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Im Uni-Turm knallen Laster gegen Brücken

Studentin Riya Thomas bemalt einen Impaktor. Die Striche sind wichtige für die spätere Auswertung der Fallexperimente mit Hochgeschwindigkeits-Kameras. Foto: Heiko Weckbrodt

Studentin Riya Thomas bemalt einen Impaktor. Die Striche sind wichtige für die spätere Auswertung der Fallexperimente mit Hochgeschwindigkeits-Kameras. Foto: Heiko Weckbrodt

Dresdner Impakt-Forscher: Schon ein dünner Carbonbeton-Panzer kann Bauwerke besser gegen Unfälle, Terror und Hagel schützen

Dresden, 24. August 2022. Was passiert, wenn ein Laster bei vollem Autobahntempo gegen einen Brückenpfeiler knallt? Oder Terroristen ein Flugzeug auf die Betonhülle eines Atomkraftwerks lenken? Und helfen die im Volksmund auch „Nestler-Legosteine“ genannten Betonklötzer vor dem Dresdner Striezelmarkt wirklich gegen einen heranrasenden Lkw – oder machen sie alles nur schlimmer? Weil niemand das live und in Farbe erleben will, klären Bauingenieure der TU Dresden eben solchen Fragen mit ausgesprochen dynamischen Experimenten lieber vorab: In einen DDR-Plattenbau am Zelleschen Weg haben sie 24, mit dem sie eben solche energiereichen Stöße gegen Betonbauteile nachstellen. Im Zuge dieser „Impaktforschung“ entwickeln nun wegweisende Konzepte für den Unfall-, Katastrophen- und Antiterror-Schutz – und ebnen ganz „nebenbei“ den Weg zu einer sparsameren und umweltschondenderen Bauweise.

Dr. Oliver Mosig (links) und Dr. Marcus Hering und Dr. Oliver Mosig im Fallturm des Instituts für Massivbau. Foto: Heiko Weckbrodt

Dr. Oliver Mosig (links) und Dr. Marcus Hering im Fallturm des Instituts für Massivbau. Foto: Heiko Weckbrodt

Weniger Opferbeton als Beitrag zum Umweltschutz

Denn bis heute ist für Verkehrsplaner und Bauherren kaum präzise zu berechnen, wieviel zusätzlichen Beton sie genau an einer Brücke brauchen, um sie gegen Einsturz durch einen Aufprall abzusichern. Bekannt ist zwar, dass dieses Material dynamischen Belastungen etwa fünfmal besser widersteht als statischen Belastungen. Woher genau diese Besonderheit des Betons kommt, ist aber immer noch nicht abschließend geklärt – und das macht alle Berechnungen schwer. Daher kalkulieren Konstrukteure den Impaktschutz an derartigen Bauwerken nach individueller Erfahrung und planen dabei lieber zu viel als zu wenig „Opferbeton“ ein. „Wenn wir durch unsere Untersuchungen lernen, dynamische Belastungen richtig zu berechnen, dann könnten wir künftig viel ,Opferbeton’ einsparen“, ist Dr. Marcus Hering vom Institut für Massivbau der TU Dresden überzeugt. „Mit Blick auf den großen Ressourcenverbrauch bei der Betonherstellung könnten unsere Experimente da eine ganz besondere Relevanz gewinnen.“

Mit verschiedenen Schichten aus Textil- oder Carbonbeton oder anderen Materialien gepanzerte Proben nach den Fallversuchen am Institut für massivbau der TU Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Mit verschiedenen Schichten aus Textil- oder Carbonbeton oder anderen Materialien gepanzerte Proben nach den Fallversuchen am Institut für Massivbau der TU Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Panzerung gegen fallende Paketdrohnen

Auch der Bauwerkschutz gegen Einschläge von oben spiele eine wachsende Rolle, meint sein Kollege Dr. Oliver Mosig: „Durch Wetterextreme, wie wir sie inzwischen vermehrt beobachten, kommt es öfter als bisher zu Erdrutschen, Hagel und Steinschlag. Und das belastet zum Beispiel Tunnel in Italien und anderen Ländern zunehmend.“ Neue Risiken seien auch als indirekte Folge des wachsenden Online-Handels zu erwarten: „Wenn der Drohnenverkehr weiter so zunimmt, dann wächst auch die Gefahr durch abstürzende Drohnen oder deren Pakete.“

Fallturm des Instituts für Massivbau. Foto: Heiko Weckbrodt

Fallturm des Instituts für Massivbau. Foto: Heiko Weckbrodt

Tunnel nachträglich langlebiger machen

Technologische Ansätze für mehr Sicherheit und weniger Ressourceneinsatz beim Bau von Tunneln, Brücken und anderen Bauwerken haben die Dresdner Bauingenieure bereits entwickelt: Schon eine zwei Zentimeter dünne „Panzerung“ mit Carbonbeton, der mit Kohlenstofffasern statt Stahl bewehrt ist, kann für erhebliche Schutzeffekte sorgen. Die damit geschützten Proben widerstanden selbst Aufprallgeschwindigkeiten von über 500 Kilometern pro Stunde. „Vergleichbar wäre das zum Beispiel mit einem 1,4 Tonnen schweren Auto, das mit Tempo 30 einen Brückenpfeiler rammt“, erklärt Marcus Hering, der die Experimente realisiert hatte. „Vorstellbar wäre es, damit auch nachträglich Tunnel und Brücken gegen Steinschlag oder Unfälle zu ertüchtigen.“ Letztlich könne man so auch die Lebenszeit derartiger Bauwerke deutlich verlängern, betont er. Mit dicken klassischen Betonschichten wäre das in vielen Fällen gar nicht möglich, weil ein Tunnel damit natürlich immer enger und ein Brückenpfeiler statisch immer stärker belastet werden würde.

Prof. Manfred Curbach steht neben einer Treppe und einem Muster, die zeigen, wie dünn und doch stabil mit Carbonbeton gebaut werden kann. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Manfred Curbach steht neben einer Treppe und einem Muster, die zeigen, wie dünn und doch stabil mit Carbonbeton gebaut werden kann. Foto: Heiko Weckbrodt

„Expertise ist international gefragt“

Diese und andere Forschungsergebnisse der Dresdner Impaktforscher haben sich längst über Sachsen hinaus herumgesprochen: „Unsere Expertise ist international gefragt“, erzählt Oliver Mosig, der ebenfalls am Fallturm an Impakteffekten forscht. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt dem Institutsleiter: Prof. Manfred Curbach ist heute zwar vor allem für seinen Carbonbeton und dessen statische Vorteile bekannt. Er war es aber auch, der nach seiner Berufung an die TU Dresden hier einzigartige Experimentalgeräte für die Impaktforschung installieren ließ. Dazu gehören neben dem Fallturm – der bei den Bauingenieuren meist nur kurz „Der Turm“ heißt – beispielsweise auch zweiachsige „Split-Hopkinson-Bar“-Anlagen, mit denen sich wandernde Druckwellen in Materialien simulieren lassen, sowie weitere Aggregate. „Die meisten Bauingenieure beschäftigen sich eher mit statischen Belastungen“, sagt Marcus Hering. „Was aber hier in Dresden an Versuchsanlagen für dynamische Belastungen konzentriert ist, das haben nur ganz wenige andere Forschungseinrichungen weltweit.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Interview und Vor-Ort-Termin im Otto-Mohr-Labor

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt