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Vom Wegsperren allein wird nichts besser

Umschlagbild von "Ein deutsches Gefängnis im 21. Jahrhundert", Notschriftenverlag

Umschlagbild von „Ein deutsches Gefängnis im 21. Jahrhundert“, Notschriftenverlag

Das Buch „Ein deutsches Gefängnis im 21. Jahrhundert“ bietet einen unverstellten Blick auf das Leben im Gefängnis

Dresden, 20. Dezember 2021. Weihnachten im Gefängnis ist bitter. Daran ändern auch die süßen Gaben nichts, die dann zeitgemäß durch das Brett, das ist die Luke an der Zellentür, gereicht werden. Da bleibt nur die Hoffnung auf einen genehmigten kurzen Ausgang in die Stadt, auf die Chance, endlich in den Offenen Vollzug zu kommen oder auf eine baldige, gar vorzeitige Entlassung. So etwas steht auf den Wunschzetteln, wenn man im Hammerweg 30 wohnt. Über das Leben, über den Alltag in dem Gefängnis im Dresdner Norden berichtet eine ganz besondere Zeitung: „Der Riegel“ ist die einzige deutsche Gefangenenzeitung, die unabhängig und unzensiert, und das seit über 20 Jahren, in der Justizvollzugsanstalt Dresden erscheint. Eine Auswahl der darin publizierten Geschichten ist im Buch „Ein deutsches Gefängnis im 21. Jahrhundert“ zu finden, das nun in 2. Auflage im radebeuler Notschriftenverlag erschienen ist.

„Resozialisierung – paradox“

  • Man sperrt mich ein, um mich auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten.
  • Man nimmt mir alles, um mich zu lehren, mit Dingen verantwortungsbewusst umzugehen.
  • Man reglementiert mich permanent, um mir zur Selbständigkeit zu verhelfen.
  • Man entfremdet mich Menschen, um mich ihnen näher zu bringen.
  • Man bricht mir das Rückgrat, um mir den Rücken zu stärken.
  • Man programmiert mich auf Anpassung, damit ich lerne, kritisch zu leben.
  • Man bringt mir Misstrauen entgegen, damit ich lerne zu vertrauen.
  • Man bricht vor meinen Augen die Gesetze, damit ich lerne, diese zu achten.
  • Man sagt: „Zeig deine Gefühle“, damit man mit ihnen spielen kann.
  • Man sagt: „Du bist resozialisiert“, wenn ich zu allem nur noch nicke.

Diese Gedanken von einem Gefangenen, dessen Stimme sonst kaum zu hören war, sind in dem Buch zu finden. Zehn Sätze, die treffen und betroffen machen, bei denen statt eines Punktes am Schluss auch jeweils ein Ausrufe- und Fragezeichen stehen könnte.

Friedrich Julius Hammer (1810-1862) um 1856. Foto: Hermann Krone, TUD, Repro: Wikimedia, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hermann_Krone_-_Schriftsteller_Julius_Hammer_(1856).jpg, Lizenz: Public Domain, https://creativecommons.org/publicdomain/mark/1.0/deed.de

Friedrich Julius Hammer (1810-1862) um 1856. Foto: Hermann Krone, TUD, Repro: Wikimedia, Lizenz: Public Domain

Der Hammer vom Hammerweg ist Dichter, kein Werkzeug

Das 7. und letzte Kapitel des vorliegenden „Knastbuches“ heißt: „Poesie und Satire“. UK (so das Kürzel des Autoren) wollte unbedingt herausfinden, ob sich hinter dem Namen Hammerweg mehr verbirgt als nur eine postalische Adresse. Er begann zu recherchieren und wurde fündig. Demnach ist der Hammerweg dem beinahe vergessenen Dresdner Dichter Friedrich Julius Hammer (1810 – 1862) gewidmet. Der hatte um das Jahr 1852 herum folgende Zeilen geschrieben:

„Ein Richter, der verdammt,

ist stark nur im Vernichten.

Des echten Richters Amt

ist, wieder aufzurichten.“

UK las diesen Vierzeiler und das Gedicht „Stör nicht den Traum der Kinder“ in einer Beratung der Riegelredaktion vor. Einige Zeit später standen ausgewählte Gedichte von F. J. Hammer in der Zeitung.

Stör’ nicht den Traum der Kinder

Stör’ nicht den Traum der Kinder,

Wenn eine Lust sie herzt;

Ihr Weh schmerzt sie nicht minder,

Als dich das deine schmerzt!

Es trägt wohl mancher Alte,

Deß Herz längst nicht mehr flammt,

Im Antlitz eine Falte,

Die aus der Kindheit stammt.

Leicht welkt die Blum’ eh’s Abend,

Weil achtlos du verwischt

Den Tropfen Tau, der labend

Am Morgen sie erfrischt.

Friedrich Julius Hammer (1810 – 1862)

Verein unterstützt Gefangene auf dem Weg zurück in die Zivilgesellschaft

Dass diese und weitere Recherchen und Geschichten wie diese durch Gefangene überhaupt möglich waren und auch publiziert werden konnten, ist nicht zuletzt einem institutionellen „Mentor“ im Hintergrund zu verdanken: dem „HAMMER WEG e. V. – Verein zur Förderung Strafgefangener und Haftentlassener“ Ulfrid Kleinert und Hanna Einenkel hatten diesen Verein vor 21 Jahren gegründet. Er hat seinen Sitz in der Justizvollzugsanstalt Dresden am Hammerweg 30. Seit seiner Gründung begleitet und unterstützt er Strafgefangene und Haftentlassene bei der Wiedereingliederung in das Leben in Freiheit. Zudem fördert er die vielfältige Arbeit ehrenamtlicher Mitarbeiter*innen im Strafvollzug durch Anleitung, Weiterbildung und Gedankenaustausch. Vorsitzender ist inzwischen der Jurist Hermann Jaekel.

Im Vordergrund des aktiven Ehrenamts stehen die Einzelbegleitung von Gefangenen und Haftentlassenen sowie verschiedene Gruppenangebote auf den Gebieten von Sport, Kultur und Bildung. Die Liste der angebotenen Möglichkeiten, Kurse und Workshops ist lang. Wichtigstes Ziel ist dabei die Wiedereingliederung straffällig gewordener Menschen und ihre schrittweise Resozialisierung. Denn vom Wegsperren allein wird nichts besser. In diesem Punkt sind sich alle einig. Dem Stigma „Einmal Knacki, immer Knacki!“ wird entschieden der Kampf angesagt. Es gilt, kriminelle Karrieren zu brechen, die Rückfallquote zu senken und gemeinsam mit den Inhaftierten nach Wegen in die Freiheit zu suchen.

Die Mitglieder des Vereins – darunter Wissenschaftler, Psychologen, Sozialarbeiter, Juristen, Pädagogen, Rechtsanwälte, Justizangestellte, Seelsorger, Künstler und Visionäre – helfen dabei. Sie sorgen mit viel Umsicht, Kreativität und Einfühlungsvermögen dafür, dass die Menschen „drinnen“ nicht den Kontakt nach „draußen“ verlieren; können gut Zuhören und nehmen die Gefangenen beim Ausgang an die Hand.

Gefangenenzeitungen sind meist „gefangene Zeitungen“

Und der Verein hat mit der erwähnten unzensierten Gefängniszeitung eine ganz spezielle Erfolgsgeschichte. Rund 50 Inhaftierte und eine Handvoll ehrenamtlicher Mitarbeitender haben in dieser Zeit mehr als 80 Ausgaben herausgebracht. Dr. Johannes Feest, der bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand Professor für Strafverfolgung, Strafvollzug und Strafrecht an der Universität Bremen war, äußerte sich auf einer Meißener Tagung – initiiert vom Verein HAMMER WEG – über diese Publikationen so: „Gefängniszeitungen stellen eine der stärksten Möglichkeiten der Mitsprache von Gefangenen im Strafvollzug dar.“ Er ließ aber auch keinen Zweifel daran, dass die meisten Gefangenenzeitungen „gefangene Zeitungen“ sind und unterschiedlichen Formen der Zensur unterliegen.

Kurzüberblick:

  • Titel: „Ein deutsches Gefängnis im 21. Jahrhundert – Redakteure der unzensierten Dresdner Gefangenenzeitung ,Der Riegel’ berichten“
  • Herausgeber: Ulfrid Kleinert / Lydia Hartwig
  • Verlag: Notschriften, Radebeul 2021
  • Umfang: 308 Seiten, mit Fotos von Lydia Hartwig
  • Preis: 13 Euro
  • ISBN  978-3-948935-14-6

Autor der Rezension: Heinz Freiberg

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt