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Fokus auf eigene „Clique“ bremst Corona stark aus

Wenn Ausgangssperren und andere staatliche Eingriffe die Kontakte zwischen Haushalten und ähnlichen eng abgezirkelten "Cliquen" unterbinden, kann sich Corona nur noch linear, nicht aber mehr exponentiell ausbreiten, hat eine Modellierung der TU Dresden ergeben. Gibt es andererseits zu viel zufällige Kontakte zwischen diesen Netzwerk-Clustern, gerät die Virusverbreitung außer Kontrolle. Grafik: Heiko Weckbrodt

Wenn Ausgangssperren und andere staatliche Eingriffe die Kontakte zwischen Haushalten und ähnlichen eng abgezirkelten „Cliquen“ unterbinden, kann sich Corona nur noch linear, nicht aber mehr exponentiell ausbreiten, hat eine Modellierung der TU Dresden ergeben. Gibt es andererseits zu viel zufällige Kontakte zwischen diesen Netzwerk-Clustern, gerät die Virusverbreitung außer Kontrolle. Grafik: Heiko Weckbrodt

TU Dresden: Überregionale Kontakte zwischen Cliquen lassen Seuche exponentiell wachsen

Dresden, 14. November 2021. Ausgangssperren, Geschäftsschließungen und ähnlich drastische staatliche Anti-Seuchen-Maßnahmen haben die Corona-Ausbreitung vor allem dadurch ausgebremst, indem sie eine „Cliquen-Konzentration“ gefördert, darüber hinaus gehende Kontakte zwischen den Menschen aber weitgehend zerschnitten haben. Das geht aus einer Studie des Zentrums für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen (ZIH) an der TU Dresden hervor. Die Forschungsgruppe unter Leitung von Professor Andreas Deutsch hat dafür Bevölkerungskontakte während und außerhalb von Corona-„Lockdowns“ mathematisch modelliert.

Bei Kontaktverboten zwischen Haushalten breitet sich Corona nur noch linear aus

Demnach haben „nicht-pharmazeutischen Interventionen“ (NPI) – also Eingriffe jenseits von Impfungen und Medikamenten – dafür gesorgt, dass sich das Corona-Virus nur noch linear ausbreiten konnte, nicht aber mehr mit exponentiell wachsender Geschwindigkeit. Möglich wurde dies, weil die Meisten während der Ausgangssperren meist nur noch innerhalb des eigenen Haushalts, des Kern-Arbeitsteams oder anderer eng begrenzter Menschengruppen Kontakte hatten, der Erreger aber kaum noch zwischen diesen Cliquen springen konnte.

Überlagernde Effekte: Sommer, Maskenpflicht, Mobilität

Laut der Deutung der Forscher hatte beispielsweise die „Aufhebung der Kontaktbeschränkungen in Deutschland nach dem 6. Juni 2020 die Krankheitsdynamik wieder in das exponentielle Regime zurückversetzt“. Dass es damals dennoch nicht gleich zu einem steilen Anstieg der Infiziertenzahlen kam, führen die Forscher auf mehrere Faktoren zurück:

  1. Es war Juni und damit wärmer als jetzt. Hier könnte man noch hinzufügen, dass die stärkere Ultraviolettstrahlung im Sommer das Virus womöglich eingedämmt hat.
  2. Die weiter bestehende Maskenpflicht im öffentlichen Raum habe die Zuwachsraten um rund 47 Prozent reduziert.
  3. Die Menschen reisten im Sommer und Herbst 2020 weniger als sonst um diese Zeit. Diese um 20 Prozent verringerte Mobilität habe die Zahl zufälliger Kontakte zwischen Cliquen weiter reduziert.

Zufällige Kontakte können zu Super-Verbreitungs-Ereignissen führen

Umgedreht seien gerade diese zufälligen Kontakte zwischen den „Netzwerkknoten“ – also den Cliquen – seien besonders starke Treiber für die Pandemie gewesen, betonen die Forscher und Forscherinnen. „Zufällige Kontakte überspannen im Übertragungsnetz oft eine große Distanz und verbinden unterschiedliche Cliquen“, argumentieren sie. „Dazu zählen beispielsweise Kontakte in öffentlichen Verkehrsmitteln, Bars und Restaurants, aber auch Kontakte zu weit entfernt wohnenden Verwandten. Darüber hinaus erhöht sich aufgrund der Natur zufälliger Kontakte die Wahrscheinlichkeit von Superspreading-Ereignissen, wenn eine hohe Dichte solcher zufälliger Kontakte vorliegt, da sie die Ausbreitung der Krankheit auf vollständig anfällige Cliquen ermöglichen.“

Forderung: Alle Kontakte zwischen Cliquen abbrechen

Ihre Folgerung: „Unsere Analyse zeigt, dass NPIs die effektive Reproduktionszahl auf eins reduzieren können, indem sie zufällige Kontakte eliminieren“, heißt es in der Studie „Inferring the effect of interventions on COVID-19 transmission networks“.

„Um die Krankheit zu eliminieren, müssen jedoch wahrscheinlich fast alle Kontakte zwischen verschiedenen Cliquen abgebrochen werden, beispielsweise durch Arbeiten von zu Hause aus.“

„Zusammenfassend sollten staatliche Interventionen auf zufällige Kontakte abzielen und die Menschen ermutigen, ihre Kontakte auf eine einzige Clique zu beschränken, um die Ausbreitung von Krankheiten effizient zu verhindern.“

Beteiligt an der Studie waren neben dem ZIH auch das Helmholtz Zentrum München, die Khalifa University in Abu Dhabi und das Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL).

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: TUD

Wissenschaftliche Publikation:

Simon Syga, Diana David-Rus, Yannik Schälte, Haralampos Hatzikirou und Andreas Deutsch: „Inferring the effect of interventions on COVID-19 transmission networks”, in: Scientific Reports 11, 2021, DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-021-01407-y

Kommentar: Cliquen können helfen, Eingesperrtsein zu ertragen

Das mag man auch als eine Bestätigung für bestimmte Lockerungsschritte während der „Lockdowns“ interpretieren: Waren zumindest in Sachsen zeitweise jegliche Kontakte jenseits der eigenen vier Wände verboten, erlaubte die Landesregierung dann Kontakte mit einzelnen Personen jenseits des eigenen Kernhaushaltes. Solange sich die Menschen dabei an feste Bezugspersonen wie etwa einen engen Freund oder nahe Verwandte hielten und nicht wechselnde Bekannte trafen, dürfte dies die Seuchenausbreitung kaum befördert haben, da wieder eine kleine feste „Clique“ entstanden war. Anderseits dürfte diese Regelung vielen Menschen – insbesondere Alleinstehenden – geholfen haben, die besonders restriktive Zeiten des Eingesperrtseins durchzustehen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt