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Pilze lassen menschgemachte Mondlandschaften blühen

Vor dem Versuch im Leipziger Land haben die Fraunhofer-Forscher verschiedene "Impfrezepte" für die Erde mit verschiedenen Pflanzen im Labor ausprobiert. Foto: Fraunhofer-IKTS

Vor dem Versuch im Leipziger Land haben die Fraunhofer-Forscher verschiedene „Impfrezepte“ für die Erde mit verschiedenen Pflanzen im Labor ausprobiert. Foto: Fraunhofer-IKTS

Fraunhofer-IKTS Dresden mischt eine Art Champignonsoße mit Klärwerk-Kompost und Tagebau-Erde, um Müllhalden zu begrünen

Dresden/Leipzig, 21. September 2022. Forscher, Gartenbauer und Ingenieure aus Dresden und Leipzig haben einen Weg gefunden, um Tagebau-Wüsten und Müllhalden in blühende Landschaften zu verwandeln. Auf einer alten Abfallhalde nahe Leipzig haben sie dafür erfolgreich ein Mischrezept aus Pilzsoße, Kompost, Kohle und einer speziellen Umpflügtechnik eingesetzt. Künftig wollen sie mit ihrer neuen Rekultivierungstechnologie auch Tagebaue und alte Bergbauhalden begrünen – und „ganz nebenbei“ den Energieverbrauch in deutschen Champignon-Zuchtanlagen deutlich senken. Dies geht aus einer Mitteilung des federführenden Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme (IKTS) aus Dresden hervor.

Wie ein „Wundverschluss für die verletzte Landschaft“

„Boden ist eine sehr wertvolle Ressource, die wir schützen müssen“, betont IKTS-Projektleiter Nico Domurath. „Leider verlieren wir im Schnitt pro Tag 54 Hektar davon – das entspricht 76 Fußballfeldern – beispielsweise durch Wohnungs-, Straßen- und Bergbau. Was wir im Zuge unseres Projekts entwickelt haben, ist wie ein Wundverschluss für die Verletzungen, die der Mensch in der Landschaft hinterlassen hat.“

Was die Kohlebagger aus der Tiefe holen, ist biologisch tote Erde

Ausgangspunkt für das Projekt „Boden 2“ waren die Wunden, die der Mensch mit Braunkohletagebau, Berggeschrey und urbanem Müll in die Natur geschlagen hat – konkret in Sachsen sei hier beispielsweise die Lausitz und das Erzgebirge mit seinen Bergbaurelikten genannt. Zwar können Tagebau-Löcher wieder mit Wasser oder Abraum gefüllt werden, wenn die Braunkohle erschöpft ist. In der Praxis aber sehen abraum-verfüllte Gruben wie Mondlandschaften aus. Das liegt daran, dass die Maschinen unter dem Mutterboden, der ganz oben aufliegt, nur noch biologisch toten Unterboden ohne Pflanzenwurzeln und Mikroorganismen aus dem Erdreich holen. Wenn die Bagger dieses „Abraumförderbrückenmaterial“ unbearbeitet in die Grube schieben, dauert es Jahrzehnte, bis dieser Boden wieder biologisch aktiv und mit Gras überwachsen ist. Verstärkt wird dieser Verödungseffekt zudem durch geologische Besonderheiten wie Phosphoritknollen, die mit dem Abraum an die Oberfläche gelangen und mit dem Sauerstoff in der Luft oxidieren. Diese Phosphoroxide übersäuern dann das Erdreich und machen es für Pflanzen unbewohnbar.

Projekt „Boden 2“: Müllhalde nahe Leipzig erfolgreich begrünt

Deshalb hat sich das Keramikinstitut IKTS mit der TU Dresden, dem Institut für Holztechnologie Dresden (IHD), mit einem Deponiebetreiber, einem Klärschlammverwerter, Spezialmaschinenherstellern und Agrarexperten zusammengetan. Gemeinsam ist es ihnen gelungen, unbelebte Erde mit neuem Leben zu impfen. Konkret haben sie dies auf einer Versuchsfläche von 600 Quadratmetern einer Mülldeponie nahe Leipzig erprobt – mit Erfolg. Mittlerweile blühen dort wieder Gräser, Blumen und Stauden, auch Tiere siedeln sich an. „Wir freuen uns, dass wir mit den neuen Rekultivierungstechnologien Teile der Deponie so schnell begrünen konnten und diese sich schön ins Landschaftsbild einfügt“, betont Deponiebetreiber Bernd Beyer.

Vorher (links) und nachher: Die Pilz-Klärschlamm-Mischung hat der kargen Haldendecke neues Leben eingeimpft. Foto: Fraunhofer-IKTS

Vorher (links) und nachher: Die Pilz-Klärschlamm-Mischung hat der kargen Haldendecke neues Leben eingeimpft. Fotos (2): Fraunhofer-IKTS

Vegetation schützt Erde auch vor Erosion und Übersäuerung

Der begrünte Deponiehügel sieht nicht nur schöner aus als eine karge Halde, sondern stabilisiert das gesamte ökologische und geologische Gleichgewicht vor Ort: Die Wurzeln verankern und stabilisieren die Erde, die sie damit gegen Erosion schützen. Außerdem kann Regenwasser nun ins Erdreich einsickern, statt auf trocken-hartem Boden wegzufließen oder Ausspülungen zu verursachen. Wichtig: Die Vegetation und die „reanimierte“ Erde strecken den Phosphoritknollen-Effekt. Anders als bei unbehandelten Deponiedecken rutscht der pH-Wert des Bodens nicht mehr so stark ab. Was genau dabei im Boden passiert, wollen die Forscher noch weiter untersuchen. Anscheinend kapseln aber wohl die Pilze im Boden die Phosphorknollen mit einer Schutzhülle ein und verhindern dadurch Reaktionen mit der Luft.

Kompost-Zutat kommt aus Kläranlagen

Möglich ist diese Rekultivierung durch eine ganz besondere Rezeptur, die die sächsischen Forschenden, Landwirtschaftsexperten und Ingenieure im Projekt in aufwendigen Versuchen gemeinsam entwickelt haben. Ein Bestandteil dafür ist Klärschlamm-Kompost, der aus kommunalen Kläranlagen in der Umgebung kommt. Dieser enthält viele Mikroorganismen, die für eine Wiederbelebung für den inaktiven Boden sorgen.

Kernzutat ist ein Abfallprodukt der Champignon-Industrie

Die zweite Komponente kommt aus der Champignon-Zucht. Die hat sich in Deutschland und im Nachbarland Polen mittlerweile zur Massenproduktion ausgeweitet. Die dabei gezüchteten Pilze werden heutzutage in großen Hallen in übermannshohen Regalen gezüchtet, gefüllt mit Kompost und einem speziellen Substrat. Nach der Ernte wird das verbrauchte Pilzsubstrat meist als Dünger für Feldfrüchte wie Getreide oder Gemüse weiterverwendet. Dafür ist es aber eigentlich zu schade – und verschwendet zudem viel Energie. Denn das Substrat hat viel wertvolle organische Fracht an Bord, die Pilzproduzenten aber aus rechtlichen Gründen im Ofen aufwändig sterilisieren müssen.

Champi-Bauern könnten ihren Energieverbrauch um fast ein Drittel senken

Diese Entkeimung macht allein rund 30 Prozent des gesamten Energiebedarfs in der Pilzproduktion aus. Wenn es gelingt, das Substrat ohne Sterilisation anderweitig zu verwenden, könnten die Pilzproduzenten also viel Energie und Geld sparen und damit zum Umweltschutz beitragen.

Rechtliche Hürden verhindern bisher Einsatz von „lebendigem“ Substrat

Einen möglichen Ansatz dafür hat das Projekt geliefert: Statt das Substrat auf die Felder zu bringen, nutzen die Forscher die Champignon-Produktionsreste für ihre Rekultivierungstechnologie. Bisher verwenden sie zwar wegen der gesetzlichen Vorgaben noch sterilisiertes Substrat, doch Versuche haben bereits gezeigt, dass unsterilisierte Pilzreste noch viel besser geeignet wären, biologisch inaktivem Boden Leben einzuhauchen.

Genaue Rezeptur ist geheim

Den Klärschlamm-Kompost und das Pilzsubstrat schichten Maschinen dann auf das „Grundmatrixmaterial“, also zum Beispiel auf unbelebten Unterboden aus Tagebauen, auf. Die genaue Zusammensetzung ist ein Geheimnis. Sie hängt auch vom jeweiligen Grundmatrixmaterial, der Pilzart und der Aufbereitung der Zusatzstoffe ab. Landmaschinen vermischen anschließend die in aufgeschichteten Zutaten. Eine Sämaschine bringt dann das Saatgut aus. Danach lassen die Projektpartner der Natur weitgehend ihren Lauf.

Trotz Hitzewellen hat sich Halde nicht wieder „vermondet“

Schon nach kurzer Zeit hatte sich die so behandelte Haldenfläche zu 80 Prozent begrünt. Beobachtungen haben gezeigt, der Rekultivierungseffekt ist nachhaltig: Trotz der Hitzewellen seit 2020 hat sich die rekultivierte Fläche nicht in eine Mondlandschaft zurückverwandelt.

Nun stehen Versuche mit alten Bergbauhalden nahe Freiberg auf der Agenda

In einem Anschlussprojekt wollen die IKTS-Forschenden die neue Rekultivierungstechnik nun im Freiberger Raum auch auf alten Bergbauhalden erproben. Dort sollen ähnliche Spezialmischungen verhindern, dass der Regen Blei, Cadmium, Uran oder andere Schwermetalle in die Flüsse spült. In einem weiteren Vorhaben möchte das Forschungsteam zudem seine Technologie auf einer größeren Halde austesten. Dieser Schritt vom Pilot- in den großtechnischen Maßstab soll unter anderem helfen abzuschätzen, wie viel es kosten würde, Großflächen von mehreren Hektar so zu begrünen, und was bei diesem Sprung womöglich an unerwünschten Nebeneffekten auftreten könnte.

„Die Technologie ist bereits reif für die Praxis und auch für größere Halden“, betont IKTS-Abteilungsleiter Dr. Burkhardt Faßauer. Zu beantworten seien vor allem noch rechtliche Fragen – etwa mit Blick auf die bisherigen gesetzlichen Vorgaben, wie Pilzsubstrat zu entsorgen und wie alte Müllhalden zu bedecken seien.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: IKTS

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt