Kunst & Kultur, News, zAufi

Kunst statt Jägerschnitzel: Robotron-Kantine Dresden wieder geöffnet

Šejla Kamerić: PAPILLONS D’EIDOMENE, 2018, Foto: Šejla Kamerić - Farbfotografie mit Text auf Papier

Šejla Kamerić: PAPILLONS D’EIDOMENE, 2018, Foto: Šejla Kamerić
– Farbfotografie mit Text auf Papier

Zum Auftakt stellt die bosnische Künstlerin Šejla Kamerić in der ehemaligen Betriebsgaststätte des DDR-Computercombinats ihre Werke aus

Dresden, 15. April 2022. Längst ist das alte Computerkombinat Robotron Geschichte – doch jüngst erst herrschte in dessen ehemaliger Kantine mehr Leben als im nahe gelegenen Skaterpark in der Lingnerallee. Grund: Die Stadt hat die Robotron-Kantine wiedereröffnet, allerdings nicht als kulinarisches, sondern kulturelles Haus. Sie soll ab sofort und künftig zu einem Ort des künstlerischen Dialogs werden.

Kleinod im Herzen der Stadt

„Ein großes und einmaliges Kleinod im Herzen von Dresden“ sei die Kantine, betonte Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Die Linke) zum Auftakt. Jetzt habe das Gebäude eine neue Zukunft bekommen.

Installationen, Videos und Fotos widmen sich Krieg, Konsum und Migration

„Burn by staying cool“ heißt die erste Einzelausstellung der international anerkannten bosnischen Künstlerin Šejla Kamerić. Ihre künstlerischen Arbeiten widmen sich aktuellen Fragen der menschlichen Existenz; den Themen Krieg, Migration, Konsumkultur, Nachhaltigkeit und mediale Bilderflut. Verloren, und doch wie in ein stilles Gespräch vertieft, präsentieren sich ihre 22 Installationen und andere Werke im weitläufigen Areal der Robotron-Kantine. Im großen Saal A kommunizieren die Installationen „Present is past“, „Care“ und „The party is over“ miteinander. Und im Saal B bleibt man erschüttert und nachdenklich vor den künstlerischen Arbeiten „If i sleep it will be double“, „Endlosersommer“ und „Past is present“ stehen.

Schnulze wird zur Hymne der Hoffnung

Die 23. und den Rundgang beschließende künstlerische Arbeit heißt „Dezember – Mai“, eine Soundinstallation, die zum Hinhören und Verweilen einlädt. Eine deutsche „Schnulze“ aus längst vergangenen Tagen (mit melancholisch flehender Stimme von Djula May Mujanovic gesungen) wird zu einer Hymne der Hoffnung: „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei. Auf jeden Dezember folgt wieder ein Mai“.

Foto von Šejla Kamerić im Screenprint Studio, Foto: Ennis Ćehić

Foto von Šejla Kamerić im Screenprint Studio, Foto: Ennis Ćehić

Teil der Arbeiten entstand extra für die Robotron-Kantine

Die Künstlerin hinter der Ausstellung, Šejla Kamerić, wurde 1976 im damaligen Jugoslawien geboren. Sie lebt und arbeitet zwischen Sarajewo, Istrien und Berlin. Ihre nun in der Ausstellung präsentierten Arbeiten sind sowohl Neuproduktionen für die Robotron-Kantine als auch Leihgaben der Galerie Tanja Wagner aus Berlin. Ein Team des Kunsthauses Dresden unter Leitung von Christiane Mennicke Schwarz hat die Exposition kuratiert. Bis zum Oktober 2022 sollen drei weitere Ausstellungen in der Kantine folgen.

Die Robotron-Kantine in Dresden. Foto: Marco Dziallas, ostmodern.org

Die Robotron-Kantine in Dresden. Foto: Marco Dziallas, ostmodern.org

Einst Betriebsgaststätte, dann Disko, Yoga-Studio – und nun Kunsthaus

Wie der Zweckbau aus DDR-Zeiten künftig zu nutzen oder ob gar ein Abriss angeraten sei, darüber gab es lange Streit in der Stadt. Das Gebäude entstand 1968 und 1974 nach Entwürfen des Architektenkollektivs Herbert Zimmer, Peter Schramm und Siegfried Thiel in der Innenstadt, in Sichtweite zum Rathaus. Die „Betriebsgaststätte“ für das damals noch junge Computerkombinat hatte eine Küche, zwei Speisesäle und Platz für bis zu 800 Menschen.

Nach dem Ende der DDR wickelte die Treuhand das Betriebskonglommerat Robotron ab. Danach mutierte die Kantine zeitweise zur Disko, Yoga-Studio und Lager. Ab 2016 stand das Haus leer und verfiel langsam. Der neue Eigentümer wollte die Kantine abreißen. Dagegen regte sich aber Widerstand – vor allem von jenen, die das Gebäude als Zeugnis der Ostmoderne und des einst so dominierenden Riesenunternehmens Robotron in der Innenstadt erhalten wollten. „Die ehemalige Robotron-Kantine als typischer Pavillonbau der siebziger Jahre mit ihrer umlaufenden Terrasse und ihrer auf Funktionalität und Transparenz angelegten Offenheit steht in ihrer einmaligen stadträumlichen Lage und ihrer historischen Bausubstanz für ein Potential, das heute in kaum einer Innenstadtlage in einer europäischen Stadt mehr zu finden ist“, argumentierte beispielsweise Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, in einer Stellungnahme für den Erhalt 2018.

2019 beschloss der Stadtrat, die Kantine zu erhalten und für Gegenwartskunst zu nutzen. Die Exposition mit den Werken von Šejla Kamerić ist insofern nur eine erste von vier Ausstellungen, die für 2022 in der Robotron-Kantine geplant sind.

Kurzinfos zur Ausstellung

Die Kamerić-Ausstellung „Burn by Staying Cool“ ist vom 8. April bis zum 29. Mai 2022 zu sehen. Sie hat mittwochs bis freitags von 16 bis 19 Uhr sowie samstags und sonntags von 12 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Autoren: Heinz Freiberg und Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Besuch, LHD, Städtische Museen Dresden, ostmodern.org

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt