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Meisterwerk sächsischer Eisenbahnkunst

Die Hartmann-Lok Burgk Nr. 239 mit einem Güterwagen. Repro (hw) aus: Jürgen Schubert: Die Hänichener Kohlenbahn“/ Heimatmuseum Burgk

Die Hartmann-Lok Burgk Nr. 239 mit einem Güterwagen. Repro (hw) aus: Jürgen Schubert: Die Hänichener Kohlenbahn“/ Heimatmuseum Burgk

Jürgen Schubert legt profunde Darstellung zur Geschichte der von Oberingenieur Guido Brescius konzipierten Hänichener Kohlenbahn vor

Dresden. „Meine Verdauung kommt so pünktlich wie ein Zug in Deutschland“ – dieser Ausspruch des genialen Sonderlings und Eisenbahnfreaks Sheldon Cooper aus der US-Fernsehserie „The Big Bang Theory“ beweist einmal mehr, dass Drehbuchschreiber in Hollywood sehr klischeehafte Vorstellungen von Deutschland haben. Einheimische Kunden wissen, dass es mit der Pünktlichkeit bei der Bahn nicht mehr weit her ist.

Oberingenieurs Guido Brescius. Repro (hw) aus: Jürgen Schubert: Die Hänichener Kohlenbahn“ / Heimatmuseum Freital

Oberingenieur Guido Brescius. Repro (hw) aus: Jürgen Schubert: Die Hänichener Kohlenbahn“ / Heimatmuseum Freital

„Unnachahmlicher Schöpfergeist“

Inwieweit die Züge der Hänichener Kohlenbahn, vielen als Windbergbahn bekannt, pünktlich fuhren, ist nicht verbürgt, aber der Untertitel von Jürgen Schuberts Buch über diese Bahn weist sie als „Meisterwerk sächsischer Eisenbahnkunst“ aus. Unmittelbar vor den Toren Dresdens erschloss diese erste deutsche Gebirgsbahn das Steinkohlerevier am Windberg. Anspruchsvolle topografische Verhältnisse erforderten eine kurvenreiche Streckenführung mit bemerkenswerten Steigungen und kleinen Radien. Der Bau dieser Kohlenbahn war seinerzeit eine Meisterleistung der Ingenieure, allen voran des Oberingenieurs Guido Brescius. Mag Sheldon Cooper auch in Ingenieuren gerade mal „tapfere, angelernte Arbeitskräfte“ sehen, die die Visionen derer umsetzen, die denken und träumen, Ingenieure zu „Domestiken der Wissenschaft“ erklären, für Brescius findet Schubert in seinem Werk wieder und wieder geradezu elegische, aber grundsätzlich berechtigte Lobesworte („unnachahmlicher Schöpfergeist“).

Mittagessen der Bergmänner im "Segen-Gottes-Schacht". Repro (hw) aus: Jürgen Schubert: Die Hänichener Kohlenbahn“ / Heimatmuseum Burgk

Mittagessen der Bergmänner im „Segen-Gottes-Schacht“. Repro (hw) aus: Jürgen Schubert: Die Hänichener Kohlenbahn“ / Heimatmuseum Burgk

Dauerstreit: Auftraggeber Albertsbahn wollte es schön billig

Geboren am 25. März 1824 in Budissin, erwarb sich Brescius erste Meriten beim Bau der „Sächsisch-Schlesischen Eisenbahn“ von Dresden nach Görlitz, dann als Abteilungsingenieur bei einem Streckenabschnitt im Bereich Königstein der Sächsisch-Böhmischen Eisenbahn. Mit dem Mitte September 1853 begonnen Bau der Hänichener Kohlezweigbahn wagte Brescius eine Linienführung mit künstlicher Längenentwicklung zur Überwindung des Höhenunterschieds zwischen Plauenschem Grund und Gitterseer Hochebene, mit 85 Meter Kurvenradius auf einer Hauptbahn mit Normalspur. Mit dem Auftraggebern der Kohlebahn lag er mehr oder minder im Dauerclinch: Die Albertsbahn AG konnte gar nicht billig genug haben und bezichtigte ihn immer wieder der reinen Geldverschwendung – nicht realisierend, dass Qualität ihren Preis hat, ob nun am Lok- und Waggonbestand oder bei den erforderlichen Gleisbett-, Brücken- und Tunnelkonstruktionen.  Projektionen von Tunnelbauten oder gar Täler überspannende Viadukte wurden Brescius von vornherein strengstens untersagt. Jedenfalls verstarb Brescius am 4. Dezember 1864 – gerade mal 40 Jahre alt – in der Heilanstalt auf dem Pirnaer Sonnenstein und wurde drei Tage später auf dem Neuen Annenkirchhof in Dresden beigesetzt.

Nicht jede Zweigbahn war lukrativ

Immer wieder wurden neue Abbaugebiete ans Gleis angeschlossen. Das Kohlenwerk, das am längsten auf eine Verbindung mit der Hänichener Kohlenzweigbahn warten musste, war der Freiherrlich von Burgker „Segen Gottes“-Schacht am Ende des Kiefernberges auf der Flur Kleinnaundorf. Nicht jede Zweigbahn war lukrativ. Die beiden Kohlewerke „Moritzschacht“ und „Meißelschacht“ waren für die Albertsbahn AG ein unrentables Geschäft. „Die Aufwendungen für Konstruktion, Erschließung und Ausbau der beiden Anschlussgleisanlagen standen in keinen Verhältnis zu den erzielten Gewinnen“, schreibt Schubert.

Billigkies rächte sich

Nicht selten wurde am falschen Ende gespart. Die gesamte Gleisbettung der Privatbahn erfolgte aus Gründen der Kostenersparnis mit Grobkies, um die ohnehin schon hohen Material- und Baukosten in Grenzen zu halten. Der sonst gebräuchliche Syenitschotter wurde als zu teuer erachtet, was letztlich aber zu Lasten eines sicheren Transports ging. An vielen Abschnitten meldeten die Streckenposten schon nach kurzer Zeit, dass das Gleisbett dringend nachgeschüttet werden müsse, da durch die Fahrbelastung der Wagenzüge und Maschinen das lockere Kiesgestein herausgedrückt werden würde und die Schwellen samt Schienen zu verwerfen drohten.

Dresdner Lok erwies sich als Flop –Chemnitzer Fabrik sprang ein

Wichtig war natürlich auch die Frage der Signaltechnik. Brescius vergab den Auftrag zur Fertigung optischer Telegraphenstangen und Schlagwärtermastbäumen nach Bewilligung der Kosten im Auftrag der Alberts-Bahn-Administration im März 1856 an die Dresdner Firma „Schrumpf & Thomas“ an der Freiberger Straße. Aus Dresden, und zwar von der Firma „W. Bayer“, kam auch die erste Lok. Die trug den Namen „Friedrich August“ und war dreiachsig. Sie erwies sich aber mit ihrem 3115 Millimeter starren äußeren Radstand für die steile und krümmungsreiche Hänichener Kohlenbahn „als völlig untauglich“, wie Schubert wissen lässt. Nach der missglückten Probefahrt nahm man umgehend Verbindung mit der „Chemnitzer Maschinenfabrik Richard Hartmann“ auf. Hartmann, ein Experte des Maschinenbaus, ermöglichte es Brescius, in den Werkhallen der Chemnitzer Maschinenbauanstalt zu experimentieren und zu konstruieren. Im Frühjahr 1857 verkaufte Hartmann die erste Serie von drei Exemplaren einer kleinen, kraftvollen, gut kurvenläufigen Tenderlokomotive an die Alberts-Bahn-AG.

König Johann von Sachsen (1854.1873) um 1857 - er interessierte sich auch für technische Details. Repro (hw) aus: Jürgen Schubert: Die Hänichener Kohlenbahn“

König Johann von Sachsen (1854.1873) um 1857 – er interessierte sich auch für technische Details. Repro (hw) aus: Jürgen Schubert: Die Hänichener Kohlenbahn“

Bei der Probefahrt mit König Johann wurden zwei Loks eingesetzt

Viel erhalten hat sich von all dem nicht mehr, wie Schubert festhält. Derzeit existiert von der Bresciusschen Bahnkonstruktion nur noch die sechs Kilometer lange, sanierungsbedürftige und denkmalgeschützte Gleistrasse. Sie wird gern als „Sächsische Semmeringbahn“ bezeichnet. Zu diesem Beinamen kam sie seit dem Tag, als der kunstsinnige, aber eben auch technisch interessierte Sachsenkönig Johann am 15. April 1857 anreiste, um die Bahn in Augenschein zu nehmen. Er sagte zu den ihm die Aufwartung machenden Beamten der Königlich-Sächsischen Staatseisenbahn und den Hauptdirektoren der Aberts-Bahn AG: „Nun, meine Herren, jetzt stehen wir Sachsen den Österreichern in nichts mehr nach. Auch wir haben jetzt eine Semmeringbahn – die Sächsische Semmeringbahn!“ Dann wurde eine Probefahrt unternommen. Dafür bekam der Königszug, dem fahrbetrieblichen und sicherheitsrelevanten Ablauf der Bahnexkursion Rechnung tragend, auf dem Steilstreckenabschnitt zwei Lokomotiven vorgespannt.

Tiefer Einblick in die Frühzeit des Eisenbahnbaus

Es ist ein grundlegendes Werk, das Schubert verfasst hat. Anhand zahlreicher historischer Dokumente vermittelt es einen tiefen Einblick in die Frühzeit des Eisenbahnbaus. Eigenvermessungen und Aufrisse von ehemaligen Sachbahnstrecken komplettieren oder ergänzen erstmals den bisher fehlenden Fundus, merkt der Autor im Vorwort an. Vermittelt wird nicht nur Eisenbahngeschichte, sondern gleichberechtigt informiert Schubert über den Abbau der Kohle im Plauenschen Grund. Zahlen und Fakten werden über alle Maßen vermittelt.

Züge beförderten werktags Kohle, am Wochenende ausflugssüchtige Städter

Was ein bisschen fehlt – nicht jeder ist ein Pufferküsser-Nerd – sind die kleinen Histörchen und Schnurren, die die Flut an Informationen ein bisschen auflockern. So wie die bei den Ausführungen zu den Vergnügungsfahrten bergwärts zum 345 Meter „Hohen Gohlig“, einem nicht zuletzt bei Städtern, also den Dresdnern, beliebten Ausflugsziel. Wie man erfährt, gehörte das akribische Abspritzen der zehn Wagenkästen, die am Vortag noch im Kohlenumlauf im Einsatz gewesen waren, mit Presswasser zum festen Bestandteil des Verkehrstarifs für die „Fahrten ins Grüne“. Die Ausflugszüge, mit denen zusätzliche Einnahmen zu erzielen hoffte, wurden am dem Alberts-Bahnhof Dresden zusammengestellt. Alle, die eine Mitfahrt bezahlen konnten, hatten sich rechtzeitig am Haupttor einzufinden. Eine Zustiegsmöglichkeit unterwegs wurde ausgeschlossen. Die Bergfahrt endete vor dem Hänichener Communicationsweg im Poisental Von hier aus ging es auch wieder zurück.

Sachsen verstaatlichte Bahn schließlich – und zahlte dafür 2,86 Millionen Taler

Die Konzession für die Albertsbahn war zunächst auf 20 Jahre bis 1873 an ausgestellt gewesen. Infolge des Deutschen Krieges 1866 strebte das Königreich Sachsen jedoch eine Verstaatlichung seiner Eisenbahnen an. Die Albertsbahn AG setzte diesen Plänen keinen Widerstand entgegen, waren doch die erhofften reichen Gewinne für die Aktionäre ausgeblieben. So ging die Albertsbahn AG am 1. Juli 1868 für 2.862.800 Taler in das Eigentum des sächsischen Staates über. Die Aktionäre erhielten als Ausgleich noch für die restlichen fünf Jahre der Konzessionsdauer eine Dividende, die sich aus den durchschnittlichen Gewinnen der vergangenen 15 Jahre errechnete.

Umschlag von Jürgen Schubert: Die Hänichener Kohlenbahn“ / Heimatmuseum Freital, Repro: hw

Umschlag von Jürgen Schubert: Die Hänichener Kohlenbahn“ / Heimatmuseum Freital, Repro: hw

Kurzüberblick

  • Autor: Jürgen Schubert
  • Titel: „Die Hänichener Kohlenbahn. Das Meisterwerk sächsischer Eisenbahnkunst“
  • Verlag: Verlagsgruppe Bahn und Klartext Verlagsgesellschaft
  • Umfang: 304 Seiten mit über 500 historischen Fotos sowie zahlreichen Faksimile-Abbildungen, Skizzen und technischen Zeichnungen
  • Preis: 59,95 Euro
  • ISBN: 978-3-8375-1800-9

Autor der Rezension: Christian Ruf

Christian Ruf. Foto: hw

Christian Ruf. Foto: hw

Über den Autor:

Christian Ruf wurde 1963 in München geboren und hat Geschichte sowie Politologie in München und Bonn studiert. Bereits vor dem Mauerfall reiste er mehrmals in die DDR, nach Polen und in die Sowjetunion. Nach der Wende zog er nach Sachsen um. Heute ist er als freier Journalist mit den Schwerpunkten Kultur und Geschichte in Dresden tätig, wenn er nicht gerade in anderen Ecken der Welt unterwegs ist.

Zum Weiterlesen:

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Dem Ingenieur ist nichts zu schwer

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt
Kategorie: Bücherkiste, Geschichte, News, zAufi

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Über Christian Ruf:

Christian Ruf wurde 1963 in München geboren und hat Geschichte sowie Politologie in München und Bonn studiert. Bereits vor dem Mauerfall reiste er mehrmals in die DDR, nach Polen und in die Sowjetunion. Nach der Wende zog er nach Sachsen um. Heute ist er als freier Journalist mit den Schwerpunkten Kultur und Geschichte in Dresden tätig, wenn er nicht gerade in anderen Ecken der Welt unterwegs ist.