Eine neue Gedenktafel in Martinšćica auf der kroatischen Insel Cres erinnert an den Beginn einer ätherischen Wirtschaftsbeziehung nach Sachsen
Martinšćica, 10. September 2022. Das kleine Dorf Martinšćica (St. Martino di Cherso) auf der nördlichsten Adria-Insel Cres ist auf ganz besondere, gewissermaßen ätherische Weise mit Sachsen verknüpft. Auf der heute zu Kroatien gehörenden Insel entstand nämlich noch zu Zeiten der Habsburgermonarchie mit sächsische Anlagentechnik eine zeitweise wohl florierende Manufaktur für ätherische Öle. Mit einer jüngst eingeweihten Gedenktafel erinnert die Gemeinde an diese Geschichte und zwei Jubiläen, die beide mit dem früheren Dresdner, später dann Heidenauer Unternehmen Volkmar Hänig & Co. zu tun haben.
Volkmar Hänig lieferte Destillier-Apparat an Andrija Linardić
Im Dezember 1902, also vor etwa 120 Jahren, bot die Firma Volkmar Hänig mittels eines Kostenvoranschlags dem adriatischen Manufaktur-Unternehmen des Andrija Linardić senior den Bau und die Lieferung eines Destillier-Apparates an. Das war der Start der Verbindung Martinšćica – Dresden beziehungsweise Sachsen. Linardić sr. und danach dessen Sohn Andrija Linardić jr. produzierten ätherische Öle durch Destillierung verschiedener Pflanzen wie Salbei, Strohblume und weiterer, die in der Region massenhaft natürlich vorkamen. Bereits 1903 wurde dieser von Hänig gelieferte Kupfer-Dampfdestillationsapparat für ätherische Öle inklusive Pumpe in Betrieb genommen.
Heute ist die Destille eine Gaststätte
Im Jahre 1912 errichtete Andrija Linardić jr. – nach vorheriger Nutzung von Interims-Gebäuden für den Sitz der Destillerie – sein reguläres, größeres Destillerie-Gebäude direkt am Wasser und nahm es in Betrieb; das war vor 110 Jahren. Heutzutage befindet sich in diesem Haus die Gaststätte „Sidro”, natürlich jedem Einwohner, vor allem jedoch den sommerlichen Touristen ein Begriff.
An die beiden 2022er Jubiläen erinnert nun eine Gedenktafel am Restaurant „Sidro“, die am 30. August 2022 im Beisein überregionaler politischer Prominenz, einiger Nachkommen der Familie Linardić sowie einer großen Zahl von Einwohnern und Gästen des Ortes feierlich enthüllt wurde. Dazu wartete der Folkloreverein „Orlec“ mit authentischer Dudelsackmusik und Tänzen auf.
Rasch stellten sich erste Erfolge ein
Diese heutige Würdigung für eine lang zurückliegende Gründung hat auch damit zu tun, dass die unternehmerischen Aktivitäten von Andrija Linardić seinerzeit rasch Früchte trugen. Schon bald nach Produktionsbeginn stellte sich der Erfolg ein. Bereits im Jahre 1906 hatte ätherisches Öl, erzeugt im Unternehmen von Andrija Linardić, den Hauptpreis bei einer Ausstellung in London gewonnen. Das hatte ihm die Türen bei führenden Chemie- und Pharmaunternehmen wie Heine & Co. aus Leipzig, dem zeitweiligen Weltmarktführer der Riechstoffindustrie Schimmel & Co. in Miltitz und der heute noch aktiven Firma der Aroma- und Duftindustrie Curt Georgi geöffnet.
Weltweit erstes Strohblumen-Duftöl auf Cres hergestellt
Im Jahre 1908 hatte die Firma Heine & Co. gefragt, ob Linardić das ätherische Öl auch aus Strohblumen und nicht nur aus Salbei herstellen könnte. Mit Folgen. Linardić wurde der weltweit erste, der das ätherische Öl aus Strohblumen erzeugte. Und jahrelang wurde die gesamte Produktion exklusiv nach Leipzig geliefert.
Größere Anlagen in Heidenau nachbestellt
Schließlich hat die Destillerie so gut gearbeitet, dass die Firma Volkmar Hänig, seit einiger Zeit in Heidenau bei Dresden ansässig, im Jahre 1925 neue Anlagen – dreimal größere als die frühere – geliefert hat. Nicht unwichtig: Diese ätherischen Öle wurden nicht nur in weitere europäische Länder exportiert, sondern auch in die USA.
Jugoslawische Kommunisten verstaatlichten die Öl-Destillerie
Nach dem zweiten Weltkrieg hatte die jugoslawische Regierung die Destillerie in Martinšćica verstaatlicht. Linardić und seine Familie sind nach Triest umgezogen. einige Familienmitglieder leben in Triest noch heute.
Film über die Familie Linardić produziert
Einwohner von Martinšćica und Mitglieder der Familie Linardić bewahren unter Leitung von Ivo Saganić, Präsident des Bürgervereins Magriž, das wertvolle Erbe, wollen es lebendig halten. In einem kleinen Kastel aus dem 17. Jahrhundert haben sie einen Museumsraum eingerichtet. Dort gibt es auch einen extra produzierten Film über die Familie Linardić, der auch in deutscher Sprache vorliegt. Die Geschichte dieses verdienstvollen, von der Kvarner Inselwelt nach Deutschland und ganz Europa ausstrahlenden Unternehmens, darunter auch dessen Beziehung zu Firma Volkmar Hänig, fand nun mit der feierlichen Enthüllung der Gedenktafel einen vorläufigen Abschluss.
Autor: Mathias Bäumel
Quellen: Vor-Ort-Recherche, Archiv-Recherchen
Zum Weiterlesen:
Eine kurze Geschichte der Firma Volkmar Hänig
Salbei-Duft von der Adria für des Kaisers Soldaten
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