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Augmentierter Professor steuert sein DJ-Pult mit Gedankenkraft

Prof. Bertolt Meyer mit seiner bionischen Hand, die er am DJ-Pult gegen einen Gedankenkontroll-Aufsatz austauscht. Foto (bearbeitet, freigestellt): Heiko Weckbrodt

Prof. Bertolt Meyer mit seiner bionischen Hand, die er am DJ-Pult gegen einen Gedankenkontroll-Aufsatz austauscht. Foto (bearbeitet, freigestellt): Heiko Weckbrodt

Bertolt Meyer hat mehr aus seiner Prothese gemacht – und steuert seine Synthesizer telepathisch

Chemnitz, 11. November 2021. Tagsüber ist er Professor an der TU Chemnitz, nachts aber verwandelt er sich in den Cyborg-DJ: Mit seiner augmentierten Prothesenhand kann Bertolt Meyer Synthesizer und andere Soundquellen mit der Kraft seiner Gedanken steuern. Dahinter steckt eine Technik, die man durchaus telepathisches Musizieren nennen mag.

Video (Heiko Weckbrodt): DJ-Performance mit Hunden:

Tagsüber lehrt er Arbeitspsychologie an der TU Chemnitz, nachts wird er zum Performancer

„Ich stelle mir dafür Bewegungen meiner Hand vor“, sagt Meyer, der hauptberuflich an der Technischen Universität in Chemnitz Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie lehrt. Die Mensch-Maschine-Schnittstelle seiner bionischen Hand übersetzt diese Impulse, die normalerweise eine Hand steuern, dann mithilfe eines speziellen Aufstecksystems in Frequenzmodulationen und letztlich Sound an seinen DJ-Pulten. Mit dieser Technik erzeugt Meyer in den Clubs und bei Sonderveranstaltungen aufwendige Performances, die an den Synthiepop der 1980er erinnern, transformiert in die Hör- und Sehstilistiken der 2020er. Jüngstes Beispiel: eine von zwei als Hunden verkleideten Performancern eskortierte Sound-Licht-Bewegungs-Vorstellung im Gunzenhauser-Museum Chemnitz zum Thema „Mensch, Maschine und die Gesellschaft der Zukunft“.

Selbstentwickelter Aufsatz leitet verstärkte Nervensignale an DJ-Pulte weiter

Bertolt Meyer wurde 1977 ohne linken Unterarm geboren, trug auch als Kind zunächst keine Prothese, als Jugendlicher dann einfache, eher leichte Modelle. Erst später legte er sich eine elaborierte Prothese zu, die ähnlich wie eine Roboterhand aussieht und funktioniert. Doch statt sich mit einem bloßen „Ersatz“ für eine biologische Hand zu begnügen, hat Meyer aus der Not eine Tugend – oder vielmehr Musik gemacht: „Ich habe mir überlegt, dass es eigentlich unsinnig ist, elektrische Signale erst in mechanische Bewegungen der Prothese zu übersetzen, nur um dann wieder elektrische Signale mit Drehreglern zu erzeugen“, erzählt er.

Prof. Bertolt Meyer und seine Hunde-Eskorte bei einer Performance im Museum Gunzenhauser in Chemnitz. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Bertolt Meyer und seine Hunde-Eskorte bei einer Performance im Museum Gunzenhauser in Chemnitz. Foto: Heiko Weckbrodt

So entwarf er für sein Armstumpf-Interface einen alternativen Aufsatz, über den er sich direkt mit seinem DJ-Systemen verkabeln und sie steuern kann. Die Schnittstelle verstärkt dafür jene nur wenige Millivolt schwachen Nervensignale, die bei anderen Menschen die Muskeln einer biologischen Hand steuern.

Elektronik für „Gedankenkontroll“-Aufsatz selbst zusammengelötet

Die Elektronik für den Prototypen habe er selbst zusammengelötet, sagt er, das Gehäuse zauberte sein Mann aus dem 3D-Drucker. Seither kann er zwischen seiner „Roboterhand“ und seinem DJ-Aufsatz hin und her wechseln – man fühlt sich bei dem Anblick an die Austausch-Haken von Film-Piratenkapitänen oder den „Shield“-Direktor Phil Coulson aus der gleichnamigen Streaming-Serie erinnert.

Augmentierung statt bloßer Ersatz

Möglich wird damit die zumindest teilweise gedankliche Steuerung von technischen Anlagen, wie es andere DJs eben nicht vermögen. Meyer hat die Prothetik gewissermaßen genutzt, um nicht nur ähnliches, sondern mehr vollbringen zu können als andere Menschen. Insofern ist es nicht abwegig, hier von einer Erweiterung, eine „Augmentierung“ der menschlichen Natur zu sprechen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: Auskünfte B. Meyer, TUC

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt