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Roboter wird zum Qualitäts-Inspektor

Voransicht des Robospector. Abb.: Siemens WKC

Voransicht des Robospector. Abb.: Siemens WKC

Sächsische Unternehmen entwickeln gemeinsam einen mobilen „Robospector“

Dresden/Chemnitz, 23. September 2021. Damit Industriebetriebe Roboter künftig flexibler in der Qualitätskontrolle einsetzen können, haben sächsische Technologie-Unternehmen gemeinsam einen „Robospector“ entwickelt. Dabei handelt es sich um eine fahrende Roboterzelle mit Leichtbauroboter, Kameras, eigener Stromversorgung und künstlicher Intelligenz, die sich schnell von einer Produktionslinie zur anderen verschieben lässt.

Anlernen ohne Roboterprogrammierer

Am jeweils neuen Einsatzort zum Beispiel in einer Automontage, Klebestation oder Fügeprüfung lernen die menschlichen Qualitätsprüfer des Betriebes den Roboter an. Dafür müssen sich keine einzige Programmzeile schreiben, wie die Entwicklungspartner betonen. Danach übernimmt der stählerne Kollege die Qualitätskontrolle an den Bauteilen.

Soe etwa sieht das komplette "Robospector"-System nach dem Aufbau mit Roboter, Kamera, Tisch, Monitor und PC für die Voranalyse der Bilder aus. Grafik: Robotron

Soe etwa sieht das komplette „Robospector“-System nach dem Aufbau mit Roboter, Kamera, Tisch, Monitor und PC für die Voranalyse der Bilder aus. Grafik: Robotron

Fahrbare Roboterzelle überall im Werk verschiebbar

„Damit können Unternehmen extrem agil neue Qualitäts- und Konformitätsinspektionen in ihre Fertigungslinien integrieren, ihre Roboter ohne Programmierkenntnisse anlernen und flexibel überall im Werk einsetzen“, betont Michael Baling vom Dresdner Softwareunternehmen „Robotron“, das den Robospector gemeinsam mit Wandelbots, dem Siemens-Werk für Kombinationstechnik in Chemnitz“ (WKC), 3D Vision Labs Chemnitz und Microsoft entwickelt hat. Wandelbots-Geschäftsentwickler Patrick Grosa ergänzt: „Mit diesem System können Ingenieure und Techniker für ihre Prozesse rasch für neue, insbesondere temporäre, Einsatzmöglichkeiten von Industrieroboter nutzen, ohne dabei auf die Automatisierungs- oder Robotikexperten angewiesen zu sein.“

Ursprungslösung entstand im BMW-Werk Dingolfing

Ausgangspunkt war ein gemeinsames Projekt der Partner für die Elektroauto-Fabrik von BMW in Dingolfing. Konkret wollte der Autokonzern eine elegante und automatische Lösung für Qualitätskontrolle in der Elektromotor-Produktion. Dabei setzte Wandelbots sein programmierfreies Anlernsystem ein: Dabei macht ein Mensch mit einem „Tracepen“ genannten Sensorstift dem Roboter vor, wie er seinen Kamerakopf führen muss, um zum Beispiel die von einem anderen Roboter gezogenen Silikonraupen am Elektromotor von allen Seiten richtig begutachten zu können. In seiner Anlernphase schoss der Roboter zahlreiche Fotos von Silikonnähten. Mitarbeiter von BMW und Robotron trainierten mit dieser Bilderflut dann eine „Künstliche Intelligenz“ (KI) im Hintergrund, Qualitätsarbeit von Ausschuss zu unterscheiden. Danach konnte der Roboter die Qualitätskontrolle übernehmen – wobei die KI einen Teil der Bildanalyse gleich vor Ort erledigt, die kniffligeren Entscheidungen aber einer mächtigeren KI in Microsofts Rechnerwolke „Azure“ überlässt.

Ein Wandelbots-Mitarbeiter macht dem Leichtbau-Roboter im Hintergrund mit einem "Tracepen"-Sensorstift eine neue Aufgabe an einer Scheibe vor. Foto: Wandelbots

Ein Wandelbots-Mitarbeiter macht dem Leichtbau-Roboter im Hintergrund mit einem „Tracepen“-Sensorstift eine neue Aufgabe an einer Scheibe vor. Foto: Wandelbots

Lernzeit um Faktor 15 verkürzt

Laut Wandelbots hat sich durch den Einsatz der neuen Anlerntechnologien die Zeit, bis der Roboter für die Qualitätskontrolle einsetzbar war, gegenüber herkömmlichen Lösungen um den Faktor 15 auf unter 60 Stunden verkürzt. BMW habe dadurch 30 Prozent der sonst üblichen Kosten gespart.

Gemeinschaftsentwicklung in Sachsen

Bei einer Analyse der Arbeitsabläufe bei BMW stellte sich heraus, dass es mindestens 250 weitere Orte in der Produktion gab, an der diese innovative Robotik-Lösung von Nutzen wäre. Daraufhin entwickelten die Projektpartner den Robospector, der einmal gefundene Lösungen für Automatisierungslücken immer und immer wieder aus der Rechnerwolke kopieren kann – von Fabrikstandort zu Fabrikstandort. Dabei steuerte Wandelbots seine Anlernlösungen bei, Robotron die Bilderkennungs und –analyse sowie Teile des KI-Modells, Microsoft dockte seine „Azure“-KI-Lösungen an, Siemens Chemnitz baute die Zelle, die Spezialkameras kamen von „3D Vision Labs“ in Chemnitz. Und die Projektpartner hoffen, dass der „Robospector“ bald zu einem beliebten Serienprodukt wird, mit dem nicht nur große Autokonzerne, sondern auch Mittelständler ihre Automatisierungslücken schließen. „Aus der Industrie gibt es schon viele Anfragen, besonders für den Einsatz in Kleinserien“, berichtet Robotron-Spezialist Baling. „Unser Ziel ist, aus Einzellösungen ein Komplettprodukt zu machen.“

Sachsen setzt immer öfter auf Schwarm-Entwicklung

In Sachsen beschäftigen sich mittlerweile über 330 Unternehmen, Institute und andere Akteure mit Robotik. Zu den Schwerpunkten des Standortes gehören neue Mensch-Maschine-Schnittstellen, die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) alias „Cobotics“ und die No-Code-Robotik. Wegen der eher kleinteiligen Wirtschaftsstruktur tun sich in Sachsen immer öfter mehrere Firmen aus teils ganz unterschiedlichen Branchen zusammen, um neue Hochtechnologie-Lösungen gemeinschaftlich zu entwickeln – so auch im Falle des Robospectors. Andere Beispiele für solche kollaborativen Entwicklungs-Projekte waren erst kürzlich ein elektronisches Ortungsgerät für Marathon-Läufer und eine KI-gestützte Lösung für die vorausschauende Wartung („Predictive Maintenance“) von Reinwasser-Ventilen in der Chipfabrik von Globalfoudries Dresden

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Wandelbots, Robotron, Microsoft

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt