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Mehr Kartoffeln unterm Solarkraftwerk: Sachsen testet Agro-Photovoltaik

Die Agrophotovoltaik-Anlage in Heggelbach am Bodensee. Foto: BayWa r.e.

Die Agrophotovoltaik-Anlage in Heggelbach am Bodensee. Foto: BayWa r.e.

Feldversuch am Lehrgut Köllitsch mit Solarmodulen, die Licht von oben und unten sammeln

Köllitsch/Freiberg, 29. April 2021. Normalerweise denkt man als Laie, dass unter Solarkraftwerken mangels Licht nichts wachsen kann. Doch Studien und Experimente der Uni Arizona, des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) und anderer Institute haben gezeigt: Die meist „Agrophotovoltaik“ genannte Kombination aus Agrarwirtschaft und Photovoltaik lässt Kartoffeln, Tomaten und Chilis sogar besser wachsen und schützt durch die Schatteneffekte der Solarmodule auch die Böden davor, zu stark auszutrocknen. Nun will das sächsische Umweltministerium auf dem staatlichen Lehrgut Köllitsch nahe Torgau einen eigenen Agrophotovoltaik-Feldversuch starten. Das hat der sächsische Umweltstaatssekretär Gerd Lippold (Bündnisgrüne) bei einem Besuch in der „Meyer Burger“-Solarmodulfabrik in Freiberg angekündigt. Im Fokus des Pilotprojektes soll demnach der Einsatz neuartiger „bifazialer“ („zweigesichtiger“) Solarmodule stehen, die Licht von oben und auch von unten her in Strom verwandeln können, und die „Meyer Burger“ ab Juni 2021 massenhaft im Freistaat produzieren will.

Staatssekretär Gerd Lippold. Foto: Pawel Sosnowski für das Smekul

Staatssekretär Gerd Lippold. Foto: Pawel Sosnowski für das Smekul

„Bifaziale Zellen“ sammeln Lichtenergie von oben und unten

„Bifaziale Zellen eigen sich gut für Ackersolarfelder mit aufgeständerten Modulen“, ist Lippold überzeugt. Denn im Schatten der Energiesammler verdunstet weniger Feuchtigkeit aus den Böden. Auch sind dadurch die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht nicht mehr so stark, hatten Experimente in den USA gezeigt. Ob das auch in Sachsen so funktioniert, sollen nun die Experten vom Lehr- und Versuchsgut Köllitsch ausprobieren.

Projektstart für Ende 2021 geplant

Das Projekt soll Ende 2021 starten, teilte Sprecher Robert Schimke vom Umweltministerium in Dresden mit. Derzeit seien die Fachleute mit Vorplanungen und einer Machbarkeitsstudie beschäftigt. „Größe und Umfang müssen noch festgelegt werden“, betonte er. Zudem sei das Experiment nur möglich, wenn der Landtag dafür Geld genehmige.

Infovideo über das Versuchtsgut
Köllitsch (Video: Freistaat Sachsen):

Das Wirtschaftsargument: „Meyer Burger“ will Sachsens Solarindustrie reanimieren

Der sächsische Versuch würde zwei aktuelle Trendthemen vereinen: Einerseits entwickeln immer mehr Hersteller bifaziale Solarzellen und -module, die Sonnenlicht nicht nur auf ihrer oberen Seite, sondern auch Streulicht von ihrer Unterseite sammeln und in Strom verwandeln können. Die entsprechenden Module von „Meyer Burger“ sind für die Umwelt- und Wirtschaftspolitiker in Dresden besonders interessant: weil sie als sehr ausbeutestark gelten – und weil der Schweizer Anlagenhersteller derzeit mit Millioneninvestitionen die stillgelegten Photovoltaik-Fabriken von Solarworld in Freiberg und von Q-Cells in Thalheim reaktiviert. Die Eidgenossen haben in diesem Zuge Tausende neue Jobs in Mitteldeutschland avisiert.

Der sächsische Umwelt- und Energieminister Wolfram Günther (rechts) und "Meyer Burger"-Chef Gunter Erfurt zeigen im Werk Freiberg Proben der neuen, hocheffizienten Heterojunction“-Solarzellen. Foto: Heiko Weckbrodt

Der sächsische Umwelt- und Energieminister Wolfram Günther (rechts) und „Meyer Burger“-Chef Gunter Erfurt zeigen im Werk Freiberg Proben der neuen bifazialen Heterojunction“-Solarzellen. Foto: Heiko Weckbrodt

Das Agrar- und Umweltargument: Fraunhofer-Bauern ernten im Modulschatten fast doppelt soviele Kartoffeln und erzeugen dabei Ökostrom

Andererseits setzen vor allem Umweltpolitiker große Hoffnungen in die junge Agrophotovoltaik. Denn wenn ganze Felder mit aufgeständerten Solarpaneelen bedeckt und dennoch darunter Kartoffel & Co. geerntet werden könnten, würde dies einige Probleme mit dem Flächenverbrauch von Photovoltaik-Kraftwerken und mit der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung entschärfen. Das Fraunhofer-ISE beispielsweise kam mit einem solchen Experimentalfeld am Bodensee auch auf höhere Erträge: Die Forschungsbauern ernteten unter der 0,3 Hektar großen Agrophotovoltaik-Versuchsanlage zwölf Prozent mehr Sellerie, drei Prozent mehr Winterweizen und sogar 86 Prozent mehr Kartoffeln. Beim Kleegras hingegen scheiterte das Konzept, hier sanken die Erträge um acht Prozent.

US-Forscher verdreifachen Chili-Ernte mit Agrophotovoltaik

Auch die Agrophotovoltaik-Feldversuchen der Universität Arizona hatten höhere Erträge für einige Gemüsearten nachgewiesen. Die Tomaten-Ernte habe sich im Schatten der Solarmodule verdoppelt, die Chili-Produktion sogar verdreifacht, berichtete das Team um den Forscher Greg Barron-Gafford 2019 in einem „Nature“-Artikel.

Klimapolitik: Technologie mindert womöglich auch Boden-Austrocknung in Hitzesommern

Abzuwarten bleibt indes, wie gut Agrophotovoltaik in weniger sonnigen mitteleuropäischen Gegenden funktioniert und welche Feldfrüchte sich dauerhaft damit vertragen. Falls sich aber solche Konzepte über das Nischenstadium hinausentwickeln sollten, könnten nicht nur die Betreiber, sondern auch die ganze Bürgerschaft mit dieser Technologie mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Agrophotovoltaik-Felder würden gleichzeitig Ökostrom und Lebensmittel liefern. Zudem gibt es Hinweise, dass solche Lösungen mancherorts und zumindest punktuell auch Klimawandel-Folgeschäden mindern könnten, indem sie verhindern, dass Böden in aufeinanderfolgenden Hitzesommern zu stark ausdürren.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Smekul, Meyer Burger, Oiger-Archiv, Fraunhofer-ISE, pv-magazine.de, Nature, Baywa-re

Zum Weiterlesen:

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt