Halbleiterindustrie, zAufi

Der Ingenieur, der für die DDR den Megabit-Schaltkreis realisierte

Bernd Junghans (rechts) bei der Arbeit am Megabit-Projekt. Foto: privat

Bernd Junghans (rechts) bei der Arbeit am Megabit-Projekt. Foto: privat

Bernd Junghans zum 80.: Wissenschaftler, Macher, Visionär

Dresden, 10. März 2021. Wenn heute vom Technologie-Dreieck Dresden-Freiberg-Chemnitz als dem „Silicon Saxony“ die Rede ist und Sachsen als einer der führenden Mikroelektronik-Standorte in Europa gilt, sollten nicht die Männer und Frauen vergessen werden, die das Fundament dafür gelegt haben. Zu diesen Wegbereitern der ostdeutschen Mikroelektronik gehört Prof. Bernd Junghans. Heute wird er 80 Jahre alt. Ein Anlass, sein ereignisreiches Leben zu würdigen.

Studium in Moskau

Bernd Junghans wurde am 10. März 1941 geboren. 1962 bis 1968 studierte er am Moskauer „Energetischen Institut“ in der Fachrichtung „Industrielle Elektronik“. Dort schloss er als Diplomingenieur der Elektrotechnik ab. Neben dem Studium vertrat er als Vorsitzender des Ausländerrates die 800 Studierenden aus aller Herren Länder und erwarb sich die Fähigkeit, verschiedene Interessen zu integrieren.

Verteidigung der Dissertation – Dr. Bernd Junghans. Foto: privat

Verteidigung der Dissertation – Dr. Bernd Junghans. Foto: privat

In Karl-Marx-Stadt promoviert

Sein Arbeitsleben begann er 1969 als Assistent an der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt. In der Sektion Physik und Elektronische Bauelemente forschte er an der CMOS-Technologie. Diese „Complementary metal-oxide-semiconductors“ (komplementäre Metall-Oxid-Halbleiter) etablierten sich international später als Basis der modernen Schaltkreise. Seine Dissertation 1972 hatte den kurzen Titel: „Zur theoretischen Interpretation und experimentellen Untersuchung von Isolatorladungen in MIS Strukturen unter besonderer Berücksichtigung des Systems Si-SiO2“.

CMOS-Technologie für den DDR-Herzschrittmacherschaltkreis

1976 folgte er dem Ruf an das „Zentrum für Forschung und Technologie der Mikroelektronik“ (ZFTM) in Dresden. Dort war er zunächst in der Schaltkreisentwicklung tätig. Er konnte unter anderem die CMOS-Technologie für den Uhrenschaltkreis U114 und den Herzschrittmacherschaltkreis U115 durchsetzen.

Übergabe des DDR-Megabit-Schaltkreises am 12. September 1988 an Erich Honecker. Auf der linken Tischseite sitzend, von links nach rechts: ZMD-Parteisekretärin Monika Krell, Carl-Zeiss-Jena-Generaldirektor Wolfgang Biermann, und Megabit-Projektleiter Bernd Junghans. Stehend daneben: Chefkonstrukteur Jens Knobloch, der den Schaltkreisentwurf für den Megabit-Chip im Maßstab 1:300 hält. Auf der rechten Seite von hinten nach vorn: DDR-Elektronik-Minister Felix Meier, SED-Chef Erich Honecker, SED-Wirtschaftssekretär Günter Mittag und Elektronik-Staatssekretär Karl Nendel. Foto: Klaus Franke, ADN, Bundesarchiv, Bild 183-1988-0912-400, Wikipedia, CC3-Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.de)

Übergabe des DDR-Megabit-Schaltkreises am 12. September 1988 an Erich Honecker. Auf der linken Tischseite sitzend, von links nach rechts: ZMD-Parteisekretärin Monika Krell, Carl-Zeiss-Jena-Generaldirektor Wolfgang Biermann, und Megabit-Projektleiter Bernd Junghans. Stehend daneben: Chefkonstrukteur Jens Knobloch, der den Schaltkreisentwurf für den Megabit-Chip im Maßstab 1:300 hält. Auf der rechten Seite von hinten nach vorn: DDR-Elektronik-Minister Felix Meier, SED-Chef Erich Honecker, SED-Wirtschaftssekretär Günter Mittag und Elektronik-Staatssekretär Karl Nendel. Foto: Klaus Franke, ADN, Bundesarchiv, Bild 183-1988-0912-400, Wikipedia, CC3-Lizenz

Das Megabit-Projekt

In den 1980er Jahren wurde in der DDR versucht, den technologischen Rückstand zur internationalen Spitze der Halbleiterentwicklung zu minimieren, was höchste Anforderungen an den Schaltkreisentwurf und die Fertigungstechnologie stellte. Bernd Junghans wurde mit einer außerordentlichen Professur betraut und übernahm die Leitung des Prestige-Projektes „Entwicklung des 1-Megabit-Schaltkreises“. In einem beispielhaften Kraftakt des großen Kollektives unter seiner Führung konnten 1989 erste funktionstüchtige Schaltkreise produziert werden.

Neustart nach dem Ende der DDR

1990 kam mit dem Untergang der DDR auch der Zusammenbruch der staatlich geförderten Mikroelektronik-Industrie. Deutsche und amerikanische Halbleiterfirmen erkannten aber auch den Wert der gut ausgebildeten Fachkräfte. Die Wissenschaftler, Ingenieure und Facharbeiter waren die Basis für das neu organisierte „Zentrum Mikroelektronik Dresden“ (ZMD), für die Ansiedlungen von Infineon, AMD und Fraunhofer, aber auch für viele neu- oder ausgegründete Hightech-Firmen im „Silicon Saxony“. Bernd Junghans orientierte sich um. Zuerst fand er noch eine alternative Anwendung der 1-Megabit-Schaltkreise für Radioaktivitätsmessungen.

Geschäftsführer Bernd Junghans 1999. Foto: privat

Geschäftsführer Bernd Junghans 1999. Foto: privat

AMIS-Tochter in Deutschland gegründet

1993 gründete er eine Tochterfirma der US-amerikanischen Halbleiterunternehmens „American Microsystems Inc.“ Die AMIS GmbH entwickelte analoge und digitale kundenspezifische Schaltkreise und vertrieb sie in Europa. Innerhalb von fünf Jahren wuchs das Unternehmen auf 70 Mitarbeiter und 35 Millionen Dollar Umsatz. Auch dort gelang es ihm, erfahrene Fachkräfte und junge Ingenieure zu einem kreativen Team zusammenzuführen. Bis heute trifft sich diese Mannschaft regelmäßig zu Weihnachten – außer im Coronajahr 2020.

Das frühere Team der AMIS GmbH 2018. Foto: privat

Das frühere Team der AMIS GmbH 2018. Foto: privat

Simtek aus ZMD ausgegründet

2005 organisierte Bernd Junghans eine ZMD-Ausgründung mit einer amerikanischen Firma aus Colorado Springs: Die Simtek GmbH entwickelte nicht flüchtige Speicherschaltkreise weiter und vertrieb sie in Europa. 2009 übernahmen die Mitarbeiter die Firma in Eigenverantwortung und Prof. Junghans ging in den aktiven Ruhestand.

Berater für Metirionic und andere Hightech-Gründungen

Heute berät und begleitet er mit seinem fachlichen und organisatorischen Wissen Neugründungen wie die Funkmesstechnologie-Firma „Metirionic“. Durch seine Kenntnis der „Silicon Saxony“-Designfirmen unterstützt er viele Entwickler.

Bernd Junghans in Colorado Springs. Foto: privat

Bernd Junghans in Colorado Springs. Foto: privat

Vizedirektor im Leibniz-Institut für interdisziplinäre Studien

Zudem organisiert Prof. Junghans für das Berliner Leibniz-Institut für interdisziplinäre Studien Symposien über Entwicklungstendenzen der Mikroelektronik und der Gesellschaft. Mit Bedauern verfolgt er den sinkenden Anteil Europas an der Halbleiterproduktion sowie die fehlenden technologischen Fähigkeiten zur Höchstintegration. Mit seinen scharfsinnigen Analysen über aktuelle Mikroelektronik-Trends und seinen Kommentaren zur Hochtechnologie-Politik in Europa zählt er zu den geschätzten Autoren des Nachrichtenportals „Oiger.de“.

Bernd Junghans. Foto: privat

Bernd Junghans. Foto: privat

Wir wünschen Bernd Junghans beste Gesundheit und sind uns sicher, dass er uns weiter mit Rat und Tat kritisch begleiten wird.

Autor: Heiner Lohse 

Unser Gastautor Heiner Lohse gehört zu den Weggefährten von Bernd Junghans. Er kennt ihn seit dem Moskauer Studium und hat später bei ZMD, AMI und Simtek mit ihm zusammengearbeitet.

Zum Weiterlesen:

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt