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Neues Chip-Forschungszentrum von Fraunhofer Dresden auf Expansionskurs

Blick in eine Prozessanlage für 300-mm-Wafer. Foto: Fraunhofer-IPMS

Blick in eine Prozessanlage für 300-mm-Wafer. Foto: Fraunhofer-IPMS

„Center for Advanced CMOS & Heterointegration Saxony“ führt Forschung an Kernprozessen und Endmontage der Mikroelektronik zusammen

Dresden, 7. Juni 2022. Um die industrienahe Mikroelektronik-Entwicklung in Sachsen auf eine neue Stufe zu heben, haben heute zwei Fraunhofer-Institute in Dresden gemeinsam ein „Center for Advanced CMOS & Heterointegration Saxony“ (Cachs) im Dresdner Norden gegründet – und sofort auf Wachstumskurs geschickt: Die Belegschaft soll bis 2027 von derzeit 133 auf bis zu 200 Köpfe wachsen. 140 Millionen Euro sind bereits in Umzüge und neue Anlagen geflossen. Weitere millionenschwere Ausbauten sind in dieser Dekade vorgesehen – wenn der sächsische Landtag dafür in den nächsten Jahren die avisierten Zuschüsse bereitstellt.

KI-Chips, Quantenprozessoren und Chiplets auf der Agenda

In der Startphase breitet sich das neue Forschungszentrum erst einmal im aufgegeben Elektronikpapier-Produktionsreinraum von „Plastic Logic“ an der Bartlake im Dresdner Norden aus, nahe den großen Chipfabriken von Bosch, Globalfoundries & Co. Dort werden Ingenieurinnen. Physiker, Elektronik-Spezialistinnen und anderen Experten an neuen Technologien für die Produktion und Endmontage neuer Hochleistungs-Chips und -Chiplets*, von Schaltkreisen für „Künstliche Intelligenz“ und Quantenprozessoren forschen.

CNT und Assid verschmelzen „Frontend“ und „Backend“

Das „Center Nanoelectronic Technologies“ (CNT) als einer der beiden Gründungspartner bringt seine Erfahrungen mit den Kernproduktionsschritten („Frontend“) von Highend-Chips ein. Das „All Silicon System Integration Dresden“ (Assid) wiederum gilt als Hochburg der Halbleiter-Endmontage („Backend“), der Kombination ganz verschiedener Schaltkreise zu „Chiplets“ und der 3D-Integration übereinander gestapelter Chip- und Waferebenen. Früher waren diese Teile der Wertschöpfungskette deutlich getrennt und waren oft auch auf verschiedene Kontinente verteilt. „Heute aber verschwimmen die Grenzen zwischen Frontend und Backend ohnehin“, sagte Martin Schneider-Ramelow, der das Assid-Mutterinstitut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) in Berlin leitet.

Harald Schenk. Foto: Fraunhofer-IPMS

Harald Schenk. Foto: Fraunhofer-IPMS

Cachs soll helfen, deutsche Technologiesouveränität zurückzugewinnen

Schon zur Gründungsfeier verteilten Forscher, Politiker und Vertreter aus der Halbleiterindustrie viele Vorschusslorbeeren für das neue Zentrum, das die Forschungslinien des CNT und des Assid kombiniert: „Das ist ein wichtiger neuer Schritt für den Mikroelektronik-Standort Sachsen“, betonte Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer zum Auftakt. Eine „neue Ära“ der Halbleiter-Forschung im „Silicon Saxony“ prophezeien die beiden Cachs-Chefinnen Wenke Weinreich und Manuela Junhähnel damit nahen.

Hubert Lakner. Foto: Fraunhofer-IPMS

Hubert Lakner. Foto: Fraunhofer-IPMS

Und Hubert Lakner, der als langjähriger Leiter des Fraunhofer-Photonikinstituts IPMS in Dresden die Gründung des neuen Zentrums wesentlich mitinitiiert hatte, spricht gar von einer Metamorphose: hin zu einem Forschungszentrum, das auf 300 Millimeter großen Siliziumscheiben (Wafern) nahezu die gesamte Prozesskette von der ersten Wafer-Beschichtung bis hin zum durchkontaktierten Prototypen und zur Teststrecke abdecken kann. Weitere Schwerpunkte neben den 300-mm-Fertigungstechnologien werden Hochleistungs-Chiplets und Niedrigenergie-Schaltkreise sein. Lakners Kollege Harald Schenk sieht im Cachs einen „entscheidenden Baustein, damit Deutschland in diesen Sektoren Technologiesouveränität zurückgewinnt“.

Manfred Horstmann ist seit Oktober 2020 Geschäftsführer von Globalfoundries Dresden. Foto: GF Dresden

Manfred Horstmann ist seit Oktober 2020 Geschäftsführer von Globalfoundries Dresden. Foto: GF Dresden

Glofo-Dresden-Chef Horstmann sieht „hervorragende Wachstumschancen“

Auch das Interesse aus der sächsischen Halbleiterindustrie ist groß, dass das Cachs zu einem Erfolgsmodell wird – und bald womöglich in einer ähnlichen Liga agiert wie die Mikroelektronik-Großforschungzentren Leti in Frankreich und Imac in Belgien. „Die Corona-Pandemie hat in Deutschland die Defizite in der Digitalisierung und beim mobilen Arbeiten offengelegt“, erklärte CNT-Großkunde Manfred Horstmann, der das Dresdner Chipwerk von Globalfoundries leitet. Auch die Trends hin zu Elektroautos und erneuerbaren Energiequellen würden die Halbleiternachfrage enorm anheizen. „Unsere Wachstumschancen sind hervorragend und planen, unsere Kapazitäten auszubauen. Dafür brauchen wir die hier konzentrierte Innovationskraft von Fraunhofer.“

Blick in den CNT-Reinraum. Foto: Fraunhofer-IPMS

Blick in den CNT-Reinraum. Foto: Fraunhofer-IPMS

Neues Zentrum ist zunächst „nur“ eine Dachmarke

Das wiederum befeuert die Ausbaupläne für das eben erst gegründete Cachs. Fraunhofer geht dabei aber einen modularen Weg und macht jede Expansionsstufe eben auch von Industrienachfrage und Landessubventionen abhängig. Die konkrete Konstruktion: Formal bleibt mit seinen derzeit 93 Mitarbeitern das CNT eine Abteilung des IPMS und das 40-köpfige Assid gehört weiter zum IZM. Beide zusammen betreiben aber ab sofort im rund 4000 Quadratmeter großen Reinraum der stillgelegten Plastic-Logic-Fabrik das „Cachs“ als Dacheinrichtung. Dort bearbeiten sie gemeinsam komplexe Entwicklungsprojekte, die sowohl Frontend- wie auch Backend-Prozesse erfordern. Außerdem wollen sie hier mit anderen einschlägigen Fraunhofer-Verbünden wie der „Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland“ (FMD) und dem Mikro-Nanoelektronik-Leistungszentrum Dresden kooperieren. Ob das langfristig dazu führt, dass CNT und Assid letztlich zu einem selbstständigen Cachs verschmelzen, bleibt abzuwarten.

Infineon brauchte Platz selbst: CNT musste ohnehin umziehen

Das CNT selbst ist übrigens vollständig in den Reinraum an der Bartlake umgezogen. Denn der frühere Vermieter „Infineon“ braucht inzwischen den lange vom CNT genutzten Reinraum in Dresden-Klotzsche für einen eigenen Fabrikausbau. Daher hatte Fraunhofer 2020/2021 die stillgelegte Plastic-Logic-Fabrik umgebaut und sowohl neue wie auch seine alten Ausrüstungen dorthin verlagert. Dieser Umzug ist nun abgeschlossen und hat auch den größten Teil der 140 Millionen Euro verschlungen, die der Freistaat und die Fraunhofer-Gesellschaft bisher bereit gestellt hatten. Ein Teil des Geldes fließt zudem in einen Büroneubau an der früheren Elektronikpapier-Fabrik. Mittlerweile belegt das CNT reichlich zwei Drittel der Reinraumfläche. Die restlichen 1300 Quadratmeter will das Assid mit eigenen neuen Ausrüstungen in Beschlag nehmen, sobald der sächsische Landtag dafür Geld herausrückt. Parallel dazu will das Assid aber wegen der vielen Industrieaufträge auch seinen angestammten kleineren Reinraum in Boxdorf nahe Dresden behalten. Die nächste Ausbaustufe will Fraunhofer – auch wieder zuschussabhängig – 2025 zünden und dann ein weiteres Bürogebäude unter dem Arbeitsnamen „Assid 2“ an der Bartlake bauen lassen. Für die anteiligen Assid-Projekte kalkuliert Manuela Junghähnel mit etwa 45 Millionen Euro Kosten.

Ab 2027 soll auch der Reinraum wachsen – wenn Chipgesetz-Gelder fließen

Ab 2027 soll aber eine noch größere Ausbauphase starten: Wenn Finanzierung und Industrienachfrage passen, will das Cachs-Führungsduo Wenke Weinreich und Manuela Junghähnel dann auch den Reinraum vergrößern, die Laborflächen erweitern und weitere Büros errichten. Die dafür benötigten Flächen hat sich Fraunhofer bereits von der Stadt Dresden gesichert. Wieviel diese Expansionsstufe kostet, ist noch nicht durchgerechnet. Sie dürfte aber sicher einen dreistelligen Millionenbetrag verschlingen. Um das zu stemmen, hoffen die Chefinnen auf Geld aus Brüssel – im Zuge des Europäischen Chipgesetzes, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) jüngst verkündet hat. Spiritus rector Hubert Lakner ist sich jedenfalls sicher: „Hier ist Platz genug für weitere Metamorphosen.“

* Chiplets gelten als einer der ganz großen Trends in der Branche: Sie kombinieren auf kleinstem Raum mehrere Schaltkreise ganz unterschiedlicher Größen, Funktionen und Strukturgenerationen, die auch in unterschiedlichen Fabriken hergestellt werden können, statt mit hohem Kosten- und Technologieaufwand all diese Funktionen auf einem einzigen großen Chip integrieren zu wollen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Besuch, FHG, Assid, CNT, Landesregierung, Globalfoundries, IZM, IPMS, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt