Forscher aus Dresden und Wien simulieren Seuchen-Ausbreitung: „Testen & Nachverfolgen“ ist demnach beste Strategie
Dresden/Wien, 4. Juni 2021. Das Testen der Kontaktpersonen von Virus-Infizierten in Kombination mit rascher Nachverfolgung der Infektionsketten ist eine der wirksamsten Möglichkeiten, um Corona und ähnliche Epidemien auszubremsen. Das haben Forschungsgruppen aus Wien und Dresden herausgefunden. Dabei haben sie Flussdynamik-Simulationen eingesetzt, mit denen sie sonst eigentlich Turbulenzen in komplexen Rohrsystemen untersuchen.
Umgekehrt haben sie aber auch festgestellt: „Eine kleine Erhöhung der Infektionsparameter kann nach einer sehr schwachen Ausbreitung plötzlich zu einer Explosion der Fallzahlen führen, sobald die Testkapazitäten ausgeschöpft sind“, erklärte Prof. Marc Timme vom Zentrum für fortgeschrittene Elektronik Dresden (CFAED) – er ist an der TU Dresden auf die selbstorganisierte nichtlineare Dynamik vernetzter Systeme spezialisiert.
Flüssigkeits-Turbulenz-Simulationen auch auf Waldbrände und Seuchen übertragbar
Auslöser der Untersuchung war eine Absage: Der Physiker Prof. Björn Hof vom „Institute of Science and Technology Austria“ (IST Austria) wollte eigentlich Anfang 2020 nach Wuhan fliegen, musste diese China-Reise dann jedoch wegen Corona absagen. Eigentlich spezialisiert auf Flüssigkeiten und turbulente Strömungen, vertiefte er sich danach in die Pandemieforschung – und tat sich dafür auch mit dem CFAED in Sachsen zusammen. Was für Turbulenzen funktioniert, lässt sich auch auf Waldbrände und Epidemien anwenden, war Hof überzeugt und setzte seinen Computerexperten Dr. Burak Budanur auf das Problem an: Er sollte simulieren, welche Faktoren besonders dazu beitragen, ob sich Corona in einer Region verbreitet oder abflaut.
Soziale Distanzierung war nicht ausschlaggebend
Eigentlich hatten die Forscher erwartet, dass die Corona-Zahlen in ihrer Simulation in dem Maße sinken, wie die Regierung Ausgangssperren und ähnliche sozialen Distanzierungen anordnet. Doch dies erwies sich als Trugschluss. Erst, als die Wissenschaftler in ihrer Simulation die endlichen Ressourcen bei Testungen und Kontaktverfolgung berücksichtigten, ergab sich ein klares Bild: „Das Maximum der infizierten Personen nahm zunächst wie erwartet ab, brach dann aber plötzlich auf fast null zusammen, als die Eindämmung einen bestimmten Schwellenwert überschritt“, berichtet das CFAED. Und es gab auch nichts dazwischen: Entweder Corona breitete sich schlagartig aus oder nur minimal.
Superexponentielles Wachstum, weil Österreich in 2. Welle mit Testen nicht hinterherkam
Sobald die Test- und Nachverfolgungsressourcen in einer Region erschöpft waren, führte dies „unweigerlich zu einem superexponentiellen Anstieg der Infektionen“, erklärt dies Prof. Timme. Dies sei unter anderem während der zweiten Corona-Welle in Österreich zu passiert. Daraus folgert das internationale Forschungsteam, dass „eine frühzeitige und entschlossene Reaktion unerlässlich ist, wenn man mit einem exponentiellen Wachstum konfrontiert ist“.
Befunde decken sich mit erfolgreichen Strategien in Taiwan und Vietnam
Diese Befunde decken sich übrigens auch mit den Erfahrungen in vielen Ländern in Südostasien und Fernost. Taiwan oder Vietnam beispielsweise hatten– zumindest zeitweise – durch eine strikte Test- und Nachverfolgungsstrategie, aber auch durch Grenzschließungen, Mobilitätssperren und restriktive Quarantänen, Corona recht gut im Griff gehabt. Vietnam droht allerdings derzeit an seine Ressourcengrenzen zu geraten, auch wegen der neuen, ansteckenderen Corona-Mutationen.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quelle: CFAED, TUD, IST Austria, vietnam-oiger.de
Wissenschaftliche Publikation:
Davide Scarselli, Nazmi Burak Budanur, Marc Timme und Björn Hof: „Discontinuous epidemic transition due to limited testing”, Nature Communications, 2021. DOI: 10.1038/s41467-021-22725-9
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