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Spalten Volksabstimmungen die Gesellschaft?

Juniorprofessor Arndt Leininger lehrt und forscht an der TU Chemnitz. Foto/Montage: privat/Jacob Müller für die TUC

Juniorprofessor Arndt Leininger lehrt und forscht an der TU Chemnitz. Foto/Montage: privat/Jacob Müller für die TUC

Politologe Arndt Leininger baut an der TU Chemnitz eine Forschungsgruppe für Polarisations-Effekte auf

Chemnitz, 31. Mai 2022: Polarisieren Volksabstimmungen die Gesellschaft in wachsendem Maße? Oder macht die direkte Demokratie nur Gräben sichtbar, die längst über Parteigrenzen hinweg in der Bevölkerung für Spannungen sorgen? Diese und verwandte Fragen will der Juniorprofessor Arndt Leininger von der TU Chemnitz in den nächsten Jahren zu beantworten versuchen. Dafür bekommt er bis Ende 2028 zu 600.000 Euro aus dem Emmy-Noether-Programms der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ (DFG). Das hat die Chemnitzer Uni nun mitgeteilt, an der der Politologe die Juniorprofessur für politische Forschungsmethoden leitet.

Forscher: Frage steht nicht erst seit dem Brexit

„Nicht erst seit dem Brexit-Referendum im Vereinigten Königreich stellt sich die Frage, welche Bedeutung die zunehmende Nutzung von Referenden auf nationaler und subnationaler Ebene für die politische Polarisierung in etablierten Demokratien hat“, meint Arndt Leininger. Er will nun mit dem DFG-Geld eine eigene Forschungsgruppe aufbauen. Die soll untersuchen, ob Referenden neue Spaltungen entlang politischer Streitfragen innerhalb einer Gesellschaft schaffen oder lediglich bestehende Spaltungen offenlegen.

Gründer der BRD stellten direkte Demokratie hintenan

Volksentscheide auf Bundesebene sind in Deutschland nur in Gebietsfragen zulässig: Aus den Erfahrungen der Weimarer Republik und der NS-Zeit heraus hatten die Verfasser des Grundgesetzes solche Instrumente der direkten Demokratie weit hintenan gestellt. In den Bundesländern und in Kommunen sind dagegen Bürgerbegehren und Volksentscheide möglich. Bei unseren Nachbarn in der Schweiz sind Volksabstimmungen sogar ein recht zentraler Baustein der Demokratie. Auch in anderen Ländern sind Plebiszite zugelassen. Das wohl prominenteste Beispiel war in den vergangenen Jahren der Brexit, der Austritt Großbritanniens aus der EU. Dort war das Parlament zwar nicht an das Votum der Bürger gebunden, aber die Abgeordneten folgten in der Praxis dem Abstimmungsergebnis.

In der DDR bloßes Herrschaftsinstrument

In der DDR waren Volksentscheide möglich. Die SED beziehungsweise vorher die KPD setzte solche Abstimmungen ein, um ihre Herrschaft aufzubauen, zu stärken und zu legitimieren. Unter anderem gab es nach dem Krieg eine Volksabstimmung in Sachsen über Enteignungen, in der Ulbricht-Ära dann eine DDR-weite Abstimmung über eine neue sozialistische Verfassung.

Furcht vor Populisten und Bonapartisten

Verfechter von partei-orientierten Demokratiemodellen befürchten, dass Volksabstimmungen vor allem Populisten, Bonapartisten und Diktatoren in spe Vorschub leisten könnten. Sie verweisen auf die Volkstribunen und Triumviren der untergehenden römischen Republik, auf Napoleon Bonaparte, Adolf Hitler und viele andere Diktatoren der Menschheitsgeschichte, die sich unter Umgehung der Parlamente immer wieder auf Volksabstimmungen gestützt haben. Anderseits ist gerade auch in Deutschland unübersehbar, dass die alten Parteibindungen über Familiengenerationen hinweg erodieren. Zudem sind hier in jüngster Zeit viele Bewegungen ins Rampenlicht gerückt, die sich selbst deutlich außerhalb des etablierten Parteienspektrums zu positionieren versuchen. Insofern steht auch hier das parteizentrierte Demokratiemodell unter Druck.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: TUC, Oiger-Archiv, Wikipedia

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt