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Zeitreise-Portal in Dresdens Chip-Vergangenheit

Eine interaktive Zeitreise-Karte soll künftig im Internet wichtige Stätten zeigen, an denen in Dresden Mikroelektronik-Geschichte geschrieben wurde. Montage und Fotos: Heiko Weckbrodt

Eine interaktive Zeitreise-Karte soll künftig im Internet wichtige Stätten zeigen, an denen in Dresden Mikroelektronik-Geschichte geschrieben wurde. Montage und Fotos: Heiko Weckbrodt

Mikroelektronik-Alumni planen interaktive Stadtkarte, wollen Zeitzeugen befragen und historische Hightech einsammeln

Dresden, 7. Mai 2023. Um die über 60-jährigen Mikroelektronik-Traditionen in Sachsen aufzubereiten, will ein Kreis von Senior-Halbleiterexperten eine interaktive Stadtkarte mit wichtigen Stätten der Dresdner Halbleiter-Geschichte erstellen. Das haben Andreas Kalz und Thomas Haase von dieser Alumni-Expertengruppe angekündigt. Vorbild ist hier der bereits existierende Internet-Stadtplan über wichtige historische Stätten der Kameraproduktion in Dresden. Außerdem auf der Agenda der Alumni: Sie wollen historische Hightech-Geräte der einheimischen Chipproduktion in den Technischen Sammlungen Dresden zusammentragen und bisher wenig bekannte Entwicklungsprojekte der sächsischen Mikroelektronik in Form von Zeitzeugenberichten dokumentieren.

„Silicon Saxony“-Erfolgsgeschichte begann nicht erst nach der Wende

Denn dass das Dreieck Dresden-Freiberg-Chemnitz heute als einer der wichtigsten Mikroelektronik-Standorte in Europa gilt, Infineon und andere Konzerne hier Milliarden-Investitionen tätigen, ist nicht allein der Förderpolitik sächsischer Kabinette der Nachwende-Zeit geschuldet. Vielmehr ist dies auch dem Weitblick von Dresdner Physikern der 1960er Jahre und nicht zuletzt (wenn auch sprunghaften) innovationspolitischen Weichenstellungen der DDR-Wirtschaftsführung zu verdanken: Nach dem Ende des ostdeutschen Flugzeugbaus durfte nämlich der TU-Physiker Werner Hartmann in Dresden ab 1961 eine Arbeitsstelle für Molekularelektronik (AME) aufbauen und die baute die ersten echten Schaltkreise im Lande. Daraus entwickelte sich später das Zentrum für Mikroelektronik Dresden (ZMD). Hartmanns AME war im weiteren Sinne auch eine der Wurzeln für die Kombinate Mikroelektronik Erfurt und Robotron Dresden. Die wiederum waren nach der Wende Keimzellen für viele Hightech-Ausgründungen beziehungsweise Ansiedlungen von Siemens/Infineon, AMD/Globalfoundries, X-Fab und viele andere Hochtechnologie-Akteure in Sachsen und Thüringen.

Thomas Haase (l.) und Andreas Kalz in der "CoolX"-Mikroelektronikschau in den Technischen Sammlungen Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Thomas Haase (l.) und Andreas Kalz in der „CoolX“-Mikroelektronikschau in den Technischen Sammlungen Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Rechentechnik bereits recht gut erfasst – Mikroelektronik-Sammlungen aber noch lückenhaft

Diese Geschichte und Zusammenhänge herauszuarbeiten, sie durch Exponate und Berichte aus erster Hand zu belegen, hat sich der Alumni-Kreis als primäre Aufgabe auf die Fahnen geschrieben – und kooperiert dafür sowohl mit dem Branchenverband „Silicon Saxony“ wie auch mit den „Technischen Sammlungen Dresden“. Das Technikmuseum in Striesen hat bereits einen umfangreichen Bestand mit Rechentechnik und anderen Technologie-Erzeugnissen aus Dresden und Sachsen und hat diese Exponate auch in Teilen bereits in einer Datenbank veröffentlicht. Die Sammlungen zur Dresdner Mikroelektronik sind hingegen noch lückenhaft und viele Stücke auch noch unzureichend erfasst. Auch hier wollen die Alumni helfen, Lücken zu schließen und Exponate zu dokumentieren.

Wie die DDR Embargos umging und mit Autarkiekurs auf Lieferkettenstörungen reagierte

Kaum vertreten in öffentlich zugänglichen Ausstellungen sind aus der Perspektive der ehemaligen Mikroelektroniker beispielsweise Anlagen, mit denen die DDR ihre Chips hergestellt hat: einerseits solche, die Elektromat, Hochvakuum Dresden, Carl Zeiss Jena und andere ostdeutsche Betriebe selbst entwickelt haben sowie sowjetische Import-Maschinen, andererseits aber auch Anlagen, die Stasi und Koko trotz Embargo aus dem Westen geheimdienstlich „beschafft“ und dann in Dresden anonymisiert eingesetzt haben. Allerdings sind solche Aggregate teilweise tonnenschwer und sperrig, so dass die Technischen Sammlungen Dresden sicher nur ausgewählte Beispiel werden aufnehmen können, wenn sich die Möglichkeit dafür bietet.

Der Dresdner Physiker Andreas Steinbrecher war ab 1978/79 an dem Projekt Ionenprojektor im Institut für Mikroelektronik Dresden (IMD) beteiligt. Hier im Foto aus dem Jahr 2023 zeigt er in den Technischen Sammlungen eine der damals verwendeten Masken. Foto: Heiko Weckbrodt

Der Dresdner Physiker Andreas Steinbrecher war ab 1978/79 an dem Projekt Ionenprojektor im Institut für Mikroelektronik Dresden (IMD) beteiligt. Hier im Foto aus dem Jahr 2023 zeigt er in den Technischen Sammlungen eine der damals verwendeten Masken. Foto: Heiko Weckbrodt

Auch wenig bekannte Sonderforschungsprojekte auf der Agenda

Anderseits haben die Alumni aber auch schon ein paar ausgewählte Entwicklungsprojekte der DDR-Mikroelektronik auf ihre Zeitzeugen-Interview-Agenda gesetzt. Dazu gehören neben dem propagandistisch breit ausgeschlachteten Mega-Projekt auch weit weniger bekannte, teils sogar geheime Vorhaben wie eine eigene Röntgen-Lithografie und Ionen-Lithografie, an denen ostdeutsche Teams forschten, aber auch Sondervorhaben beim VEB Spurenmetalle Freiberg. Der Arbeitskreis sucht aber auch Fotos und Kuriosa, die etwas über die Geschichte der DDR-Mikroelektronik erzählen können.

Wer etwas beizutragen hat, kann sich über diese Internetadresse kundig machen oder über die E-Mail-Adresse alumni@silicon-saxony.de Kontakt aufnehmen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Mikroelektronik-Alumni, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt