Maschinenbau, News, Umweltschutz und Ökologie, Wasserstoffwirtschaft, zAufi

Speisereste als Flugzeug-Treibstoff

In der weltweit einzigartigen Recycling-Anlage in Thallwitz bei Leipzig werden biologische Abfälle wieder in nutzbare Stoffe gewandelt, beispielsweise in synthetische Kraftstoffe und Biowachse. Foto: Fraunhofer-IKTS

In der weltweit einzigartigen Recycling-Anlage in Thallwitz bei Leipzig werden biologische Abfälle wieder in nutzbare Stoffe gewandelt, beispielsweise in synthetische Kraftstoffe und Biowachse. Foto: Fraunhofer-IKTS

Fraunhofer startet mit Partnern weltweit einzigartige Anlage, die aus Fettresten synthetischen Kraftstoff und Wachs macht

Thallwitz/Dresden, 28. Juli 2022. Um Essensreste und andere biologische Abfälle wieder in nutzbare Stoffe umzuwandeln, hat das Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme (IKTS) aus Dresden gemeinsam mit Industrie- und Forschungspartnern laut eigenen Angaben eine weltweit einzigartige Anlage in Thallwitz bei Leipzig gebaut. In einer Vorstufe produziert der Komplex Biogas aus alten Fetten der Gastronomie und Lebensmittelproduktion. Und daraus macht die Anlage dann synthetische Kraftstoffe und Bio-Wachse. Bei Bedarf lässt sich ein keramischer Elektrolyseur zuschalten, der die benötigten Stoffe für den Prozess mit Hilfe von Solar- oder Windstrom bereitstellt. Das IKTS will das innovative Anlagenkonzept nun gemeinsam mit einem Leipziger Unternehmen für die Produktion im Industriemaßstab weiterentwickeln.

Lückenschluss für eine Kreislaufwirtschaft

Mit Blick auf über 9000 Biogasanlagen, die in Deutschland in Betrieb sind, sieht Dr. Erik Reichelt, der Leiter der IKTS-Arbeitsgruppe „Systemverfahrenstechnik“, erhebliches Marktpotenzial: „Solche erweiterten Biogasanlagen eröffnen erhebliche Chancen, um schon jetzt für die Zeit nach dem Kohleausstieg neue Wertschöpfung und Arbeitsplätze im mitteldeutschen Revier aufzubauen.“ Allein in Sachsen seien derzeit rund 270 Biogasanlagen im Betrieb – vor allem für die Größeren unter ihnen sei das neue System eine interessante Option. Es könne helfen, die Anlagen wirtschaftlicher zu betreiben und auf Marktschwankungen besser zu reagieren. Zudem trage das kreislaufwirtschaftliche Konzept dazu bei, natürliche Ressourcen zu schonen, den Einsatz von fossilem Erdgas und -öl zu mindern und die Umwelt zu schützen.

Aus Biogas hergestelltes Biowachs im Labor. Foto: Fraunhofer-IKTSAus Biogas hergestelltes Biowachs im Labor. Foto: Fraunhofer-IKTS

Aus Biogas hergestelltes Biowachs im Labor. Foto: Fraunhofer-IKTS

Fokus lag ursprünglich auf der Wachs-Produktion

Dabei war die Zielstellung des Projekts im Jahr 2017 noch deutlich bescheidener gewesen. Ursprünglich wollte das Entwicklungskonsortium die Biogasanlagen „nur“ resilienter gegen Marktschwankungen und Einspeisevergütungen machen, indem man sie zusätzlich für die Wachs-Produktion ertüchtigt. Der Gedanke dabei: Wenn es sich wegen ungünstiger Preise gerade nicht lohnt, das Biogas zu verstromen, können die Betreiber mit etwas zusätzlicher Technik flexibel auf die Produktion von biogenen Wachsen umschwenken. Dies lässt sich dann an die Kosmetik- und Schmiermittelindustrie verkaufen. Während des Entwicklungsprozesses hat sich das Konzept jedoch um zusätzliche Technologie-Pfade erweitert.

Reformer, Fischer-Tropsch-Reaktor und Elektrolyseur kombiniert

Um diese Ansätze in der Praxis zu erproben und eine Pilotanlage zu bauen, haben sich das IKTS, die Bergakademie Freiberg und die TU Dresden mit den sächsischen Unternehmen „Ökotec-Anlagenbau“, „Sunfire“ und der „DBI Gas- und Umwelttechnik“ zu einem Entwicklungsverbund zusammengetan. Ökotec-Anlagenbau stellte seine bereits existierende Biogasanlage zur Verfügung. Dort installierten die Partner zusätzlich einen Reformer, einen Fischer-Tropsch-Reaktor und einen Elektrolyseur. Im ersten Schritt leitet die so erweiterte Anlage Biogas und Wasserdampf in den Reformer, der daraus Synthesegas erzeugt – ein Gemisch aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid. Das Fischer-Tropsch-Aggregat wandelt dieses Synthesegas dann in Methan, flüssige Kohlenwasserstoffe und Wachs um. Das Methan wird gleich wieder in den Prozess zurückgeleitet, um den Anlagenpark zu heizen. Übrig bleiben im Verhältnis 50 zu 50 das Wachs und die flüssigen Kohlenwasserstoffe. Letztere können Raffinerien dann zu synthetischem Diesel oder Kerosin weiter aufbereiten.

225 Kilowatt leistet dieser Wasserstoff-Erzeuger und ist damit laut Sunfire der weltweite größte Hochtemperatur-Elektrolyseur. Er soll künftig als Teil einer größeren Anlage Wasserstoff für Nestes Raffinerie in Rotterdam liefern. Foto: Sunfire

So etwa sehen Elektrolyse-Container aus – hier im Foto ein 225-Kilowatt-Modell von Sunfire Dresden. Foto: Sunfire

Elektrolyseur im Container

Als alternative und zusätzliche Quelle für das Synthesegas ist ein Container mit dem erwähnten Elektrolyseur angedockt. Der wird dann zugeschaltet, wenn wenig Biogas verfügbar oder besonders viel Strom durch Lieferspitzen aus Solar- oder Windkraftwerken im Angebot ist. Dieser Elektrolyseur zerlegt Wasserdampf und Kohlendioxid in Wasserstoff und Kohlenmonoxid, also auch wieder Synthesegas. Er sichert zudem die kontinuierliche Versorgung der Fischer-Tropsch-Syntheseanlage ab, die nur dann richtig effizient arbeitet, wenn immer genug Synthesegas verfügbar ist.

Je nach Marktlage grünen Strom oder erdölfreie Kraftstoffe oder Wachse produzieren

Eine solcherart ausgerüstete Biogasanlage hat also mehrere Möglichkeiten, auf Marktschwankungen zu reagieren: Der Betreiber kann das Biogas weiter verstromen, zum Beispiel per Gasmotor und Generator, wenn die Stromabnahmepreise hoch sind. Sind die Einspeisevergütungen niedrig, schwenkt er auf die Produktion von biogenem Wachs und synthetischen Kraftstoffen um. Und wenn viel Strom aus erneuerbaren Energien verfügbar ist, schaltet er den Elektrolyseur zu.

Produktion des Synthie-Kraftstoffs kostet etwa 2,50 Euro pro Liter

Die gewonnenen erdölfreien Kraftstoffe und Wachse sind zwar immer noch teurer als entsprechende Produkte auf fossiler Basis. So ergeben sich für die synthetischen Kraftstoffe und die Wachse Herstellkosten von etwa 2,50 Euro pro Kilogramm. Die aktuelle Energiepreiskrise hat die ehemals immensen Kostenunterschiede zu erdölbasierten Produkten allerdings bereits stark eingedampft.

Luftfahrt wird um synthetisches Kerosin bald kaum herumkommen

Und selbst wenn man von wieder sinkenden Preisen an den Öl- und Gasbörsen ausgeht: Der Bedarf vieler Industriezweige an nachhaltig gewonnenen Energieträgern und Stoffen wächst. Vor allem die Luftfahrtgesellschaften stehen dabei wegen restriktiverer Umweltschutzgesetze unter Druck. Die Bundesregierung hat angekündigt, ab 2026 erhebliche Beimischungen von elektrisch erzeugtem Kerosin (E-Kerosin) zum herkömmlichen Flugtreibstoff als Pflichtquote einzuführen. Und da – zumindest größere – Elektroflugzeuge noch lange brauchen werden, bis sie auf praxistauglicher Reichweite kommen, werden die Flugzeughersteller und Fluggesellschaften in naher Zukunft kaum um synthetisches Kerosin herumkommen.

Auch Nachfrage aus Farb- und Kosmetikindustrie zu erwarten

Die Fraunhofer-Ingenieure rechnen aber mit Interesse von Farben- und Lackherstellern, die das gewonnene Wachs für die Herstellung von Additiven einsetzen könnten. Auch in der Kosmetik und der Schmierstoffindustrie werden sich genügend Abnehmer finden, meint Erik Reichelt. Insofern können Biogasanlagen-Betreiber, die ihre Betriebe rasch mit der neuen Technik ausstatten, als erste diese Marktnachfrage für biogene Wachse bedienen. Und falls sich dieser Teilmarkt übersättigen sollte, lässt sich das Wachs durch zusätzliche Anlagentechnik ebenfalls zu Kraftstoff verflüssigen.

Transfer in industriellen Maßstab geplant

Auf der Agenda steht nun der Schritt von der Pilotanlage zum größeren industriellen Maßstab. Für diese Transferphase bemüht sich das Fraunhofer IKTS derzeit um Gelder aus dem Strukturwandel-Förderprogrammen für die Kohlereviere. In nächsten Projektabschnitt soll eine Anlage projektiert werden, die mehrere Hundert Liter Kraftstoffe und Wachse pro Stunde erzeugen kann.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: IKTS

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt