Was als Notpraline begann, ist längst ein sächsischer Verkaufsschlager
Dresden, 24. Dezember 2021. Etwas Lebkuchen, Fruchtgelees, Marzipan und Schokolade darüber im Quadrat: Vor 85 Jahren erfand der Dresdner Chocolatier Herbert Wendler (1912-1998) dem Domino-Stein – einen kleinen Lebkuchen-Würfel als „Praline des kleinen Mannes“, die auch den Westen eroberte und nicht nur in der DDR ganz groß herauskam. Bis heute verkauft das Dresdner Unternehmen „Dr. Quendt“, dessen Wurzeln unter anderem auch auf Wendlers Kreationen zurückreichen, diese sächsische Spezialität in allerlei Variationen in alle Welt.
Schokolade war nach I. Weltkrieg Mangelware
Der Dominiostein-Erfinder selbst kannte die Zeit, in der Entbehrungen den Alltag bestimmten und Pralinen noch etwas ganz Besonderes waren, aus eigener Anschauung: 1912 geboren, musste Herbert Wendler als Kind des 1. Weltkriegs viele Entbehrungen hinnehmen. Er durchlebte eine Zeit, die vor allem von Elend und Not geprägt war und in der Schokolade als Luxusprodukt galt. Im 1. Weltkrieg wurde unter anderem die Einfuhr von Rohkakao verboten und Zucker rationiert, um den Abfluss von Devisen zu senken. Schokolade war Mangelware.
Dresden galt lange als Süßwaren-Hochburg im Reich
Seine Jugend verbrachte Wendler jedoch in den Goldenen 20er Jahren, die industrielle Entwicklung und Wohlstand mit sich brachten. Eine Zeit des Aufbruchs; auch Schokolade erlebte einen Boom. Von 1914 bis 1925 verdoppelte sich die Anzahl der deutschen Schokoladenhersteller auf insgesamt 350. Die Schokoladenproduktion hatte in Dresden schon eine lange Tradition: 1823 wurde in Dresden die Milchschokolade erfunden. Es folgten die Wirren der Weltwirtschaftskrise.
1933 fasste der gerade mal 21-jährige Wendler neuen Mut und gründete seine Pralinenmanufaktur, nachdem er bei „Riedel & Engelmann“ in Dresden seine Lehre abgeschlossen hatte. 1935 wendete sich das Blatt: Der „Verband der Schokoladenfabrikanten“ wurde von der „Wirtschaftlichen Vereinigung der Süßwarenindustrie“ abgelöst, die kurz darauf Richtlinien zur Herstellung von Pflichtmengen für das Deutsche Reich herausgab und die Rohstoff-Kontingente kontrollierte. Auch diese Umstände prägten sein unternehmerisches und kreatives Schaffen.
Preiswerte Praline diente auch als Soldaten-Proviant
Mit dem Dominostein erfand Wendler seine preiswerte Praline, ein vollkommen neues Produkt, das in Massenproduktion günstig, aber dennoch hochwertig und genussreich hergestellt werden konnte. Die Zeiten des 2. Weltkriegs waren kritisch, sie brachten dem Dresdner Dominostein nicht nur den Namen „Not- oder Kriegspraline“ ein. Sie machten ihn auch über die Stadtgrenzen hinaus berühmt, auch wohl dadurch gestärkt, dass sie als Proviant für die Soldaten dienten.
Dominosteine im Deli
Bis zur Zerstörung 1945 befand sich der Wendler-Firmensitz in der Rosenstraße 39, später in Radebeul. 1952 zog Wendler in das ehemalige Ballhaus Alberthöhe in der Max-Hünig-Straße in Klotzsche um. Ab 1953 produzierte sein Unternehmen als „Süßwarenfabrik Herbert Wendler KG“ fleißig weiter Dominosteine.
Nachdem Erich Honecker seinen Vorgänger Walter Ulbricht an der SED-Spitze abgelöst, begann eine neue Verstaatlichungswelle, der auch Wendlers Unternehmen 1972 zum Opfer fiel. Dies galt ebenso für die Backwarenfabrik „Berger & Böhme“ (BERBÖ), die im gleichen Jahr in den volkseigenen Betrieb „VEB Rubro“ überging. 1974 gliederten die DDR-Wirtschaftslenker diesen Betrieb schließlich dem neu gegründeten „VEB Elite Dauerbackwaren“ in Dresden an. Bei BERBÖ und später in der VEB Rubro wurde auch das bekannte „Russisch Brot“ hergestellt. Dominosteine zählten damals dank Herbert Wendler zu den DDR-Exportschlagern, die es nur im Westen gegen D-Mark, im Intershop gegen Forumschecks oder mit viel Glück im so genannten „Deli“, dem exklusiven Delikatessenladen der DDR, zu hohen Ostmark-Preisen gab.
Quendt reüssierte mit Russisch-Brot-Maschine
Wendler führte die „VEB Elite Dauerbackwaren“ noch bis zur Wende weiter. In den 80er Jahren lernte er den Lebensmitteltechniker Dr. Hartmut Quendt von der TU Dresden kennen. Der entwickelte mit seinem Team im Auftrag der VEB Rubro eine Dauerbackanlage für „Russisch Brot“, um es in industriellen Stückzahlen produzieren zu können.
Nach der Wende gründeten beide jeweils eigene Unternehmen, um die sächsischen Spezialitäten, Standorte, Produktionsanlagen und Belegschaften zu retten. Zu diesem Zeitpunkt war Herbert Wendler bereits 80 Jahre alt. 1990 wurde ihm sein ehemaliges Eigentum, die Produktionsstätte in Klotzsche, zurück übertragen; 1996 musste sein Unternehmen aber leider Insolvenz anmelden.
Quendt übernahm nach Wendler-Pleite dessen Dominostein-Linie
Derweil gründete Dr. Hartmut Quendt mit 13 Mitarbeitern im Jahr 1991 die „Dr. Quendt Backwaren GmbH“, die ab 1994 in die Produktion von Dresdner Christstollen einstieg. Ab 1999 führte Quendt die Tradition der Dominostein-Produktion in Dresden fort, indem sie nach dem Konkurs der Wendler-Firma deren Produktion und Rezepturen übernahm. Im Jahr 2000 konzentrierte Quendt im neuen Werk in Dresden-Coschütz die Produktion von Dresdner Dominosteinen, Stollen und „Russisch Brot“ an einem Standort.
2014 Ãœbernahme durch Lambertz
Das Unternehmen geriet wirtschaftlich aber ins Schlingern. Quendt Junior, der den Betrieb inzwischen von seinem Vater übernommen hatte, hatte wachsende Probleme, die Zutaten für die Weihnachtssaison zu vorzufinanzieren. In der Folge übernahm 2014 die Aachener Lambertz-Gruppe, nationaler und internationaler Marktführer im Segment der Herbst- und Weihnachtsgebäcke, das Unternehmen Dr. Quendt.
Mit der Integration in diese Gruppe, die selbst Dominosteine produziert und auch Marktführer in diesem Segment ist, erlangte Dr. Quendt auch bundesweit mehr Bekanntheit. Die Marke Dr. Quendt blieb erhalten und wurde systematisch ausgebaut: Dr. Quendt-Produkte findet man heute in allen Vertriebsschienen des Lebensmittelhandels, zudem werden sie auch erfolg-reich exportiert.
Sauerkirschnote und etwas Mandelschoko machen den Quendt-Ton aus
Im Segment „Original Dresdner Christstollen“ ist Dr. Quendt mittlerweile deutscher Marktführer. Aber auch die originalen Dominosteine aus der Dresdner Produktion gehören zu den umsatzstärksten Produkten im Sortiment. Das liegt vor allem auch an ihrer besondere Güte, ihrem Original-Rezept und ihrer speziellen Herstellung. Die feinsten Marzipan-Dominosteine von Dr. Quendt werden weiterhin nur nach dem geheimen Originalrezept von Herbert Wendler hergestellt. Sie gehören zu den wenigen feinsten Dominosteine, die Sauerkirschsaft- statt Apfelgelee beinhalten. Sie enthalten zudem hohe Anteile an Marzipan, Gelees, Lebkuchenteig und Zartbitterschokolade. Eine weitere Besonderheit: Ihre Marzipanschicht hat einen intensiven Mandelgeschmack und eine leichte Bittermandelnote. Die Schokoladenkuvertüre mit ihrem hohen Kakaoanteil von mindestens 60 Prozent sorgt für einen kräftigen Schokoladengeschmack.
800 Millionen Dominosteine in einer Saison
Die originalen Dr. Quendt-Dominosteine sind heute im wahrsten Sinne des Wortes in aller Munde und stellen weiterhin bedeutende Produkt-Stars im Gesamtsortiment der Lambertz-Gruppe und im Markt dar – ein erfolgreicher Domino-Effekt, den Herbert Wendler 1936 pionierhaft angestoßen hat. Es begann mit einer einzigartigen Idee, die einen unglaublichen Zuspruch fand, weiterhin findet und längst weltrekord-verdächtig ist: In der Lambertz-Gruppe werden in der Saison rund 800 Millionen Dominosteine produziert.
Auch wirtschaftlich hat sich die Backfabrik im Dresdner Süden inzwischen gefangen: Das Unternehmen beschäftigt recht konstant rund 100 feste Mitarbeiter, in der Hochsaison kommen etwa ebenso viel Saisonarbeiterinnen und –arbeiter dazu. Im Geschäftsjahr 2020/2021 kam Dr. Quendt auf einen Gesamtumsatz von 23,2 Millionen Euro. Das waren 5,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein Grund dafür dürfte sein, dass Dominosteine, Russisch Brot, Dinkelchen und Stollen von Dr. Quendt in Sachsen traditionell einen guten Stand haben – und inzwischen auch breit vertrieben werden. Anderseits hatte Lambertz-Chef Hermann Bühlbecker bereits bei früheren Gelegenheiten darauf hingewiesen, dass sich die Menschen gerade in Krisenzeiten wie der Corona-Zeit besonders gern etwas Süßes als Trost gönnen.
Autoren: Martin Heinen (Lambertz) / hw
Quellen: Lambertz. Dr. Quendt, Oiger-Archiv
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