Gläserne Manufaktur soll neuen ID3 PA herstellen und öfter als Pilotfabrik für Konzern dienen
Dresden/Zwickau, 20. Dezember 2022. Volkswagen will seine gläserne Manufaktur in Dresden weiter aufwerten: So will das Unternehmen ab Mai 2023 etwa zeitgleich und erstmals in Dresden und Zwickau das überarbeitete Elektroauto ID3 PA in großen Serien herzustellen. „Und wir wollen Dresden als Innovations- und Technologiestandort für Produktionstechnik und Digitalisierung ausbauen“, kündigte der neue Dresdner Standort-Chef Martin Goede an.
Lange Taktzeiten erleichtern neue Produktionsversuche
Goede plant, die Dresdner Manufaktur noch öfter als Pilotfabrik für die großen Massenfabriken von Volkswagen einzusetzen. Bisher realisierte Beispiele dafür waren Pilotprojekte mit einer 5G-funkvernetzten Fabrik oder mit dem robotergestützten Dachhimmel-Einbau beim E-Golf – und derzeit ist es die Nullserie für den neuen ID3 PA für den gesamten Konzern. Und in Zukunft soll die Manufaktur Dresden mit ihren vergleichsweise langen Taktzeiten, kleinen Produktions-Mengen und ihrer besonderer Technologie-Expertise häufiger neue Produktionstechnologien erst mal bis zur Serienreife führen, bis sie in den VW-Großfabriken zum Einsatz kommen.
Mobile Kleinroboter sollen Teile-Transporter beladen
Zu den geplanten künftigen Pilotvorhaben in Dresden gehören Versuche, Automatisierungslücken beim Teiletransport zu schließen. So bringen zwar schon heute automatische Transportwagen Bauteile vom Lager in die sogenannte „Schuppe“, an der in Dresden die Mechaniker, Elektroniker, Klempner und Mechatroniker die ID3-Stromer zusammenmontieren. Geplant ist nun, dass in Zukunft kleine mobile Roboter statt Menschen diese Teile-Transporter im Lager beladen. Dafür nötige neue Fähigkeiten wie maschinelles Lernen (ML), Künstliche Intelligenz (KI) und Industrielle Computervision (ICV) sollen die mobilen Roboter in Dresden erlernen.
Digitale Zwillinge für Fertigungslinien und Produkte kombinieren
Außerdem will VW massiv den Einsatz „Digitaler Zwillinge“ von der Entwicklung bis zur Produktion und Logistik ausbauen – und auch dies in der gläsernen Manufaktur austesten. Im Pilotvorhaben sollen unter anderem virtuelle, aber voll funktionsfähige Computermodelle der Fertigungslinien wie auch der Autos und Bauteile entstehen. Die Dresdner Ingenieure sollen diese Digitalen Zwillinge dann so aufeinander abstimmen, dass perspektivisch ein Knopfdruck genügt, um die Fabriklinie auf ein neues Produkt umzustellen.
KI soll Ausfall ganzer Linien per Prophylaxe verhindern
Und gibt es für all dies erst mal digitale Zwillinge, ergeben sich weitere Nutzeffekte: Sie lassen sich beispielsweise nutzen, um die gesamte Fertigung jedes Autos vom ersten gebogenen Blech bis zum fertigen Auto zu dokumentieren – beispielsweise für spätere Garantiefälle. Und durch die Kombination von Digitalen Zwillingen, massivem Sensoreneinsatz in der Fertigungslinie und KI wird auch vorausschauende Wartung („Predictive Maintenance“) möglich. Wenn die KI in Zukunft imstande sei, zum Beispiel ein verschlissenes Roboter-Gelenk rechtzeitig zu erkennen und eine Reparatur auszulösen, könne dies den Ausfall ganzer Produktionslinien vermeiden und viel Geld sparen, ist Goede überzeugt.
Zukunft des Inkubators noch unklar
Noch etwas offen ist nach den Erfahrungen der Corona-Zeit allerdings, ob und wie es mit dem „Future Mobility“-Inkubator in der Manufaktur weitergeht: Seit dem Sommer 2017 hatte VW ausgewählte Jungunternehmen („Start-Ups“) nach Dresden eingeladen, um sich jeweils für ein paar Monate in die Manufaktur einzunisten, hier ihre Technologien und Geschäftsideen weiterzuentwickeln, Tipps von Profis sowie Experimentalmöglichkeiten in einer richtigen Autofabrik zu bekommen. Dazu gehörten auch inzwischen sehr erfolgreiche Jungunternehmen wie der Transporter-Verleih „Carl und Carla“ aus Dresden, die Münchner Gründung „ChargeX“, die in der Manufaktur ihre Aqueduct-Ladesysteme verbesserte oder das Holztechnologie-Unternehmen „Ligenium“ aus Chemnitz. Und auch die junge Dresdner Robotikfirma „Wandelbots“ durfte in der VW-Manufaktur ihre Technologien unter Fabrikbedingungen erproben.
Womöglich nur noch virtuelles Brüten?
Während der Pandemie konnten die Gründer allerdings wegen Seuchenschutz nicht in die Manufaktur kommen und seitdem liebäugelt VW mit der Idee, gleich einen eher virtuellen Inkubator aus ihrem Projekt zu machen – das steht aber noch nicht fest. Auch sollten die Start-Ups ursprünglich neue Ideen rund um das weit gefasste Thema „Mobilität“ in den Koloss Volkswagen einbringen. Der neue Manufakturchef will nun die Teilnehmer enger auswählen: „Wir wollen Unternehmen aussuchen, die wirklich gut zu dem passen, was wir vorhaben.“
Ursprünglich für Phaeton gebaut, seit 5 Jahren baut die Manufaktur Stromer
VW hatte die gläserne Manufaktur 1999 bis 2022 nahe am Dresdner Stadtzentrum gebaut, um dort das damalige Prestigeprojekt „Phaeton“ zu bauen und mit viel Tamtam exklusiv auszuliefern. Der wenig phantasievolle Oberklassewagen kam jedoch nur mäßig an. 2016 endete die Phaeton-Produktion, die Manufaktur galt zeitweise als obsolet. Dann jedoch investierte Volkswagen noch mal 20 Millionen Euro in einen Umbau. In der Folge stellte die Kleinfabrik ab 2017 zunächst Elektrogolfs her, nach einer neuerlichen Umrüstung ab 2021 dann den ID3. Parallel dazu profilierte sich die Manufaktur als Erlebnis- und Auslieferungszentrum für Kunden, Partner und andere Besucher sowie als Innovationszentrum für den Konzern. Unter anderem gründete VW ein Entwicklungszentrum für Produktions-Rechnerwolken, digitale Produktion und Automatisierung in der Manufaktur, das inzwischen allerdings in die „Universellen Werke Dresden“ umgezogen ist.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Volkswagen, Oiger-Archiv
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