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Blockchain und Cyberbank: Sind Banken die neue Tyrell Corporation?

Blockchain-Technologien beruhen auf miteinander verknüpften, verschlüsselten Datengliedern. Grafik. Heiko Weckbrodt

Blockchain-Technologien beruhen auf miteinander verknüpften, verschlüsselten Datengliedern. Grafik. Heiko Weckbrodt

Teilnehmer-Rekord während der Blockchain-Herbstschule 2022 in Mittweida

Mittweida, 21. September 2022. Ein Mensch, der als Kind die Romane von Jules Verne verschlungen hat, misst ein U-Boot mit dem Namen „Nautilus“ sofort an den Maßstäben eines Kapitän Nemo. Wer als junger Fernsehzuschauer mit dem Entdeckergeist der „Enterprise“-Raumfahrer aufgewachsen ist, für den werden sich die Verheißungen eines jungen Raumfahrtunternehmens ganz anders anhören als für jene, die noch nie von „Star Trek“ gehört haben. Und ganz ähnlich läuft das nun auch bei manchen Gründungen aus der Blockchain-Szene: Dort operieren die Akteure aus dem Reich der digitalen Finanztechnologien besonders gerne mit Erzählmustern („Narrativen“) aus der „Cyberpunk“-Populärkultur – zum Beispiel durch Rückgriffe auf die Deutungsmuster von „Bladerunner“ und Co. Darauf hat der Techniksoziologe und Innovationsforscher Jan-Peter Schmitten von der Technischen Universität Chemnitz während der „Blockchain-Herbstschule 2022“ in Mittweida hingewiesen. Für seine Analyse „Blockchain, Science-Fiction und Cyberpunk an der Kreuzung vorgestellter Zukünfte und ihrer Realisierung“ bedachten ihn die Organisatoren mit dem „Best Paper Award“.

Blockchain-Akteure setzen gern auf Deutungsmuster der dystopischen Netz-Populärkultur

Denn Analogien zwischen den Erzählmustern in dystopischen Filmen, Comics und Romanen, in denen oft mächtige Konzerne wie die „Tyrell Corporation“ die gesamte Gesellschaft beherrschen, und dem Anspruch der Blockchain-Protagonisten, eine dezentrale Alternative zu – vor allem seit der Finanzkrise – diskreditierten Bankenkonzernen zu bieten, werden gern und oft von Finanztech-Gründern und Open-Source-Netzwerken eingesetzt. Diese Muster finden sich beispielsweise im „Cellarius“-Netzwerk und beim „Erasure-Protokoll“ wieder, die auf der Blockchain-Technologie aufbauen, so Schmitten. In ihren Verlautbarungen präsentierten sich diese Projekte als Gegenentwürfe beispielsweise und von zentralen „Monolithen“ beherrschten Medien oder zu den gewinnorientierten Banken, die Finanzdaten und den Zugang zu „guten“ Informationen kontrollieren. „Das Cellarius-Universum (CX) ist ein originelles, medienübergreifendes Cyberpunk-Franchise, dass die Blockchain-Technologie und nutzergenerierte Inhalte nutzt, um eine kollaborative, von Fans kuratierte Geschichte zu schaffen“, zitiert der Chemnitzer Forscher beispielhaft aus einer Selbstdarstellung von Cellarius.

Cyberpunk-„Framing“ soll Sicht der Öffentlichkeit auf Finanzsektors beeinflussen

Diese Beispiele zeigen, wie „einige Blockchain-Projekte etablierte Institutionen, die sie für schädlich für die Gesellschaft halten, reflektieren und zu verändern suchen“, argumentiert Jan-Peter Schmitten. „Durch die Verwendung von Cyberpunk-Elementen versuchen sie ihr Framing dieser Institutionen mit dem angenommenen Framing ihres Zielpublikums in Einklang zu bringen.“ Wie erfolgreich dieses Vorhabe von Deutungsrahmen („Framing“) aber tatsächlich sei, stehe auf einem ganz anderen Blatt. Zumindest die beiden erwähnten Projekte agierten zumindest eher wenig erfolgreich: „Das Cellarius-Netzwerk wurde nach kurzer Zeit wieder eingestellt und das Erasure-Protokoll scheint … ebenso wenig erfolgreich“, heißt es in der Analyse.

Über 1000 Teilnehmer zur Blockchain-Konferenz in Sachsen

Dieser Beitrag von Jan-Peter Schmitten über Cyberpunk und Blockchain war Teil des bisher erfolgreichsten Durchgangs der „Blockchain Autumn School“, die das „Blockchain Competence Center Mittweida“ (BCCM) an der Hochschule Mittweida jährlich im Herbst organisiert. Für die diesmal virtuell ausgerichtete Konferenz vom 12.-16. September 2022 gab es laut Mitorganisator Dr. Volker Wannack über 1000 Anmeldungen – soviele wie noch nie. „Wir sehen Blockchain als wichtige und zukunftsweisende Innovation, und wollen jedem die Chance geben, sich fachlich fundiert darüber zu informieren“, erklärte Herbstschul-Initiator Prof. Andreas Ittner von der Hochschule Mittweida. „Gleichzeitig hoffen wir uns im nächsten Jahr im September wieder vor Ort in Mittweida treffen zu können.“

Mittweida profiliert sich als sächsische Blockchain-Hochburg

25 Unternehmen und Forschungseinrichtungen, darunter Siemens, Bosch, IBM, T-Systems, die Deutsche Bahn, die Lufthansa, EnBW, die Volksbank Mittweida, das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT), die Frankfurt School, die FH Südwestfalen und die HTW Dresden, hatten während der Herbstschule über ihre Entwicklungsschwerpunkte und neue Anwendung für geblockte digitale Ketten (Blockchains) berichtet. Mittweida profiliert sich bereits seit geraumer Zeit als Hochburg der Blockchain-Technologien in Sachsen. Rund um die Hochschule Mittweida als Nukleus ist eine „Schaufensterregion“ mit Blockchain-Beispielen entstanden. Außerdem waren in der vergangenen Jahren mehrere Blockchain-Unternehmen in der Stadt entstanden.

Ein Konferenzband lässt sich hier herunterladen. Weitere Informationen gibt es über diese Adresse im Netz.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: BCCM, Konferenzband Herbstschule 2022

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt