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Zweites Leben für Karbonfasermüll als Fahrradsattel

Karbonfasern können mit anderen Materialien zu Verbundstoffen mit faszinierenden Eigenschaften kombiniert werden. Foto: filmaton, C3

Karbonfasern können mit anderen Materialien zu Verbundstoffen mit faszinierenden Eigenschaften kombiniert werden. Foto: filmaton, C3

Textilforschungsinstitut STFI Chemnitz hat Recycling-Verfahren für Kohlenstoff-Leichtbaustoffe entwickelt

Chemnitz, 17. Februar 2021. Autofabriken verbauen immer häufiger Karbon und ähnliche faserbasierte Leichtbaumaterialien, um in Elektrofahrzeugen das enorme Batteriegewicht auszugleichen und so auf mehr Reichweite zu kommen. Ähnlich sieht es in der Luftfahrt aus, nur dass dort der Einsatz leichter Kohlefaser-Verbundmaterialien eher darauf zielt, Kerosin und damit Betriebskosten für die Fluggesellschaften zu sparen. Auch viele andere Branchen setzen mehr und mehr auf Karbon. Allerdings erwächst aus diesem Leichtbau-Trend ein neues Problem: wohin mit all den Faser-Bauteilen, wenn sie an ihrem „Lebensende“ ausgemustert werden? Industrieforscher und -forscherinnen vom „Sächsischen Textilforschungsinstitut“ (STFI) in Chemnitz haben dafür eine Teillösung gefunden: Sie können nun mit textilen Produktionsabfällen aus Karbonfasern neue Vliesstoffe herstellen.

Der Vortrag dazu auf
Youtube (SIG) - ab 18:20:

STFI: Vor 15 Jahren interessierte sich kaum einer für Karbon-Recycling – nun sieht das ganz anders aus

„Bei uns im STFI beschäftigen wir uns schon seit über 15 Jahren mit dem Recycling von Karbonfaser-Abfällen. Nur hat das vor 15 Jahren noch niemanden wirklich interessiert“, berichtete STFI-Abteilungsleiter Marcel Hofmann in der Internet-Vortragsreihe „SIG Science Talk“. „Inzwischen sieht das ganz anders aus.“ Denn inzwischen wird Karbon bereits so häufig und so lange eingesetzt, dass Recycling-Lösungen immer dringlicher werden.

Marcel Hofmann. Foto: STFI

Marcel Hofmann. Foto: STFI

Aus Abfällen werden Vliesmatten für Autos, Medizintechnik und Fahrräder

Um den Fasern zu einem „zweiten oder dritten Leben“ zu verhelfen, haben Marcel Hofmann und sein Team eine neue Prozesskette entwickelt. Dabei reißen und zerschneiden Maschinen die Karbonabfälle zunächst in kleine Stücke. Die zurückgewonnenen Fasern fügt eine Airlay-Anlage mit Hilfe von starken Luftströmen zu meterbreiten Vlies-Rollen zusammen. Aus diesen Vliesen entstehen dann beispielsweise Komponenten für neue Auto-Rücksitze, Computertomografie-Liegen oder Bau-Dämmstoffe. Besonders anschauliche Einsatzbeispiele hat das STFI gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF) Dresden und mit dem bayrischen Textilunternehmen „Tenowo“ aus Hof entwickelt: Aus den Recyclingmaterial lassen sich nämlich auch superleichte Fahrrad-Sportsättel machen, die teils kaum mehr als 100 Gramm wiegen.

Dr. Axel Spickenheuer vom Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF) Dresden mit einem Fahrrsattel-Demonstartor aus Leichtbau-Materialien, die Glas- und Polymerfasern kombinieren. Foto: Heiko Weckbrodt

Dr. Axel Spickenheuer vom Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF) Dresden mit einem Fahrrsattel-Demonstartor aus Leichtbau-Materialien, die Glas- und Polymerfasern kombinieren. Foto: Heiko Weckbrodt

Bereits 2013 hatte das STFI erste Stufen dieser neuen Verwertungskette vorgestellt. Inzwischen finden sich auch immer mehr Industrieabnehmer für die Recycling-Faserstoffe. „Jetzt geht es darum, das Ganze in die breite Anwendung zu bringen“, schätzte Marcel Hofmann ein.

Kohlenstofffaser-Markt hat sich binnen einer Dekade verdreifacht

In naher Zukunft dürften solche und ähnliche Recycling-Lösungen noch gefragter sein, da weltweit immer mehr Produkte auch Karbonfasern enthalten. Allein in der Dekade von 2010 bis 2020 hat sich laut „Statista“ der Weltmarkt für Kohlenstofffasern von rund 33.000 auf etwa 98.000 nahezu verdreifacht. „Für das Jahr 2022 wird eine weltweite Nachfrage nach Kohlenstofffasern von rund 120.500 Tonnen prognostiziert“, berichtet das Statistikportal. Die Jahresproduktion von „Carbonfaserverstärkten Kunststoffen“ (CFK) wiederum schätzt das private „Bifa Umweltinstitut“ aus Augsburg auf weltweit rund 120.000 Tonnen.

Forscher der TU Chemnitz haben gemeinsam mit den Kollegen der TU Dresden solche Pavillons aus Carbonbeton konstruiert, um zu zeigten, welche neuen Leichtbauweisen durch Kohlefasern möglich werden. Foto: Dr Sandra Gelbrich, TU Chemnitz

Auch im Bausektor werden zunehmend Kohlenstofffasern eingesetzt. Forscher der TU Chemnitz haben gemeinsam mit den Kollegen der TU Dresden solche Pavillons aus Carbonbeton konstruiert, um zu zeigten, welche neuen Leichtbauweisen durch Kohlefasern möglich werden. Foto: Dr Sandra Gelbrich, TU Chemnitz

Deponie und Ofen sind keine Option – viele setzen auf CFK-Pyrolyse

Werden die daraus erzeugten Bauteile zu Abfällen, ist gerade das Recycling von CFK-Müll eine besondere Herausforderung. Denn CFK ist ein Mischmaterial, das in Deutschland nicht auf Deponien entsorgt werden darf. Auch Müllverbrennungsanlagen wollen keinen CFK-Abfall abnehmen. Deshalb experimentieren Unternehmen und Forschungsinstitute – darunter auch die TU Dresden – weltweit bereits seit Jahren an Verfahren, um zumindest die Kohlefasern aus den Verbundmaterialien möglichst sortenrein zurückzugewinnen. Ein vielversprechender Ansatz ist die Pyrolyse, bei der die kohlenstoffbasierten Abfälle nur soweit erhitzt werden, dass sie nicht verbrennen, aber in Stoffe mit nur noch kurzen Molekülketten zerfallen. Allerdings gelten auch diese thermischen Verfahren als noch nicht ganz ausgereift.

Über die „Sächsische Industrieforschungsgemeinschaft“ (SIG)

Auch mehrere Privatinstitute der „Sächsischen Industrieforschungsgemeinschaft“ (SIG) beschäftigen sich solchen fortgeschrittenen Recycling-Technologien. Die SIG wurde 2014 in Dresden gegründet. Sie umfasst derzeit rund 20 industrienahe Institute mit insgesamt über 1000 Beschäftigten, die privat beziehungsweise gemeinnützig organisiert sind und zu keiner der großen Forschungsgemeinschaften wie Fraunhofer, Leibniz, Planck oder Helmholtz gehören. Viele von ihnen waren nach der Wende aus Querschnitts-Forschungseinrichtungen der DDR-Kombinate hervorgegangen. Die größere, bundesweite Schwesterorganisation der SIG ist die Zuse-Gemeinschaft.

Über das STFI

Mitglied beider Netzwerke ist auch das „Sächsische Textilforschungsinstitut“ (STFI). Es entstand 1992 aus der Fusion des „Forschungsinstituts für Textiltechnologie“ (FIFT) Chemnitz und des „Instituts für Technische Textilien“ (ITT) Dresden. An der Gründung beteiligt waren 24 Unternehmen und Einrichtungen der Textilindustrie in Sachsen, die ein besonderes Interesse am Erhalt der bereits zu DDR-Zeiten aufgebauten betriebsübergreifenden Textil-Forschungskompetenzen hatten. Seit 2006 ist das STFI ein An-Institut der TU Chemnitz (TUC), ist also nicht der Uni-Leitung unterstellt, kann aber viele Infrastrukturen der Technischen Universität mitnutzen. Das STFI ist als Verein organisiert, hat laut TUC rund 150 Mitarbeiter und kommt auf rund 16 Millionen Euro Jahresumsatz.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: SIG, STFI, Fraunhofer ITWM, Fraunhofer ICT, Wikipedia, EU-recycling.com, TUC, Oiger-Archiv

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt