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Virtuelle Haft im Geheimdienst-Knast

Begehbares Computermodell einer "Fuchsbau"-Haftzelle. In solche Zellen pferchten sowjetische Geheimdienst-Offiziere zumeist politische Gefangene. Bildschirmfoto (hw) aus: rundgang.stasihaft-dresden.de

Begehbares Computermodell einer „Fuchsbau“-Haftzelle. In solche Zellen pferchten sowjetische Geheimdienst-Offiziere zumeist politische Gefangene, hier durch halbtransparente 3D-Dummies dargestellt. Bildschirmfoto (hw) aus: rundgang.stasihaft-dresden.de

Dresdner Gedenkstätte bietet im Internet einen 3D-Rundgang durch den sowjetischen „Fuchsbau“ und die Stasi-U-Haft an

Dresden, 20. Mai 2021. „Die Luft in diesen Zellen war einfach unerträglich…“ Wer ansatzweise Gefühl dafür bekommen will, wie sich Häftlinge des sowjetischen Geheimdienstes oder der DDR-Stasi gefühlt haben, kann ab sofort einen virtuellen Rundgang durch die Zellentrakte in der früheren MfS-Bezirksverwaltung Dresden unternehmen. Ulrike Gärtner, Franz-Joseph Hille und Uljana Sieber von der „Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden“ haben dafür gemeinsam mit der Agentur „Ravir film“ einige Abschnitte des sogenannten „Fuchsbaus“ und der Stasi-U-Haft als 3D-Modell nachgebaut und mit Tonaufnahmen von Zeitzeugen angereichert.

Funktioniert an PC und Tablet gut, am Smartphones hakelt’s

Wer die Netz-Adresse rundgang.stasihaft-dresden.de besucht, kann diese düstere Welt nun daheim am PC oder Tablettrechner virtuell erwandern und erfahren. Mit dem Smartphone ist es uns im Test allerdings nicht gelungen, den Rundgang zu starten.

Blick in eine der Haftzellen im wiedergergestellten Zustand der 1950er Jahre im "Fuchsbau", der unterirdischen Haft der sowjetischen Militäradministration und Geheimdienste in Dresden an der Bautzner Straße. Foto: Heiko Weckbrodt

Foto von einer der Haftzellen im wiedergergestellten Zustand der 1950er Jahre im „Fuchsbau“, der unterirdischen Haftanstalt der sowjetischen Militäradministration und Geheimdienste in Dresden an der Bautzner Straße. Foto: Heiko Weckbrodt

Kartonfabrik wurde zum sowjetischen „Fuchsbau“ für politische Gefangene

Es empfiehlt sich, die Tour chronologisch in der Nachkriegszeit zu beginnen, als die sowjetische Militäradministration und ihre Geheimdienstoffiziere den ehemalige Kartonfabrik-Keller an der Bautzner Straße in Dresden als Übergangs-Gefängnis für politische Häftlinge nutzten. In sieben Etappen können die virtuellen Besucher hier die engen Zellen besichtigen, Zeitzeugenberichte von damals dort Eingesperrten anhören und sich auch – mit gewissen Freiheitsgraden – umschauen. „In den meist überbelegten Zellen waren in der Zeit von 1950 bis 1953 Tausende überwiegend politische Häftlinge unter widrigen Bedingungen untergebracht“, heißt es dazu von der Gedenkstätten-Leitung. „Sie wurden von der sowjetischen Geheimpolizei oft monatelang verhört und anschließend von einem Sowjetischen Militärtribunal zu langjährigen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt. Verwandte und Angehörige erfuhren erst nach Jahren über den Verbleib der Inhaftierten.“

Der rot markierte Bereich gehört zur früheren Stasi-U-Haft an der Bautzner Straße in Dresden. Grafik: "Erkenntnis durch Erinnerung" und Ravir-Film

Der rot markierte Bereich gehört zur früheren Stasi-U-Haft an der Bautzner Straße in Dresden. Grafik: „Erkenntnis durch Erinnerung“ und Ravir-Film

„Wir waren nur noch Zahlen“

Zwei weitere begehbare Abschnitte führen den Besuchern dann die Stasi-U-Haft vor Augen, die zwischen 1953 bis 1955 errichtet wurde, als die Russen den Standort ihren ostdeutschen „Waffenbrüdern“ übergeben hatten. 3D-Dummys und Texttafeln sollen beispielsweise das Verhältnis von Wächtern und Häftlingen verdeutlichen – laut den Dienstvorgaben „korrekt, aber ohne Mitgefühl“. Auch eine Zelle haben die Computerexperten im 3D-Modell nachgebaut und ebenfalls mit abrufbaren Zeitzeugen-Berichten ergänzt. „Wir hatten keine Namen mehr“, erinnert sich da beispielsweise Barbara Michael, die dort 1982 bis 1984 einsaß. „Wir waren nur noch Zahlen. Ich war die Nummer 2.“

Rund 10.000 Gefangene in 34 Jahren

Insgesamt umfasste das Stasi-Hafthaus 44 Zellen, berichten die Gedenkstätten-Experten. „In über 30 Jahren waren hier etwa 10.000 Menschen inhaftiert.“ Die meisten von ihnen waren nur vergleichsweise kurze Zeit hier, eben für die Untersuchungshaft, einige verbüßten hier aber auch Haftstrafen.

Uljana Sieber und Herbert Wagner im unausgebauten Teil des "Fuchsbaus". Foto: Heiko Weckbrodt

Das Archivfoto zeigt Uljana Sieber und Herbert Wagner im damals noch unrestaurierten Teil des „Fuchsbaus“. Foto: Heiko Weckbrodt

Während der politischen Wende in der DDR im Herbst 1990 stürmten Demonstranten die Dresdner Stasi-Bezirkszentrale, das war auch das Ende für die Haftanstalt. Inzwischen betreibt der Verein „Erkenntnis durch Erinnerung“ eine Gedenkstätte in der einstigen Geheimdienst-Bezirkszentrale. Seit heute (20. Mai 2021) ist die „Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden“ nach der Corona-Schließung auch wieder für Besucher nach vorheriger Anmeldung von Donnerstag bis Montag jeweils von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Nähere Infos dazu gibt es hier.

Gedenkstätte will 3D-Modell ausbauen

Hintergrund des neuen Angebots war die Corona-Krise: „Die Gedenkstätte Bautzner Straße war wie viele Museen während der Corona-Pandemie für Monate geschlossen und auf ihre digitale Präsenz zurückgeworfen“, erklärte Christine Bücher von der Gedenkstätte. Dies sei Auslöser für die Entwicklung einer 3D-Anwendung gewesen, um Besuchern einen virtuellen Besuch zu ermöglichen. Und dies wollen die Vereins-Mitglieder bald noch ausbauen: „Eine Erweiterung ist in nächster Zeit geplant“, informierte Bücher. „Zukünftig können auch originale Arbeitsräume der Mitarbeiter der Staatssicherheit, wie ein Vernehmungsraum oder das Büro des letzten Leiters der Staatssicherheit Dresden online erkundet werden.“

-> Hier geht es zum Rundgang durch den Stasi-Knast

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Erkenntnis durch Erinnerung, Oiger-Test des virtuellen Rundgangs, Oiger-Archiv

Zum Weiterlesen:

Der Fuchsbau: Dresdner Stasi-Zentrale wird als Gedenkstätte ausgebaut

Der Dresdner Stasi-General Böhm: ein Parteisoldat durch und durch

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt