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Denkfabrikant: Chip-Eurofoundry würde Steuermilliarden wohl nur verbrennen

Ein Mitarbeiter des Mikroelektronik-Forschungszentrums Imec im belgischen Löwen schaut sich prüfend einen 300-Millimeter-Wafer an. Falls eine Euro-Foundry gebaut wird, steht auch dieser Standort zur Debatte. Foto: Imec

Ein Mitarbeiter des Mikroelektronik-Forschungszentrums Imec im belgischen Löwen schaut sich prüfend einen 300-Millimeter-Wafer an. Falls eine Euro-Foundry gebaut wird, steht auch dieser Standort zur Debatte. Foto: Imec

„Vor uns liegt ein Marathon bis 2035, kein Sprint bis 2025“, meint auch Glofo

Berlin/Dresden, 9. April 2021. Der neue EU-Plan, in dieser Dekade einen riesigen Chip-Auftragsfertiger (Codename: Eurofoundry) für Mikroelektronik der allerneuesten Generation in Europa zu etablieren, ist nach Einschätzung des Analysten Jan-Peter Kleinhans von der Denkfabrik „Stiftung neue Verantwortung“ aus Berlin ein Irrweg. „Leider ist die Jagd nach der 2-nm-Fabrik ein vergebliches Unterfangen mit dem sehr realen Risiko, Milliarden von Euro an öffentlichen und privaten Geldern zu verschwenden“, schreibt Kleinhans in seinem Kurzaufsatz „Der Mangel an Halbleiterfertigung in Europa“.

Europas Industrien generieren zu wenig Nachfrage für Hochleistungs-Chips

Für eine solche Super-Fabrik sei vorerst kein funktionierendes Geschäftsmodell in Sicht, schätzt er ein. Denn in der europäischen Industrie gebe es auf absehbare Zeit gar nicht genug Bedarf für Hochleistungs-Chips der Strukturklasse zwei Nanometer in einer Menge, die eine Gigafab rechtfertigen würde. Ohnehin gibt es solche Halbleiter im Moment nur als Labormuster. Um sie künftig im Fabrikmaßstab massenhaft zu fertigen, müssten die EU und die europäische Wirtschaft erhebliche Ressourcen bewegen: Kapazitäten für Forschung, Ausrüstungsindustrie, Chipdesign und nicht nur zuletzt viel Kapital. Andererseits aber gebe es kaum einen Grund für US-Unternehmen oder Konzerne anderer Länder, ihren Halbleiter-Bedarf bei einer neuen Eurofoundry zu decken, warnt Kleinhans. Denn die meisten fabriklosen Elektronikfirmen haben bereits langjährige Geschäftsbeziehungen mit TSMC, Samsung, Intel, Globalfoundries oder anderen führenden Marktakteuren aufgebaut.

Vor allem die modernen 300-mm-Fabriken von TSMC sind stark ausgelastet. Foto: TSMC

TSMC stampft in Taiwan eine Giga-Fab nach der anderen aus dem Boden – und will womöglich auch in den USA solch eine Fabrik bauen. Wirtschaftspolitiker in der EU liebäugeln daher mit der Idee, alternativ zum Eurofoundry-Projekt den Taiwanesen den Bau einer großen Chipfabrik in Europa schmackhaft zu machen. Foto: TSMC

Allerdings: Vielquellen-Ansatz liegt seit Trump, Corona & Suez im Trend

Einwenden könnte man hier allerdings, dass seit Trump & Corona der Bedarf vieler Unternehmen gewachsen ist, Chips aus mehreren Quellen aus verschiedenen Weltgegenden zu beziehen. Im Falle von Handelskriegen, Embargos, Naturkatastrophen, Seuchen oder blockierten Seewegen könnten verteilte, resiliente Lieferketten darüber entscheiden, ob zum Beispiel eine Autofabrik weiterproduzieren kann oder nicht.

Jens Drews. Foto: Silicon Saxony

Jens Drews. Foto: Silicon Saxony

Glofo: 2-Nanometer-Eurofoundry in diesem Jahrzehnt kaum noch zu realisieren

Zustimmung erhält Kleinhans für seine Warnungen jedenfalls vom Dresdner Globalfoundries-Sprecher Jens Drews: „Die Vision von EU-Kommissar Thierry Breton zum Design und zur Fertigung von Prozessoren unterhalb des 5-Nanometer-Technologieknotens in einer ,Eurofoundry’ ist in diesem Jahrzehnt kaum noch zu realisieren“, meint Drews, der hier für ein Unternehmen spricht, das selbst als Chip-Auftragsfertiger am Markt agiert. „Dafür fehlen ganz einfach heute und morgen die Voraussetzungen in Europa.“

Eurofoundry-Projekt schwelt schon lange

Die Idee einer Eurofoundry, die so groß und so modern ist, dass sie die europäische Industrie weitgehend unabhängig von Chiplieferungen aus dem Ausland machen könnte, schwelt schon seit vielen Jahren in Deutschland und Europa. Die Diskussion darüber hatte zuletzt durch die Wirtschaftskriege von US-Präsident Donald Trump, die Corona-Krise und die jüngsten Halbleiter-Engpässe in der deutschen Autoindustrie neuen Auftrieb bekommen. Als Standorte für eine Eurofoundry stehen beispielsweise Dresden, das französische Grenoble, die Gegend um das Imec-Forschungszentrum im belgischen Löwen, aber auch andere Mikroelektronik-Ballungszentren zur Debatte.

Heinz Martin Esser. Foto: Fabmatics

Heinz Martin Esser. Foto: Fabmatics

Silsax-Vorstand schätzt Kosten auf 15 Milliarden Euro

Allerdings hat selbst Heinz-Martin Esser, der Vorstand des sächsischen Hochtechnologie-Verbandes „Silicon Saxony“ (Silsax), bereits davor gewarnt, sich an einem derartigen Großprojekt zu verheben – obwohl es zweifellos viele neue Jobs und Wertschöpfung in die ausgewählte Region bringen würde: Solch eine Giga-Fab im Maßstab der riesigen Chipwerke in Taiwan oder Samsung in Südkorea werde wahrscheinlich um die 15 Milliarden Euro kosten, meint Esser. Und sie wäre – zumindest ohne die Mithilfe von TSMC oder Samsung – auch kaum vor 2030 betriebsbereit. Er plädiert dafür, sich vielmehr vorerst auf die 2. Welle „wichtiger Projekte von gemeinsamem europäischen Interesse“ (Ipcei) in den bereits existierenden Mikroelektronik-Unternehmen in Deutschland zu konzentrieren.

Sächsische Halbleiterindustrie drängt rasch realisierbare Ipcei-Projekte

Ähnlich argumentiert Drews: „Je schneller IPCEI 2 umgesetzt wird, desto besser sind die Chancen, dass die ambitionierte Vision der EU-Kommission auf Basis einer deutlich gestärkten Mikroelektronik in Europa im nächsten Jahrzehnt erreicht werden kann“, meint er. „In dieser Frage liegt ein Marathon bis 2035 vor uns, kein Sprint bis 2025.“ Zu beachten ist allerdings, dass Globalfoundries in dieser Debatte handfeste Eigeninteressen hat: Eine riesige neue Foundry in Europa würde mit Globalfoundries um einen ähnlichen Kundenkreis buhlen. Zudem haben sowohl Globalfoundries wie auch Infineon ganz andere Pläne mit den Ipcei-Milliarden: Sie haben erhebliche Fabrikausbauten in Dresden in Aussicht gestellt, wenn sie dafür Subventionen bekommen.

Die Stromspar-Chips von Globalfoundries sollen eine Schlüsselrolle in der hochautomatisierten Fabrik der Zukunft und im "Internet der Dinge" spielen. Foto: Sven Döring, Globalfoundries

Blick in die Lithografie in der Dresdner Globalfoundries-Fabrik. Foto: Sven Döring für Globalfoundries

Stiftung neue Verantwortung“ plädiert für Fokus auf Chipdesign

Denkfabrik-Experte Kleinhans wiederum, der in der „Stiftung neue Verantwortung“ die Themenfelder „Technologie und Geopolitik“ beackert, spricht sich für einen noch engeren Fokus in der EU-Mikroelektronikpolitik aus: Die Milliarden für eine Eurofoundry seien anderswo besser aufgehoben, meint er. Nämlich dort, wo Europa noch stärker von ausländischen Technologieanbietern abhängig sei: beim Design neuester Logikchips, zum Beispiel beim Entwurf von Prozessoren für Rechenzentren, Hochleistungsrechner, künstliche Intelligenz und mobile Anwendungen. „Europas Achillesferse ist der Mangel an fabriklosen Unternehmen, die Chips entwickeln. Sobald sich Europas Chipdesign-Fähigkeiten verbessert haben, wird die Region in einer viel stärkeren Position sein, um darüber nachzudenken, wie sie am besten in ihre Fertigungskapazitäten investieren kann.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: „Stiftung neue Verantwortung“, Globalfoundries, Oiger-Archiv

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt