappschaft zu Schmiedeberg. Nicht minder zieht die Knappschaftslade der Altenberger Knappschaft von 1839 mit ihrem raffinierten Öffnungsmechanismus die Blicke auf sich. Sie stand, wie zu lesen ist, früher im Turm der Altenberger Stadtkirche im dortigen Knappschaftsgewölbe und kam später in das Verwaltungsgebäude des Bergwerksbetriebes, das als Faktorei der Zwitterstocksgewerksschaft bezeichnet wurde. Das Gebäude wurde 1945 zerstört, so wie über 80 Prozent von Altenberg, das einem Flächenbrand zum Opfer fiel, als am 9. Mai 1945 der Siegesrausch alkoholisierter sowjetischer Soldaten in Zerstörungswut umschlug.

Der große Pingenbruch von 1620 zog ganze Zechen und Wohnhäuser in die Tiefe

Präsentiert wird im Altenberger Museum auch allerlei bergmännisches Gezähe, mit dem es eine ganz spezielle Bewandtnis hat: Es stammt vorwiegend aus der Zeit vor dem größten Altenberger Pingenbruch am 24. Januar 1620. Damals versanken Graupener Zeche, Rietzschels Zeche, Herrenzeche und Schellenzeche mitsamt ihren Göpeln, desgleichen der Biermäuler-Schacht sowie Wohnhaus und Anlagen des Bergschmieds in der Tiefe. Die Erd- und Geröllmassen verschütteten 24 Menschen, von denen 19 noch am selben Tag und vier weitere am vierten Tag lebendig geborgen werden konnten.

Bergmeister Balthasar Rößler verewigte Zinnbergbau in Kupferstichen

Außerhalb der Bruchzone blieben allerdings etliche kleine Gruben erhalten, wie ein Grubenriss von 1640 erkennen lässt, der in einer Reproduktion zu sehen ist. Geschaffen hat diesen Riss Balthasar Rößler (1605-1673), der womöglich bedeutendste Bergmann Altenbergs, der aus dem böhmischen Heinrichsgrün stammte und in Kupferbergbau zu Graslitz tätig war, ehe er unter dem Druck der Protestantenverfolgung nach Annaberg ging. Über Marienberg kam er nach Freiberg, wo er 14 Jahre lang als Markscheider und Gegenschreiber (Bergbuchführer) tätig war, ehe er 1633 als Bergmeister nach Altenberg berufen wurde. Dort entfaltete er als oberster Bergbeamter eine rege Tätigkeit und hinterließ nicht zuletzt ein „Handbuch der Bergbaukunde“, das 1700 von seinem Enkel in Druck gegeben wurde. Die Kupferstiche dieses Bandes zeigen mehrfach auch Altenberger Gruben mit ihrem gewaltigen Aufwand an Holzausbau, ebenso die vergleichsweise unscheinbare Zinnhütte. Neben viel Holz brauchte es viel Wasser, gerade auch bei der Aufbereitung des fein im Gestein verteilten Zinns. Deshalb entstand ab 1460 mit dem Bau des Aschergrabens ein erster Kunstgraben zur Wasserzuführung. In den 1550er Jahren wurde das System der Wasserwirtschaft mit der Anlage des Neugrabens und der Galgenteiche weiter ausgebaut. Wenig vorher wurde 1543 der seit 1491 angelegte etwa 2500 Meter lange „Zwitterstocks tiefe Erbstolln“ fertiggestellt. Er entwässerte die Zinnlagerstätte bis zu einer Teufe von rund 150 Metern und leitete die Grubenwässer nach Osten ins Tal des Roten Wassers ab.

Kläubefäustel hauten Erzbrocken kurz und klein

Noch einmal zurück zum großen Pingenbruch von 1620: Durch den Abbau der Bruchmassen danach kam das Gezähe, also das Werkzeug, das der Bergmann zur Arbeit benötigt, an den Schuborten oder am Magnet der Bandanlage zum Teil wieder zum Vorschein. Einige Bergleute erkannten den Wert der alten, meist stark abgenutzten und stark verrosteten Werkzeuge und retteten diese vorm Verschrotten. Dank der Sammelleidenschaft insbesondere der früheren Altenberger Bergleute Horst Seidel und Andreas Truetsch besitzt das Bergbaumuseum heute eine laut Texttafel „einzigartige, bergbauhistorisch bedeutungsvolle Kollektion verschiedenartiger Werkzeuge aus der frühen Zeit des Bergbaus“. Zu den Werkzeugen, die man benutzte, gehörten auch die „Kläubefäustel“. Diese wurden eingesetzt „zum Zerschlagen von Gesteinsstücken, um das meist schlammige Gestein bemustern zu können“: So trennten die Bergleute die erzhaltigen Gesteinspartien vom unhaltigen schon in der Grube. „Das Zinnerz wurde dann ausgefördert, das unhaltige Material in den Grubenräumen gleich wieder versetzt.“

Frühe Sozialprogramme für verunglückte Bergleute

Schon vor dem Großen Pingenbruch von 1620 hatte es andere gegeben, den ersten (verbürgten) 1545. Ein weiterer Pingenbruch, nämlich der von 1578, führte zur Amtsenthebung des Bergmeisters. Seit 1543 war der Grubenherr „zur Fortzahlung des (halben) Lohns für verunglückte Bergleute und Erstattung der Arztkosten bis zur Genesung“ verpflichtet, wie auf einer Texttafel zu lesen ist, auf der auch vermerkt ist, dass man seitens der Stadt Altenberg 1617/19 für die Summe von 20.000 Gulden die Waldungen der Herrschaft Bärenstein erwarb.

Landschaftsmodell der Betriebsanlagen der ehemaligen Zinnerzgrube Altenberg, das den Zustand vor der Schließung 1991 dokumentiert. Repro: Christian Ruf

Landschaftsmodell der Betriebsanlagen der ehemaligen Zinnerzgrube Altenberg, das den Zustand vor der Schließung 1991 dokumentiert. Repro: Christian Ruf

Modell des Bergwerk-Komplexes aus 6000 Einzelteilen

Man sollte sich auch die Zeit nehmen, einige der Filme anschauen, die per Knopfdruck abgerufen werden können. So wird man über den Weg der montanen Kulturlandschaft zum Unesco-Welterbe informiert. Interessant sind aber auch die 18- beziehungsweise 16-minütigen Siegbert-Filmproduktionen „Ein deutsches Zinn-Bergwerk“ von 1935 und „Volkskunst und Volkslied im Erzgebirge“ aus dem Jahre 1939. Dreidimensional ist ein exakt aus 6000 Einzelteilen bestehendes Landschaftsmodell der Betriebsanlagen der ehemaligen Zinnerzgrube Altenberg, das den Zustand vor der Schließung 1991 dokumentiert, wobei mehrere Entwicklungsepochen auf dem Modell zusammengefasst sind.

Kurzinfos:

  • Adresse: Bergbaumuseum Altenberg, Mühlenstraße 2, 01773 Altenberg
  • Öffnungszeiten: täglich außer freitags 10 bis 16 Uhr
  • Führungen im Schaustollen: täglich außer freitags 10:30, 12, 13:30 und 15 Uhr
  • Preise (Führung): Erwachsene 7 Euro, Kinder, Schüler, Studenten: 4 Euro
  • Mehr Infos im Internet: www.bergbaumuseum-altenberg.de

Autor: Christian Ruf

Zum Weiterlesen:

Damf, Koks und ein Baron

Bergbau in der DDR – Fallbeispiel Kaliwerk Rossleben

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Über Christian Ruf:

Christian Ruf wurde 1963 in München geboren und hat Geschichte sowie Politologie in München und Bonn studiert. Bereits vor dem Mauerfall reiste er mehrmals in die DDR, nach Polen und in die Sowjetunion. Nach der Wende zog er nach Sachsen um. Heute ist er als freier Journalist mit den Schwerpunkten Kultur und Geschichte in Dresden tätig, wenn er nicht gerade in anderen Ecken der Welt unterwegs ist.